Die Regisseurin hat die neue Doku-Serie «Vater bekannt – Ein Samenspender und seine 30 Kinder» für die ARD Mediathek geschaffen.
Wie sind Sie auf die Geschichte von Gerrit und seiner "Herde" aufmerksam geworden und welche Motivation lag der Entscheidung zugrunde, diese Story zu erzählen?
Meine langjährige Kollegin und Creative Producerin dieses Films, Jessica Landt, hat schon vor Jahren mit Gerrit an der Entwicklung eines Spielfilmprojekt gearbeitet. Schon früh hat Jessica mitbekommen, wie Gerrit mit seinem „Samenspender-Projekt“ begonnen hat und auch die ersten Spenderkinder auf die Welt gekommen sind. So entstand im Laufe der Zeit die Idee, dokumentarisch darüber zu erzählen. Eines Tages erzählte mir dann Jessica davon und so nahm alles seinen Lauf.
Für mich war es die erste inhaltliche Begegnung mit dem Thema „Samenspende“. Ich habe gemerkt, dass ich nicht viel darüber weiß und bin anfangs über meine eigenen Vorurteile gestolpert. Die Samenspende hat keinen guten Leumund. Denken wir nur an die vielen Schlagzeilen über Spender mit 500 oder mehr Kindern. Es war spannend zu hören, dass es anscheinend auch anders geht. Das war für mich die Motivation diesen Film zu machen.
Der Film präsentiert eine Vielfalt an Familienmodellen und Lebensentwürfen. Welche Herausforderungen haben sich bei der Darstellung dieser Vielfalt ergeben und wie wurden sie bewältigt?
Für mich war das wichtigste, die Familien in ihren Alltag und in ihrem Miteinander zu zeigen. Ich glaube, da spürt man bei aller Vielfalt aber auch schnell, dass der Alltag dieser Familien kaum abweicht von dem der „klassischen Familie“. Es wird genauso gestritten, gekämpft, gespielt und gelacht. Und im Mittelpunkt stehen die Kinder, die mit großer Kraftanstrengung und viel Liebe groß gezogen werden. Für mich steht dafür zum Beispiel die Szene, wo Tanja und Tina ihre beiden Söhne ins Bett bringen und mit ihnen als abendliches Ritual den «Sandmann» schauen - wie bestimmt ein Großteil aller heterosexuellen Eltern auch. Ich denke, dass es auf der einen Seite darum geht, Vielfalt sichtbar zu machen und auf der anderen Seite aber auch das Verbindende zu zeigen. Familie ist für mich da, wo Menschen Verantwortung füreinander übernehmen - unabhängig von sexueller Orientierung oder Lebensmodell.
Gerrit legt großen Wert auf Offenheit und Transparenz. In welcher Weise wurden diese Aspekte in der Dokumentation hervorgehoben und welche Erkenntnisse lassen sich hinsichtlich seiner Philosophie gewinnen?
Offenheit und Transparenz sind die entscheidenden Punkte, ohne die Gerrits Samenspender-Konstrukt nicht funktionieren würde. Und wie ich in der Recherche festgestellt habe, gibt es viele Samenspender, die diese Punkte nicht so wichtig nehmen und zum Beispiel die Anzahl der schon vorhandenen Spenderkinder verheimlichen oder ihren Partnerinnen gar nichts davon erzählen. Ohne diese Transparenz würde auch seine Frau Chi-Ju ihn nicht unterstützen. Auch das Netzwerk, das sich selbst die „Herde“ nennt, würde es ohne die Offenheit nicht geben. Alles baut darauf auf. Die Grundlage zwischen Gerrit und den Frauen ist Vertrauen. Davon braucht es auch eine Menge auf beiden Seiten. Es ist ja rechtlich eine heikle Situation. Vertrauen wiederum braucht Transparenz. Nur so konnte es bis heute – immerhin schon seit 10 Jahren - so gut funktionieren.
Wurde von Ihrer Seite aus in Erwägung gezogen, Gerrit einen anderen Namen zu geben, um dessen Privatsphäre zu schützen?
Gerrit hat an der Hamburg Media School Regie studiert. Er weiß genau, was er tut und welche Aufmerksamkeit er damit auf sich ziehen wird. Es ist ein selbstgewählter und sehr bewusster Schritt von ihm, damit in die Öffentlichkeit zu gehen. Ich denke, dahinter steht der Wunsch, das Thema Samenspende aus der Tabuzone herauszuholen und zu zeigen, dass er und die Gruppe nichts machen, wofür man sich verstecken muss. Es gibt keine Geheimnisse. Damit sind wir auch wieder beim Thema Offenheit und Transparenz (aus Frage 3). Das ist nur konsequent in meinen Augen.
