Martin Rütter ist inzwischen ziemlich bequemlich geworden – und gefährdet damit den Erfolg seines einstigen Quotenhits, meint Mario Thunert.
Es war im Jahr 2019 – dem letzten vor der Coronapandemie – als Martin Rütter mit seinem damaligen Hit-Format
«Der Hundeprofi» das erstaunliche Kunststück fertigbrachte, noch nach elf Jahren auf Sendung neue Rekordquoten aufzustellen. Auf bis zu 13,5 Prozent in der Zielgruppe steigerte sich die Coaching-Dokusoap im Verlauf ihrer 13. Staffel – eine beeindruckende Leistung und ein bärenstarkes Resultat für den kleinen Sender VOX. Bereits zuvor waren im besagten Durchlauf Werte von weit überdurchschnittlichen 10,9 und 11,5 Prozent drin.
Die Fans schienen also auch nach so langer Zeit (seit 2008 war das Format auf Sendung) immer mehr Gefallen an ihrem
«Hundeprofi» zu finden und wurden offensichtlich in großer Zahl von der Aufmachung und Struktur des Konzepts angezogen. Es wäre also eine logische Entscheidung gewesen, den Leuten auch in den folgenden Jahren den Stoff zu liefern, den sie lieben und schätzen gelernt hatten. Doch dann traten zwei Faktoren auf den Plan, die den Crush der Fans nachhaltig durchkreuzten.
Zum einen war da die Coronapandemie, die es Martin Rütter schwer machte, durch NRW und ganz Deutschland zu reisen und mit diversen Hundehalter/halterinnen in Kontakt zu kommen. Zum anderen entwickelte sich eine immer größere Zahl von weiteren Rütter-Formaten auf dem Muttersender RTL, die Rütter die Zeit rauben. Angefangen mit
«Die Welpen kommen» (2019) über
«Die Unvermittelbaren» und
«Die großen Hunde» (2022) sowie weitergehend
«Rabauken auf 4 Pfoten» und
«Die schlausten Tiere der Welt», die in diesem Jahr noch dazugekommen sind. Ja, man könnte wahrlich von einer Schwemme an Tier-Sendungen mit Martin Rütter sprechen, die dieser Zeit eine weitere Inflation hinzufügten.
Jedenfalls führten unter anderem diese zwei Parabeln wohl dazu, die dramaturgische Konstellation und strukturelle Aufmachung von Rütters bisheriger Hauptsendung
«Der Hundeprofi» über den Haufen zu werfen, obwohl sie ja immer besser florierte. Fortan fuhr nicht mehr Martin selbst zu den Hundebesitzern und Besitzerinnen, um ihre Lage zu analysieren und mit ihnen die Trainingsschritte durchzuarbeiten, sondern verschiedene Hundetrainerinnen und Trainer aus Martins Team wie Ellen Marques oder Melle Hofmann. Er selbst kommentierte das Geschehen nur noch von außen vom virtuellen Bildrand aus der Blue-/Green-Box (Shopping-Queen-Prinzip).
«Der Hundeprofi - Rütters Team» war geboren und raubte dem Urformat seine idealisierte Bindefigur – den brillianten Lehrmeister und Analytiker, der sämtlichen Hundehaltern den Schweiß auf die Stirn trieb, weil er sie mit rhetorischer Treffsicherheit entlarvte und mit ausdauernder Beharrlichkeit dazu drang, an sich selbst zu arbeiten, anstatt die Fehler (ausschließlich) bei den Vierbeinern zu suchen
(siehe Podcast) . Damit wurde er zu einem strengen aber auch empathischen Prüfer, der der Grundprämisse ihre unabdingbare Fallhöhe verlieh. Doch Rütter war/ist mehr: Nicht nur ein außergewöhnlicher Experte auf seinem Gebiet, der dieses Experten-Dasein auch wirkungsvoll nach außen transportieren konnte, sondern auch ein aufkeimendes Kamera-Talent, das seine anfängliche Reserviertheit schnell ablegte und zu einem raumgreifenden Präsentator seiner Sendung wurde.
Mit seinem einnehmenden Auftreten und seinem Gefühl für Außenwirkung und Timing konnte Rütter auf authentische Weise die Situationen mit dramaturgischem Vibe und Habitus ausstatten, um ihnen Präsenz und erzählerische Konzentration zu verleihen. Dies machte ihm zum souveränen Leiter der Sendung, deren Erzählung er binden und katalysieren konnte – die Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Medienprodukt und befriedigendes Rezeptionserlebnis bei den Zuschauenden.
