In ihrem Audio Podcast «KINO.TO – Die verbotene Streamingrevolution» spricht Host und Autorin Maxie Römhild über die damalige Streamingwebsite, die selbst in Hollywood Schlagzeilen machte. Die Mitarbeiterin des MDRs glaubt allerdings nicht an ein Comeback.
Hallo Frau Römhild, die Webseite kino.to ist Gegenstand Ihres Podcast «KINO.TO – Die verbotene Streamingrevolution». Wie sind Sie das erste Mal auf die Webseite gestoßen? Hatten Sie Bedenken bei der Nutzung?
In dem Jahr, als kino.to online ging, war ich 15. Ich weiß nicht mehr, wie ich darauf gestoßen bin. Irgendwie wussten das irgendwann in der Schule plötzlich alle. Klar hatte man ein mulmiges Gefühl dabei, diese Seite zu nutzen – immerhin waren viele der Filme ganz offensichtlich schlecht im Kino abgefilmt worden. Dass das nicht ganz okay sein konnte, das wusste man schon. Aber es haben eben alle gemacht. Und ein bisschen aufregend war es auch. Dass auch hinter der Plattform selbst eine aufregende Geschichte steht, wusste ich damals natürlich noch nicht. Umso spannender war die Recherche für den Podcast.
Die Plattform bot zahlreiche Filme und Serien zum kostenfreien Abruf an. Warum war das illegale Streamen damals eigentlich eine juristische Grauzone?
Im Gegensatz zum Filesharing, also dem Downloaden von sogenannten Raubkopien, wurde beim Streamen nichts heruntergeladen, nur kurz zwischengespeichert.
Nach der Abschaltung von kino.to im Juni 2011 war dies nicht das Ende von illegalem Streaming. Wie ist die juristische Lage heutzutage?
Auf kino.to folgten viele weitere, ähnliche Portale wie kinox.to oder movie2k.to. Und auch die juristische Grauzone zog sich erstmal weiter. Bis der EuGH 2017 ein Urteil traf, in dem ein für alle Mal festgestellt wurde: Wer wissentlich eine illegale Streamingseite benutzt, macht sich strafbar. Die Entwicklung der Rechtslage thematisieren wir auch im Podcast.
Der Streaming-Markt ist hart umkämpft. In einer teurer gewordenen Zeit wollen und können die Menschen nicht beliebig viele Dienste abonnieren. Deutet sich ein Comeback von kino.to und Co. an?
Tatsächlich scheinen wieder mehr Menschen illegale Alternativen zu den bekannten Streamingdiensten zu nutzen als noch vor ein paar Jahren, vor allem im Bereich der Serien. Das zeigen Studien, etwa vom Londoner Datenunternehmen MUSO und dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum. Auch die Zahlen von Abmahnungen wegen Filesharing, also illegalen Downloads, steigen wohl. An das Ausmaß zu Zeiten von kino.to kommt die Nutzung allerdings noch lange nicht heran. Die Allermeisten greifen auf legale Optionen zurück.
2007 begann Netflix in den USA neben dem DVD-Verleih auch, zu streamen. Nach Europa kam der Dienst aber erst 2012, weitere zwei Jahre später nach Deutschland. Wartete Netflix bewusst auf die Markteinführung oder war die Abschaltung einfach nur ein glücklicher Umstand?
Ich weiß es nicht, aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass Netflix auf die Abschaltung wartete. Denn nach kino.to war vor kinox.to, sozusagen. Es dauerte nicht lange, bis diverse Nachahmer aus dem Boden schossen. Als Netflix 2014 und später auch andere Anbieter nach Deutschland kamen, waren – zumindest nach meinem Empfinden – viele erleichtert, endlich auch legal streamen und dafür zahlen zu können. Die Qualität der Filme und Serien war ja auch viel besser, außerdem musste man sich nicht mehr durch nervige Werbung klicken.
«Game of Thrones» wurde häufiger illegal als legal gestreamt. Lag das ausschließlich am Hype um die Serie oder auch an Verfehlungen der Anbieter hierzulande?
«Game of Thrones» startete 2011. Das war eben die Zeit, in der es hierzulande keine legalen Alternativen gab. Der Hype tat sein Übriges.