Lässt sich der Lebensentwurf von Gerrit auch auf andere Männer übertragen, sodass auch sie ohne Partnerin eine Familie gründen?
Nein, ich denke nicht, dass es sich einfach übertragen lässt. Das sind sehr individuelle Lebensentscheidungen, die sehr anhängig von den persönlichen Umständen sind. Außerdem bedeutet Samenspende auch nicht gleich Familiengründung. Gerrit hat seine eigene Familie erst gegründet als er bereits mehrere Spenderkinder hatte. Jeder Mann, der überlegt Samenspender zu werden, sollte alle Vor- und Nachteile gründlich abwägen. Es ist eine Entscheidung, die eventuell eine lebenslange Verantwortung für einen Menschen nach sich zieht.
Welche Erkenntnisse konnten hinsichtlich der Motive und Lebensrealitäten der Frauen gewonnen werden, die sich für Gerrit als Samenspender entschieden haben?
Das Motiv der Frauen ist vielleicht eins der ursprünglichsten menschlichen Motive überhaupt: Der tiefe und höchst emotionale Wunsch nach einem Kind. Und dieser Wunsch ist unabhängig von sexueller Orientierung und Lebensentwurf. Ich bin selbst Mutter von zwei Kindern. Ich kann diesen Wunsch zu tiefst nachempfinden und kann verstehen, dass Menschen bereit sind, dafür auch große Risiken und Anstrengungen in Kauf zu nehmen.
Die meisten Frauen aus der Gruppe haben im Vorfeld mehrere potentielle Spender getroffen und sich dann für Gerrit entschieden. Ich denke, dass seine offene Art, seine klar formulierte Bedingung, dass das Kind wissen muss, wer sein Vater ist sowie die Transparenz oftmals den Ausschlag gegeben haben.
Die Frauen kommen aus ganz Deutschland und den unterschiedlichsten beruflichen und gesellschaftlichen Schichten.
Des Weiteren thematisiert die Dokumentation Kinder mit besonderen Herausforderungen, wie beispielsweise Hugo. Wie wurde die erforderliche Sensibilität für die Behandlung solcher Themen während der Erzählung der Geschichten gewahrt?
Wir haben lange darüber diskutiert, ob wir zusätzlich zum Thema „Samenspende“ auch noch das Thema „Behinderung“ miteinbringen. Wir haben uns dann aber bewusst dafür entschieden – natürlich gemeinsam mit der Familie von Hugo. Behinderung ist Teil des Lebens. Es gehört einfach dazu. Wir wollten es nicht aussparen, aber wir wollten es auch nicht auf einen Sockel stellen. Die Familie ist eine von drei Familien, die wir begleiten. Auch sie leben ein (fast) normales Leben in einer Kleinstadt im Westerwald. Sie sind sehr christlich geprägt. Das hat uns interessiert und ist vermutlich auch nicht das übliche Bild, was viele Menschen von sogenannten Regenbogen-Familien im Kopf haben.
Außerdem ist das Thema „Erbkrankheiten“ bei Samenspendern - vor allem wen sie in größerer Anzahl spenden – ein wichtiges. So stand auch bei Hugos Behinderung die Frage im Raum, ob Gerrit Träger der Mutation sein könnte. Das konnte aber im Laufe der Diagnose ausgeschlossen werden.
Ich habe die Familie im Vorfeld besucht, Hugo kennengelernt und wir haben besprochen, wie wir die Dreharbeiten so gestalten können, dass es für Hugo und die Mütter nicht zu belastend ist. Es gab für die Dreharbeiten klare Abmachungen: Die Mütter konnten jederzeit den Dreh unterbrechen, wenn es für Hugo zu viel geworden wäre. Sie hatten auch jederzeit die Möglichkeit zu sagen, welche gedrehten Situationen sie nicht im Film haben wollen. Ich habe ihnen auch alle Szenen mit Hugo, die im Film vorkommen, vorab gezeigt. Sie haben mir im Anschluss ihre Zustimmung gegeben.