Gespeist hat sich der charakteristische Flow vom
«Hundeprofi» aber nicht nur aus der speziellen Art des Tierpsychologen, mit der er den Alltag der Teilnehmenden anhob, sondern auch durch die langen kammerspielartigen Sequenzen im Hundetraining, die oft mit wenigen Schnitten und Zeitsprüngen auskamen (wenn dann kleine dezente) und damit Intensität und situatives Aufgehen im Moment ermöglichten. Erinnert sei beispielsweise an den Fall der Bulldoggen-Dame Fine (S7E5), bei dem Martin sich fast schon kontemplativ über mehrere Sendeminuten der scheuen Hündin mit Leckerlis annähert, um ihr Verhalten zu analysieren.
Jenes Charakteristikum ist in der neuen Team-Version allein deshalb schon vermindert worden, weil schneller und stichprobenartiger durch die jeweiligen Fälle gehuscht wird, die zumindest gefühlt etwas hastiger als früher erzählt werden. Dennoch gibt es auch im neuen Modus noch längere Sequenzen, die jetzt aber – und das ist der gewichtigste Unterschied in der zeitlichen Dramaturgie – öfter bis ständig aus dem Off vom kommentierenden Rütter unterbrochen/überlagert werden, der an den Bildrand geschoben wird. So ergibt sich im Vergleich zu früher kein angenehmes zeitliches Durchlaufen mehr, sondern ein teilweise recht aufdringlicher Stakkato-Rhythmus, der nicht nur das Bild, sondern auch die zeitliche Ebene seziert. Hier wird nicht nur immer wieder ein neuer/anderer Raum aufgemacht, sondern auch eine divergente Zeitlichkeit, die nicht mit den kommentierten Bildern übereinstimmt, weil die Zuschauenden ja wissen, dass die Kommentare nachträglich aufgezeichnet sein müssen. Was bei
«Shopping Queen» zum dynamischen Wettlauf passt, stört beim
«Hundeprofi» den Kammerspiel-Effekt.
Schlimmer macht die Sache noch, dass skizzierte Machart mit eingeschobenem Kommentar vor animiertem Blue-Box-Hintergrund im Rütter-Kosmos mittlerweile derart
inflationär eingesetzt wird, dass der Tier-Coach mehr oder weniger regelmäßig in sage und schreibe 7(!!) Formaten so auftaucht. Das führt dazu, dass die Sendung
«Der Hundeprofi» nicht mehr das Leuchtturmprogramm von früher ist, sondern zu einem Faden in einem schier riesigen grauen Wollknäuel verkommt. Es stellt sich schon die Frage, wie viele Formate nach diesem Gusto RTL, Mina TV und Co. noch aus der Reproduktionsmaschine pressen wollen, ehe sie einsehen, dass diese Struktur den Zuschauenden auf Dauer nur ermüden kann.
Das lässt sich auch an den deutlich gesunkenen Quoten von
«Der Hundeprofi – Rütters Team» ablesen, welches zwar teilweise noch ordentliche Quoten von sieben und acht Prozent holt, oft aber eben auch im Fünf-Prozent-Bereich hängengeblieben ist – temporär mehr als eine Halbierung der Resonanz. Vor diesem Hintergrund sei zum einen die Forderung gestellt, die Rütter-Formate auf 3 zu beschränken.
«Die Welpen kommen» und
«Die Unvermittelbaren» könnten dabei als kommentierte Aufmachungen bestehen bleiben. Im Gegenzug dazu sollte sich
«Hundeprofi» wieder als unkommentierte Reihe klar davon abheben.
Zum anderen kann diese Entscheidung zur Rückbesinnung auf klare Konzentrationsfiguren genutzt werden, die die Zuschauenden
eigenständig an die Hand nehmen. Eine von zwei Figuren sollte selbstredend wieder Martin persönlich sein, dem dies wie wenigen gelingt. Auch wenn seine Trainer/Trainerinnen ebenfalls echte Genies auf ihrem Gebiet und größtenteils total sympathisch sind, so reichen einige von ihnen nicht an die Ausstrahlung und Präsenz von Martin heran – so ehrlich muss man schon sein. Ellen und Melle hingegen stechen hier heraus - sie sind echte Entdeckungen der
«Hundeprofi»-Umstellung. Die souveräne Ellen Marques hat sich hierbei mit ihrer fachlich eloquenten und zugleich spontan lockeren Art noch ein Stück mehr empfohlen. Sie sollte die Reihe z.B. unter dem Titel «Die Hundeprofis: Martin und Ellen» zukünftig in paritätischer Aufteilung mit Martin als gleichberechtigte Partnerin anführen, wodurch sie mehr Raum bekommt. In dieser Duo-Konstellation, in der dann jeder für sich coacht, könnten sich die beiden dann entweder mit jeweils einem Fall pro Folge abwechseln oder eine ganze Ausgabe im wöchentlichen Wechsel bespielen.
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