Ein Berliner Start-upper hat mit seinem Heimatdorf Großes vor. Ob das gut geht?
Stab
Darsteller: Charly Hübner, Jördis Triebel, Ulrich Brandhoff, Peter Kurth, Natalia Rudziewicz, Jan Georg Schütte
Musik: Jakob Friderichs
Kamera: Moritz Schultheiß
Buch: Christian Riedel und Lars Jessen
Regie: Lars Jessen und Jan Georg SchütteKlein-Schappleben, irgendwo zwischen staubigen Weizenfeldern und der dörflichen Stille Sachsen-Anhalts gelegen, wo Traktoren längst nicht mehr das einzige sind, was morgens den Dorfplatz zum Vibrieren bringt. Hierher verschlägt es Micha, Selfmade-Game-Designer, Visionär und – wie es scheint – ein bisschen Stadtneurotiker. Charly Hübner spielt ihn: ein Mann, der von Berlin zurückkehrt mit dem großen Plan, dort ein Luxushotel zu eröffnen, ein Wellness-Paradies für all die gestressten Großstädter. Ein Gründer-Hipster, der im tiefsten Osten sein eigenes Boutique-Dorado schaffen will – seine letzte Chance, nachdem er kürzlich ein Start-up mit Karacho gegen die Wand gefahren hat. Und während die Kamera die staubige Landstraße nach Klein-Schappleben entlangfährt, wird rasch klar: Diese Dorfrealität ist keine Instagram-Märchenkulisse, sondern ein Sammelsurium aus mürrischen Nachbarn und Grundwasserproblemen.
Ja, die Kulisse sitzt. Der Sommer ist heiß, die Atmosphäre staubtrocken – fast symbolisch für die eher angespannte Beziehung zwischen Micha und den Bewohnern seines ehemaligen Heimatdorfs. Schon wird das altbekannte Spiel der Gegensätze eröffnet: Dorf versus Stadt, Provinz versus Weltläufigkeit. Der Film schwelgt förmlich in diesen ländlichen Vorurteilen, dreht jedes „Dorfkind“-Klischee bis ins Letzte auf. Die zurückhaltende, skeptische Dorfgemeinschaft? Check. Der kernige Hermann (Peter Kurth), der mit kaltem Blick auf Michas Vision herabblickt und doch irgendwo einen Funken Bewunderung übrig hat? Check. Dann Tina, Michas alte Schulfreundin, charmant-herzliche Realistin, die sich noch halb an das klapprige alte Hotel erinnert, das seine Eltern betrieben haben. Und klar, auch die bildungsbürgerliche Partnerin Jenny aus der großen Stadt, gespielt von Natalia Rudziewicz, die als nüchternes Supportsystem für Michas Vision agiert – diese Großstadt-Provinz-Dualität wird durch die Bank viel zu krampfhaft ins Bild gerückt.
Die Handlung versucht sich derweil an einem Versöhnungsbogen, daran, wie Gemeinschaft und Solidarität das Dorf in Zeiten der Not (ausgetrocknete Brunnen, wer hätte das gedacht?) zusammenschweißen. Doch wie oft braucht man die Naivität eines Möchtegern-Visionärs, um das Ruder zu wenden? Das ist etwas abgedroschen und zu glatt gestrichen, wenn ein inzwischen zum Städter gewordener Landflüchtling plötzlich als Retter einer Gemeinschaft porträtiert wird, die ihm inzwischen so fremd ist, dass sie zur Karikatur gerinnt. Und die Bewohner Klein-Schapplebens? Man könnte meinen, sie seien bloß Komparsen für Michas Großmannsträume – in ihrem eigenen Film.
Zwischen hipper Großstadt-Halbphilosophie und echtem Provinzdialekt will sich dabei keine echte Dynamik entfalten. Während Micha von „Luxus-Wellness“ und „Retreat für die Workaholics“ schwärmt, schwenken die Dorfbewohner skeptisch ihren Kopf, als müsse man ihm erst erklären, was es heißt, eine Gemeinschaft am Leben zu erhalten: Szenen mit viel Gerede und wenig Gefühl. Hübners Micha bleibt leider genau das: ein Mann, der das Wort ergreift, dessen Projekt mehr erklärt als gelebt wird.
Die größte Stärke des Films bleibt trotz allem seine Szenerie: das ausgebrannte Dorf, das von Ungewissheit zerrüttet wird. Die Regie von Lars Jessen und Jan Georg Schütte schafft es, diese Landschaft fast magisch einzufangen: Der Himmel über Klein-Schappleben, der weit und wolkenlos scheint, die vermeintliche ländliche Idylle und zugleich ein Hauch von Endzeit. Visuell liegt hier tatsächlich einiges an Kraft, an rauer Poesie, die man hätte nutzen können. Ein trauriges Bild eines verdörrten Dorfes – und das trockene, verloren scheinende Land ist im Grunde die größte Erzählinstanz des Films.
Doch die eigentlichen Konflikte, die zentralen Figuren? Sie wirken wie Schablonen, die in dieses Setting gepflanzt wurden, ohne wirklich in ihm Wurzeln zu schlagen. Da bleibt am Ende etwas flach, eine Hohlheit, die die ironisch angelegten Landklischees zu ernst nimmt, ohne sie zu durchbrechen. Ja, ein Sommer in Klein-Schappleben kann schwer sein – aber «Micha denkt groß» zeigt, dass es an Substanz und Wärme mangelt, wenn das Dorfleben zur bloßen Staffage eines nicht ganz gelungenen Plans verkommt.
Der Film «Micha denkt groß» wird am Freitag, den 1. November im Ersten ausgestrahlt.
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