Die mehrfache Goldmedaillengewinnerin und ihre Kolleginnen vermarkten sich wie Superstars. Die Reichweite ist riesig, dennoch müssen die Sportler ihre Wettkampferfolge als Sprungbrett nutzen.
Die 1,42 Meter große Simone Biles begeistert seit Jahren das Fernsehpublikum. Der Streamingdienst Netflix hat der Turnerin eine Dokumentationsreihe gewidmet, die im Herbst fortgesetzt wird. Seit mehr als zehn Jahren trainiert die aus Spring, Texas, stammende Athletin im World Champions Centre und gehört seit Jahren zur US-Sportelite. Das Besondere an der Turnerin ist, dass sie aus keiner wohlhabenden Familie stammt und sich ihren Erfolg hart erarbeitet hat. Derzeit befindet sich ihre Karriere wohl auf dem Höhepunkt.
Doch anders als in der Netflix-Dokumentation «Simone Biles: Wie ein Phönix aus der Asche» («Simone Biles Rising») ist die Rückkehr auf die Weltbühne nicht so, wie die amerikanische Produktion glauben machen will. Auch bei den Olympischen Sommerspielen in Tokio war Biles mit von der Partie, doch nach mehreren verpatzten Übungen prallte sie bei der Landung vom Boden ab. Sie stolperte beim Abgang vom Schwebebalken und scheiterte trotz Qualifikation für den Mehrkampf am Amanar-Sprung. Nach Biles‘ Aussage war ihre Tante nur wenige Tage vor den Wettkämpfen verstorben, was sie aus der Bahn geworfen habe. Später erklärte sie, sie habe psychische Probleme gehabt.
„Ich sage, dass die psychische Gesundheit an erster Stelle stehen muss. Denn wenn man das nicht tut, kann man den Sport nicht genießen und nicht so erfolgreich sein, wie man es sich wünscht“, sagte die Athletin damals. „Deshalb ist es manchmal auch in Ordnung, bei großen Wettkämpfen eine Pause einzulegen, um sich auf sich selbst zu konzentrieren, denn das zeigt, wie stark man als Athlet und Mensch wirklich ist – anstatt sich einfach nur durchzukämpfen.“ Im Juli 2024 flog sie mit ihren Kolleginnen zu den Olympischen Sommerspielen nach Paris, um unter anderem die Goldmedaille im Kunstturnen zu gewinnen. Ihre Leistungen sind beachtlich, ihre körperliche Disziplin erstaunlich.
Doch die Geschichte, die von Biles in den Medien erzählt wird, stimmt nur zum Teil. Richtig ist, dass sie sich zurück auf die Bühne der Olympischen Sommerspiele gekämpft hat. Die Kampagne wurde aber auch mit Hilfe von Beratern aus dem US-Sportverband organisiert. Da ist zum Beispiel die Netflix-Doku-Serie, die Biles und ihren Mann, den Footballspieler Jonathan Owens (Chicago Bears), bei einem Spaziergang durch ihr neues Haus zeigt.
Die Dokumentation beginnt im Oktober 2023 in Houston, Texas, als Simone Biles im Auto eine verregnete Straße entlangfährt. Sie erklärt, dass dies nicht der Weg zu ihrer Psychotherapie sei, sie müsse sowieso erst wieder trainieren. Sie war nicht oft im Training, stattdessen sieht man die Weltspitzensportlerin auf der Baustelle ihres eigenen Hauses. Biles sagt, sie habe nie geglaubt, dass sie jemals ein Haus bauen würde. Sie habe sich während der Pandemie über das Internet informiert, so wie es normale Menschen heutzutage tun. Jetzt, zu Beginn dieser Dokumentation, ist dieser Traum wahr geworden. Häuslich werden, statt durch die internationalen Turnhallen zu tingeln und Preise abzuräumen? Keineswegs, schließlich wollen die Produzenten den Weg zum Erfolg zeigen und nicht den Weg zur Hausfrau.
Simone Biles war schon vor den Olympischen Sommerspielen in Paris ein Star. Sie gewann vier Goldmedaillen in Rio de Janeiro, eine Silber- und eine Bronzemedaille in Tokio und dominiert seit über zehn Jahren die internationalen Weltmeisterschaften. Bei den Weltmeisterschaften im Kunstturnen 2019 in Stuttgart belegte sie in vielen Disziplinen bereits den ersten Platz. Zurück an die Seine: Bei der vierstündigen Eröffnungsfeier Ende Juli 2024 gehörte sie zu den Stars des amerikanischen Teams. Der Kreis schließt sich: Bei ihren Auftritten bekommt sie bemerkenswert viel Screentime, sodass die Übungen der Konkurrenz teilweise nicht zu sehen sind.
Mit 27 Jahren wird die inzwischen verheiratete Owens wohl zum letzten Mal an Olympischen Sommerspielen teilnehmen. Bei den Spielen in Los Angeles in vier Jahren wird sie sicher wieder ein Angebot bekommen, dann aber nicht mehr als aktive Turnerin. Für ihren Lebensunterhalt muss sie schon jetzt sorgen, schließlich rührt sie fleißig die Werbetrommel für die Tour der Bodenturnerinnen, die im Herbst im kalifornischen Oceanside beginnt und mit der 30. Abendveranstaltung am 3. November in Detroit endet. Ab 250 US-Dollar können Fans die Sportlerinnen live erleben.
Simone Biles beherrscht die Social-Media-Kanäle: 9,1 Millionen Menschen folgen ihr auf Instagram, 2,7 Millionen auf TikTok. Das Video zum Gewinn ihrer ersten Goldmedaille in Paris wurde über 32 Millionen Mal angeklickt. Diese Reichweite spielt Biles geschickt aus, indem sie Motivationsvideos produziert oder vermeintliche Einblicke in die Welt des Sports gewährt. Zwischendurch wirbt sie für Hundefutter und eine Gartenbaufirma, schließlich wäre es fast unprofessionell, diese Reichweite nicht zu bespielen. Zu diesem Erfolg kann man Biles nur gratulieren, schließlich stammt sie nicht aus einer reichen oder besonders sportaffinen Familie.
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