Hinter kino.to stand der ehemalige Fußbodenleger Dirk B. aus Leipzig. Er wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt und musste 3,7 Millionen Euro an den Staat zurückzahlen. Empfand die Filmindustrie diese Strafe als fair? Oder zu milde?
Ich kann diese Frage nicht für die gesamte Filmbranche beantworten, aber die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen, ein damaliger Lobbyverband der Filmindustrie der auch als Nebenkläger im Prozess auftrat, war mit dem Ergebnis zufrieden. Darüber spreche ich mit dem ehemaligen Chef der GVU und einem seiner Ermittler im Podcast.
Die Branche setzte sogar Privatermittler auf Dirk B. an, da die Behörden überfordert waren. Lebt Dirk B. heute in Freiheit? Konnten Sie mit ihm für Ihre Recherchen sprechen?
Ich kann leider nichts dazu sagen, was Dirk B. heute macht. Wir haben natürlich versucht, mit ihm zu sprechen. Er war jedoch nicht zu einem Interview mit uns bereit. Aber es existiert ein Buch, „Die Wahrheit über kino.to: Was wirklich geschah – vom Gründer Dirk Böttcher“ von Peter L. Dojo, das aus der Ich-Perspektive verfasst ist. Dadurch können wir trotzdem einen gewissen Einblick in die Sicht des Gründers auf die ganze Geschichte geben. Wir zitieren daraus im Podcast. Der Schauspieler Tom Wlaschiha, den viele vermutlich aus «Game of Thrones» kennen, leiht den Zitaten seine Stimme.
Sehen Sie die Filmstudios für die Zukunft besser aufgestellt, sodass sich solche Fälle wie kino.to nicht wiederholen können?
Ich glaube nicht, dass so ein Riesenerfolg wie kino.to nochmal kommen wird. Dafür gibt es mittlerweile zu viele, zu gute legale Alternativen. Aber es gibt eben sehr viele davon. Sie haben es ja schon selbst gesagt: Die meisten können sich nicht zehn verschiedene Abos leisten. Die Frage, wie wir einen Zugang zu Kultur ermöglichen, der möglichst erschwinglich für alle ist, gleichzeitig aber Urheber gerecht entlohnt werden, die ist in meinen Augen nach wie vor offen.
Die Kino-Branche arbeitet derzeit an Abo-Services wie „Cineville“. Warum hat es für solche lukrative Angebote über ein Jahrzehnt nach kino.to gedauert?
Solche Dauerkarten für einzelne Kinos oder Kino-Ketten gibt es ja schon seit einigen Jahren, mit dem Cineville-Abo kommt man nun auch in mehreren Städten in verschiedene Programmkinos. In den Niederlanden gibt es das schon eine ganze Weile. Ich denke, es ist für jedes Kino eine Kosten-Nutzen-Abwägung, ob es sich auf solche neuen Modelle einlässt. Und solche Abwägungen kosten Zeit.
„Wir wollen rund um die Uhr Zugang zu Filmen, Musik und Kultur – am besten kostenlos“, sagen Sie in der ersten Folge. Gehen durch diese Überstimulation nicht der Genuss und die Wertschätzung abhanden?
Erstmal ist das Bedürfnis nach einem freien Zugang zu Kultur einfach menschlich, glaube ich. Es gibt Leute, die finden, dass Streaming zu weniger Wertschätzung für Künstler und ihre Werke führt. Ich sehe das nicht so. Ich kann einen Film im Kino genießen, ich kann mich aber auch beim Bingewatching einer Serie zuhause auf der Couch verlieren. Das sind zwei ganz unterschiedliche Erfahrungen, die mir beide sehr am Herzen liegen. Aber natürlich sollte dieser Wunsch nach ständiger, freier Verfügbarkeit nicht bedeuten, dass Künstlerinnen leer ausgehen. Wie man die Bedürfnisse der User und die (finanzielle) Wertschätzung von Urhebern am besten miteinander vereint, das ist eine Frage, mit der wir uns im Podcast intensiv beschäftigen.
Danke für das Gespräch.
«KINO.TO – Die verbotene Streamingrevolution» ist seit 17. Oktober 2024 in der ARD Audiothek und anderen Streamingdiensten verfügbar.
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