Im Vorfeld der neuen Doku-Reihe «Harry – Schicksalsjahre eines Prinzen» hat Dr. Mark Willock, HA Doku, Redaktion Zeitgeschehen/Geschichte & Entdeckungen, die royale Königsfamilie für Quotenmeter eingeordnet.
Was war der Auslöser, abseits des 40. Geburtstag, für die Entscheidung, Prinz Harrys Leben in einer eigenen Dokuserie zu beleuchten, und wie fügt sich diese Serie in die bisherige Reihe von royalen Dokumentationen der ARD ein?
Nach den beiden erfolgreichen Dokuserien «Die Queen – Schicksalsjahre einer Königin» und «Charles – Schicksalsjahre eines Königs» wollten wir in einer dritten Staffel uns einem Mitglied der nächsten Generation der Windsors nähern. Vor dem Hintergrund des Wegzugs von Harry und Meghan aus dem Vereinigten Königreich, den Enthüllungen des Herzogpaares Sussex sowie den damit verbundenen Fragen um die künftige Ausrichtung der Monarchie war es naheliegend, Prinz Harry in den Fokus zu rücken.
Die Serie beleuchtet Harrys Leben aus seiner Perspektive. Welche Herausforderungen gab es dabei, eine ausgewogene Darstellung zu gewährleisten, die sowohl Harrys Sichtweise als auch die der königlichen Familie berücksichtigt?
Harry hat seine Version der Ereignisse innerhalb der königlichen Familie, seine Wahrheit, ausführlich dargelegt. Im Gegensatz dazu hat die Familie, abgesehen von ein paar knappen Statements zu Harrys Abschied und den Rassismusvorwürfen im Interview mit Oprah Winfrey, größtenteils geschwiegen. Diese Tatsache allein spricht Bände über ihr aktuelles Verhältnis. Indem wir zeigen, wie sich die Familie in der Öffentlichkeit zeigt, werden spannende Einsichten zutage gefördert. Ihre Haltung zu Harry und Meghan haben die Royals bei öffentlichen Zeremonien, wie etwa dem 70. Thronjubiläum der Queen 2022, deutlich zum Ausdruck gebracht. In der physischen Distanz, die sie dabei wahrten, spiegelte sich auch die emotionale Kluft zwischen den Familienmitgliedern wider. Ob diese Kluft überwunden werden kann, ist Anlass zahlreicher Spekulationen und es hilft, sehr genau hinzusehen, um die Sichtweise der „Konfliktparteien“ besser zu verstehen.
Wie sind Sie bei der Recherche für diese Dokuserie vorgegangen? Gab es bestimmte Quellen oder Zeitzeugen, die besonders wertvolle Einblicke in Harrys Leben geliefert haben?
Wie wir wissen, verfolgt die königliche Familie seit jeher eine strikte Schweigepolitik, wenn es um ihr Leben hinter den Palastmauern geht. „Never complain, never explain“, heißt es bei den Windsors. Diese Regel hat Harry mit seinem Memoirenbuch „Spare“ (dt.: „Reserve“) 2023 gebrochen. Auf mehr als 400 Seiten erfährt man dort allerhand Intimes und Skurriles über ihn und seine Familie, aber auch viel Tragisches und Trauriges. Klar ist aber auch, dass „Reserve“ ausschließlich Harrys Sicht der Dinge ist. Darum haben wir weitere Quellen herangezogen, um multiperspektivisch der Wahrheit ein Stückchen näher zu kommen. Insbesondere die Bücher „Battle of Brothers“ des britischen Historikers Robert Lacey und „Palace Papers“ der US-Autorin Tina Brown bieten interessante Einblicke in das Leben der Royals und weichen in zentralen Punkten von Harrys Darstellungen ab. Nicht zuletzt aber haben unsere Experten und Expertinnen vor der Kamera dazu beigetragen, ein vielstimmiges Porträt des Prinzen zu zeichnen.
Harry wurde oft als das „schwarze Schaf“ der Windsors bezeichnet. Wie greift die Dokuserie dieses Narrativ auf und inwiefern wird versucht, dieses Bild zu hinterfragen oder zu relativieren?
Die Serie beleuchtet selbstverständlich die Aspekte, die immer wieder für Schlagzeilen sorgten und viel zu diesem Ruf beigetragen haben – zum einen die Skandale etwa um Drogenkonsum auf dem Landsitz seines Vaters, das Tragen einer Nazi-Uniform oder Nackt-Billard in Las Vegas, zum anderen aber auch die Enthüllungen der letzten drei Jahre, in denen Harry viele private Details aus dem Leben der sonst schweigsamen königlichen Familie preisgegeben hat. Zugleich relativiert die Serie dieses eher negative Bild und zeigt auch Harrys Stärken und Verdienste: seine Militärkarriere, sein ehrenamtliches Engagement insbesondere für die von ihm ins Leben gerufenen Invictus Games und seine Entschlossenheit, notfalls juristisch den unlauteren Methoden der britischen Boulevardpresse ein Ende zu setzen.
Die Autobiografie trieb ein weiteres Beil zwischen der Harry und der Königsfamilie. Auch Freunde aus Hollywood fühlten sich verraten. War dieses Buch ein Fehler?