Wie hat sich das Netzwerk, das sich selbstironisch "die Herde" nennt, über die Zeit entwickelt und welchen Einfluss hat diese Gemeinschaft auf die beteiligten Familien?
Dieses besondere Netzwerk war anfangs gar nicht geplant und hat sich dann kontinuierlich mit jeder neuen Familie weiter entwickelt. Es gibt Frauen bzw. Familien, die sich daran sehr intensiv beteiligen, andere wiederum nur sehr wenig. Für die meisten Frauen bzw. Familien ist die „Herde“ eine sehr gute Austausch-Möglichkeit mit Gleichgesinnten. Es dreht sich natürlich im Wesentlichen um die Kinder. Wie bespricht man mit der Kita oder der Schule das Thema? Wie und wann erzählt man welche Details den Kindern? Aber es geht auch ganz banale Dinge, wie Urlaubstipps. Einige Familien sind enger befreundet und besuchen sich gegenseitig. Ich habe gerade auf dem „Herdentreffen“ eine besondere Art von Verbindung festgestellt. Da gibt ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Ich habe die Gruppe als sehr selbstbestimmt wahrgenommen. Niemand muss sich einbringen. Ich denke, dass es für die meisten Frauen und auch für Gerrit und seine Familie die „Herde“ als Bereicherung und Ergänzung der eigenen Familien wahrgenommen wird.
Welche Reaktionen oder Herausforderungen gab es beim Dreh in Bezug auf den doch sehr persönlichen und intimen Charakter der Geschichten, die Sie dokumentieren? Stiegen auch Angehörige im Laufe der Dreharbeiten aus?
Ich habe mit sehr vielen Familien aus der „Herde“ während der Recherche gesprochen. Es gab grundsätzlich sehr viel Offenheit mir gegenüber und auch ein Bedürfnis, ihre Geschichte zu erzählen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sie nichts Verbotenes oder „Verrücktes“ tun, sondern Menschen sind, die sich sehnlichst ein Kind wünschten und dass sich dank Gerrit dieser Wunsch erfüllt hat. Nicht mehr und nicht weniger. Es gab aber mehrere Protagonistinnen, die mir erst zugesagt und dann aus sehr verschiedenen persönlichen Gründen abgesagt haben. Darunter waren auch einige, die die Befürchtung hatten, dass sich eine Teilnahme zum Beispiel negativ auf ihr Berufsleben auswirken könnte.
Es ist grundsätzlich im dokumentarischen Arbeiten nicht ungewöhnlich, dass sich Protagonisten nochmal umentscheiden. Dennoch hatte ich in diesem Fall immer noch die Qual der Wahl. Es gab einige Familien, die gerne mitgemacht hätten und deren Geschichten auch toll waren, aber da der Film nur 45 Minuten lang ist, musste ich mich entscheiden.
Was waren die bewegendsten oder überraschendsten Momente, die Sie während der Dreharbeiten erlebt haben?
Es gab für mich viele Momente, die mich sehr bewegt und überrascht haben. Da war gleich am Anfang unseres Drehs die dramatische Situation mit der Frühgeburt von Katrin. Wir wollten mit Katrin und Sarah eigentlich schon während der Schwangerschaft drehen. Doch auf dem Weg nach Lübeck erreichte uns die Nachricht, dass Katrin ins Krankenhaus muss. Wenig später musste der kleine Otis sechs Wochen zu früh auf die Welt geholt werden. Ich stand mit Katrins Frau Sarah in dieser Zeit im engen Austausch und habe mit ihnen mitgefühlt. Zum Glück waren Mutter und Sohn bald wieder wohlauf und wir durften am Tag der Entlassung mit der Kamera dabei sein. Und dann war da noch das Herdentreffen mit den 17 Halbgeschwistern. Da passierte eigentlich alles auf einmal und wir wussten gar nicht, wohin zuerst mit der Kamera. Die Stimmung war uns gegenüber und auch untereinander so herzlich und offen. Viele Familien kannten sich noch nicht. Einige Halbgeschwister sind sich zum ersten Mal begegnet. Das war schon etwas sehr Besonderes, da mittendrin zu sein und teilhaben zu dürfen.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«Vater bekannt – Ein Samenspender und seine 30 Kinder» ist ab Mittwoch, den 2. Oktober 2024, in der ARD Mediathek verfügbar. Das Erste zeigt am Mittwoch, den 6. November 2024, um 23.20 Uhr ebenfalls die Dokumentation.
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