Der König ist tot. Lang lebe der König. Das gilt jedoch nicht für Gotham. Nach dem Tod des Bosses der Bosse ist dessen Platz bald vakant, denn sein Sohn lebt nicht lange genug, um ihn besteigen zu können. Kommt nun die Zeit des Pinguins?
Achtung, diese Kritik enthält wiederholt Spoiler zu zentralen Handlungselementen des Films «The Batman». Wer den Film noch nicht gesehen hat, ihn aber möglicherweise noch sehen möchte, sollte gewarnt sein.
«The Penguin»
USA 2023/24
SHOWRUNNER: Lauren LeFranc
EXECUTIVES: Matt Reeves, Colin Farrell, Daniel Pipski, Adam Kassan, Lauren LeFranc, Craig Zobel, Bill Carraro
KAMERA: Darran Tieman
MONTAGE: Andy Keir
BESETZUNG: Colin Farrell, Cristin Milioti, Rhenzy Feliz, Mark Strong, Michael Kelly, Shohreh Aghdashloo, Scott Cohen, Clancy Brown, Michael Zegen
Mit «The Penguin» eröffnet HBO ein Cinematic Universe rund um «The Batman». 2022 verkörperte Robert Pattinson erstmals den dunklen Rächer und brachte eine von jeglicher Fantastik befreite Version des Batman auf die Leinwand. Schon Christopher Nolans «Batman»-Trilogie führte Bruce Wayne zu den Wurzeln seiner Herkunft zurück. Die ersten «Batman»-Comics von 1939 präsentierten den Mann im Fledermauskostüm als „the world’s greatest Detective“, dessen Gegner höchst real wirkende Mobster und andere Schurken darstellten. Das erste Zusammentreffen mit Superman und damit der Aufstieg zum Superhelden fand erst 1952 statt. Nolan führte Bruce Waynes dunkles Ich in seinen Filmen bereits zu seinen Wurzeln zurück, aber bei weitem nicht so konsequent wie Regisseur Matt Reeves: Nolans Technikverliebtheit spiegelt sich in Batman wider, der seine vielen Gadgets nutzt, um sich selbst als Person zu überhöhen. Dem gegenüber steht Reeves' Ansatz, Batman als einen Rächer zu porträtieren, der einen kompromisslosen Minimalismus pflegt: Pattinsons Kostüm dient allein dem Schutz des Körpers und soll seine Identität verbergen. Wirklich etwas aussagen will er im Grunde nicht. Und eine echte Mission (jenseits der eigenen Rache) verfolgt er auch nicht. Reeves entwirft in «The Batman» einen Moloch namens Gotham, in dem es keine Wunder und keine Erlösung zu geben scheint. Pattinsons Batman selbst ist eine ruhelose, kaputte Figur, deren moralischer Kompass nur mühsam über dem Abgrund balanciert, in den seine Gegner längst gestürzt sind. Dieser Batman, gefangen in seinem düsteren Rachefeldzug, sieht sich am Ende des Films mit einer überraschenden, vielleicht sogar schockierenden Offenbarung konfrontiert: Der Riddler, der sich durch die Unterwelt Gothams mordet, ist der festen Überzeugung, dass Batman und er im Grunde Seelenverwandte sind. Was so falsch gar nicht ist und Bruce Wayne zu der Erkenntnis führt, dass sein Tun ohne eine klare ethische Grundlage ins Leere laufen wird. Der Film endet somit nicht nur mit einer physischen Konfrontation zwischen Protagonist und Antagonist, sondern auch mit einer Einsicht, die Bruce Wayne erkennen lässt, dass sein Streben nach Gerechtigkeit auch ein Streben nach innerer Erlösung sein muss.
Wo ist der Mehrwert?
Schon an diesem Punkt stellt sich die Frage, welchen Mehrwert «The Penguin» als Serie, die direkt an den Geschehnissen von «The Batman» anknüpft, für die Geschichte des dunklen Ritters haben soll – wenn dieser in der Serie nicht einmal auftaucht. Batman schwingt sich also zum Beschützer der Stadt auf. Wenn aber ein Krieg um die Nachfolge von Carmine Falcone vom Zaum bricht, wo ist dann Batman? Macht er gerade ein bisschen Urlaub auf Sylt? Wir wissen ja: Das Internet ist in Deutschland Neuland, da bekommt man nicht immer so schnell mit, was in anderen Teilen der Welt passiert. Also: Falcone ist tot und Batman im Sabbatical?