Harry will das Narrativ über sein Leben kontrollieren und steuern, seine Perspektive auf Ereignisse und Personen darlegen. In dieser Hinsicht war das Buch ein Erfolg – mit 3,2 Millionen verkauften Exemplaren in der ersten Woche auch wirtschaftlich. Es fragt sich aber, was Harrys langfristiges Ziel ist. Wenn er ernsthaft die Versöhnung mit seiner Familie sucht, dürfte das Buch eher kontraproduktiv gewesen sein.
Der Bruch mit der königlichen Familie und der Rücktritt von Harry und Meghan von ihren royalen Pflichten waren weltweite Schlagzeilen. Wie nähert sich die Dokuserie diesem kontroversen Thema und welche neuen Erkenntnisse können die Zuschauer erwarten?
Auch in der Serie spielen die Ereignisse seit 2020 eine zentrale Rolle. Es wird klar, warum der Plan des Ehepaars Sussex für ein neues Lebensmodell innerhalb der königlichen Familie – halb drin, halb draußen – so brisant war und letzten Endes zum Scheitern verurteilt war. Da die offiziellen Stellungnahmen des Königshauses zum Rückzug von Harry und Meghan und zu ihren Äußerungen seitdem sehr rar gewesen sind, fokussieren wir auf den Umgang der königlichen Familie mit dem Ehepaar Sussex bei wichtigen Ereignissen wie etwa dem Platinjubiläum der Queen im Sommer 2022 oder ihrer Beerdigung wenige Monate später. Hier verrät das königliche Zeremoniell viel über den Bruch in der Familie Windsor.
Inwiefern wird Harrys Militärkarriere und sein Engagement für Veteranen in der Dokuserie thematisiert? Welche Bedeutung hat dieser Aspekt in der Darstellung seiner Persönlichkeit und seines Lebensweges?
Harrys Militärkarriere, sein Kriegseinsatz in Afghanistan und sein Engagement für Veteranen, insbesondere im Rahmen der von ihm initiierten Invictus Games, spielen eine zentrale Rolle in der Serie. Indem sich Harry für eine Militärkarriere entschied, folgte er einer langen Familientradition. Für Harry war die Zeit im Militär aber nicht nur Beruf, sondern gewissermaßen Berufung. Er fühlte sich in der Armee wohl, ist in dieser Zeit selbstbewusster geworden, gereifter. Der Militärdienst hat ihm viel Respekt und Anerkennung eingebracht. Umso mehr hat der Entzug seiner militärischen Ehrentitel 2021 ihn getroffen.
Welche Rolle spielt Harrys Autobiografie „Reserve“ in der Dokumentation, und wie wurde der Inhalt dieses Buches in die narrative Struktur der Serie integriert?
Harrys Autobiographie ist eine der Quellen unseres Projekts gewesen. Sie bietet uns seine Einschätzung, Sichtweise und Reflektion der Ereignisse und handelnden Personen. In einigen entscheidenden Momenten in Harry Leben greifen wir auch auf Zitate aus dem Buch zurück. Da „Reserve“ aber ausschließlich Harrys Perspektive wiedergibt und für uns ein ausgewogener, multiperspektivischer Blick auf sein Leben sehr wichtig war, zeigen wir durch andere Quellen und insbesondere durch die Statements unserer Gesprächspartner:innen, wo es andere Positionen gibt, die Harrys Narrativ relativieren oder sogar in Frage stellen.
«Harry & Meghan» wurde von dem Paar für Netflix gedreht. Ist das für Sie eine Dokumentation oder ein PR-Film?
«Harry & Meghan» dokumentiert die Sichtweise des Paares. Harry und Meghan nutzen die Serie, um ihre Botschaft zu transportieren. Mir persönlich fehlt die journalistisch-kritische Distanz, die ich für ein wichtiges Element des dokumentarischen Genres halte.
Harry und Meghan wurden früher oft als Symbol für den Wunsch nach Modernisierung innerhalb der Monarchie betrachtet. Wie schaut das Vereinigte Königreich jetzt auf die Beiden? Wird dies in der Dokumentation beleuchtet?
Zweifelsohne standen Harry und Meghan für einen Aufbruch in der königlichen Familie. Sie wurden als modern wahrgenommen, weniger traditionell. Sie erhielten deshalb zunächst viel Zuspruch, insbesondere aus Kreisen, die der Monarchie kritischer gegenüberstehen. Trotz der gewaltigen medialen Aufmerksamkeit, die das Interview mit Oprah Winfrey, die Autobiographie „Spare“ und die Netflix-Serie generierten, habe ich den Eindruck, dass das Ehepaar Sussex in letzter Zeit an Popularität eingebüßt hat. Das mag damit zusammenhängen, dass die Krebserkrankungen von Charles III. und Prinzessin Kate im Vordergrund stehen und der königlichen Familie viel Sympathie entgegengebracht haben.
Netflix-Dokumentation, „Reserve“ oder ARD-Miniserie? Wo bekommt der Rezipient die besten Informationen geliefert?
Wer eine ausgewogene, unterhaltsame Darstellung des facettenreichen Lebens von Prinz Harry sucht, in der kenntnisreiche Beobachter:innen zu Wort kommen und die Ereignisse einordnen und aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, ist bei der ARD-Miniserie genau richtig. Aber sehen Sie selbst.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Ab 9. September 2024 ist «Harry – Schicksalsjahre eines Prinzen» in der ARD Mediathek und am 16. September 2024 um 20.15 Uhr in einer einstündigen Fassung im Ersten
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