Okay…
Es steht also die Frage im Raum, wer das Machtvakuum füllen wird, das in der Stadt durch den Tod von Carmine Falcone entstanden ist, welcher vom Riddler ermordet worden ist. Für seinen Sohn Alberto steht fest, dass er in die Fußstapfen des Vaters treten wird. Das Problem wird jedoch schnell ersichtlich. Carmine war ein Boss. Der mag brutal und skrupellos gewesen sein, doch dumm oder gar unkultiviert war er keineswegs. Alberto ist – der Sohn. Ein Großmaul, ein Gernegroß, der in Papas Schatten sicher sein konnte, dass dieser seine Hand über ihn hielt. Was dazu geführt hat, dass sich Alberto für unverwundbar hält. Der Pinguin, bürgerlich Oswald „Oz“ Cobblepot, hat zu Beginn dieser Serie nicht unbedingt selbst Interesse daran, Falcones Thron einzunehmen. Unter Alberto Falcone hatte er seinen Platz, die Hierarchien waren klar geregelt. Der Laden lief rund.
Dieses System ist ins Wanken geraten.
Eines Abends, wie genau es dazu kommt, würde den Rahmen sprengen, trifft Alberto den Pinguin. Allein. Es ist das typische Gespräch eines überheblichen Sohnes mit einem Gefolgsmann des Vaters, in dem dieser dem Gefolgsmann erklärt, wo sich sein Platz befindet. Albertos Problem: Es fehlt ihm an Impulskontrolle. Und so reicht es ihm nicht aus, Oswald ein bisschen Angst zu machen, getreu dem Motto: Blick nicht die Leiter hinauf. Nein, der Pinguin ist bekanntlich in seiner Motorik eingeschränkt. Auch wenn es nie laut gesagt wird, ist klar, warum er den Spitznamen Pinguin trägt. Es ist sein Gang, über den sich Alberto lustig macht. Alberto wird – sehr persönlich. Um einen Moment später eine Kugel in den Schädel geballert zu bekommen, denn auch Oswald hat ein kleines Problem mit seiner Impulskontrolle. Aufgewühlt von Albertos Worten bringt er ihn kurzerhand um. Diese Kurzschlusshandlung hat zur Folge, dass Gotham nun gänzlich ohne Führung dasteht – was allerdings noch niemand weiß, da Oswald die Leiche erst einmal verschwinden lässt, wobei ihm ein jugendlicher Krimineller zur Hand geht. Victor Aguilar ist ein Teenager, den Oz erwischt, als er sich mit anderen an seinem Wagen zu schaffen macht. Eigentlich braucht er gerade nur dessen gesunde Hände und Füße (bevor er sich seiner offensichtlich zu entledigen gedenkt). Doch der Junge entpuppt sich als nützlich.
Wie dem auch sei: Durch die Ermordung Albertos werden Gotham unruhige Zeiten bevorstehen…
Die Vorab-Kritiken zu den ersten Episoden sind in den USA regelrecht euphorisch ausgefallen. Auf «Rotten Tomatoes» beschreibt sie ein Kritiker als ein wahres Fest für die Sinne, mit herausragenden schauspielerischen Leistungen und einem fesselnden visuellen Stil, der die Serie zu einem „Muss“ macht. Das Eintauchen in die Mobster-Welt bezeichnet «Variety» als auf dem Niveau von «The Sopranos» spielend. «IndieWire.com» lobt die „meisterhafte Untersuchung der Kriminalität“, die gleichermaßen grotesk wie fesselnd sei. Und dann ist da der «Hollywood Reporter», der die Darstellung von Hauptdarsteller Colin Farrell lobt, aber anmerkt, dass dies die Serie von Cristin Milioti werden könnte, die seine makellose Performance locker überstrahlt. Cristin Milioti ist Sofia Falcone, Albertos Schwester, die von der Familie ins Arkham Asylum abgeschoben und verleugnet worden ist. Außer von Alberto, der sie als einziger besuchte. Sofia ist intelligent, viel intelligenter als Alberto. Wahrscheinlich als die meisten. Das Problem ist, dass Morden für sie keine unschöne Begleiterscheinung des Mobsterhandwerks darstellt, sondern dass es sich um ihre leidenschaftliche Vorliebe handelt. Sie liebt es, Menschen umzubringen. Sie ist irre. Und nach Albertos Tod die letzte Falcone.
Die Zusammenfassung der Handlung der ersten beiden Episoden klingt, wenn man sie so liest, doch gar nicht schlecht. Jedoch sind die ersten beiden Episoden langweilig wie der Besuch einer Raufasertapetenausstellung in der Stadthalle Wanne-Eickel. Das mag alles gut aussehen und ja, die Darstellerinnen und Darsteller liefern einen angemessenen Gegenwert für ihre Bezahlung. Es wird jedoch geredet wie in einem Shakespeare-Drama, das dann auch noch von einer deutschen Bühne aufgeführt wird, die aus einer vierstündigen britischen Hamlet-Inszenierung mal eben acht Stunden macht. Und dann liegt da eine spürbare Angst der Macher in der Luft, die nur als feige bezeichnet werden kann. Denn statt Sofia als Kernirre darzustellen und den Pinguin als einen übergewichtigen Mobster mit Problemen der Impulskontrolle (und sie darauf zu fokussieren), wird mit ihnen gemenschelt. So bekommen wir einen Blick auf die Seele des Pinguins gestattet - in seinem Fall sind dies seine nackten, deformierten Füße. Der arme Kerl hat ja auch eine Last zu tragen. Gut, andere Menschen mit solchen körperlichen Beeinträchtigungen werden Chirurgen, eröffnen Eisdielen oder arbeiten als Steuerfachangestellte, ohne Drogen zu verticken und Leute umzubringen, aber es ist offensichtlich, dass hier ein bisschen Verständnis erzwungen werden soll
Er hatte es halt nie leicht. Und Sofia … ist halt von ihrer Familie abgeschoben worden. Nur weil sie gemeingefährlich ist und die Welt brennen sehen möchte, heißt das doch nun wirklich nicht, dass man sie gleich ins Arkham Asylum abschieben muss.
Oder vielleicht doch?
Und dann ist da Oswalds Beziehung zu dem Jungen. Was soll das sagen? Dass sich auch jemand wie der Pinguin letztlich nur eine Familie wünscht? Einen guten Sohn, der dem Vater respektvoll gegenübertritt und ihm hin und wieder hilft, Leichen verschwinden zu lassen, während der Vater für seine Zukunft sorgt? Sagt ja niemand, dass eine Vater-Sohn-Beziehung zwingend auf der Bluteebene verlaufen muss.
Klar kann eine Serie im Laufe ihrer Spielzeit das Tempo anziehen und dramaturgisch einen Tsunami aufs Publikum loslassen, der frühe Schwächen vergessen lässt. In der heutigen Zeit jedoch bekommen Serien keine Zeit. Entweder sie packen es gleich zu Beginn. Oder gar nicht. Und dieser Beginn ist im Fall von «The Penguin» schlichtweg öde. Wer Mobster-Storys mag und wem es egal ist, ob es eine Vorgeschichte mit einem Typen im Fledermausdress gibt, wird vielleicht in die Geschichte reinkommen, das ist nicht ausgeschlossen. Siehe die sehr positiven Kritiken aus den USA.
Wer jedoch «The Batman» mochte, wird aus dem Stirnrunzeln nicht mehr herauskommen. Es ist nicht nur die Abwesenheit von Batman persönlich, die im Rahmen dieser Handlung irritiert. Das gesamte Worldbuilding des Spielfilms wird vollkommen ignoriert. Zur Erinnerung: In einem letzten Akt der Verwüstung lässt der Riddler die Schutzdämme um Gotham sprengen. Dieser Akt führt jedoch nicht in den Untergang der Stadt. Die Zerstörungen mögen enorm sein, doch aus diesen Trümmern erhebt sich in diesem Augenblick die Zivilgesellschaft mit dem klaren Bekenntnis: Es reicht. Die Zerstörung mündet nicht einfach in einen Neuaufbau der Steine, die Gesellschaft fasst den Entschluss, sich neu und besser zu definieren – während Batman (aus dem Off erklärt), dieser Gesellschaft beizustehen als ein Vorbild. Und «The Penguin»? Kein Batman! Keine Zivilgesellschaft! Business as usual! Wozu also der Spielfilm? Die Macher der Serie haben zwar mehrfach betont, dass sie für sich alleine stehen soll. Warum aber beginnt ihre Handlung in dem Moment, in dem die Dämme brechen? Es ist nicht selten, dass solche Statements oft abgegeben werden, wenn man feststellt, dass möglicherweise Fragen gestellt werden könnten ...
Wie wird «The Batman 2» diese Brüche aufnehmen? Die simpelste Story wäre, Batman kommt vom Sylt-Urlaub nach Hause, sieht, was unter den Gangstern abgeht, holt den Riddler aus dem Arkham Asylum und gibt ihm 48 Stunden Zeit, die Stadt auf seine Weise vom Verbrechen zu befreien (wenn er verspricht, keine Dämme zu sprengen). Oder Teil 2 ignoriert den Pinguin-Mobster.
Ohne Not hat sich dieses neue Batman-Universum mit «The Penguin» eine gewichtige Hypothek für die Zukunft aufgehalst. Denn ganz gleich, ob man die Serie als öde empfindet oder als Mobsterserie durchaus schätzen kann, das Worldbuilding des Spielfilms wird von der Serie regelrecht in die Tonne getreten!
Ab 20. September auf Sky/WOW, acht Episoden
18.09.2024 12:27 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/154855
Christian Lukas
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