«Monarch: Legacy of Monsters»: Godzilla gibt sich zahm
Von all den großen Streamern agiert Apple+ am unauffälligsten. Man setzt zweifelsohne auf Qualität, jedoch fehlte es bislang an einem großen Aufmerksamkeitserreger. Wenn groß, hat man sich im Hause Apple offenbar gedacht, dann aber bitte auch richtig. Und so haben sich die Kalifornier den größten aller Filmstars geschnappt und in Serie geschickt: Godzilla!
«Monarch»
SHOWRUNNER: Chris Black, Matt Fraction
BESETZUNG: Anna Sawai, Kurt Russell, Wayne Russell, Anders Holm, Ren Watanabe, Kiersey Clemons, Joe Tippett, Elisa Lasowski
KAMERA: Jean Philippe Gossart, Chris Seager, Sam McCurdy
MUSIK: Leopold Ross
Ist Godzilla eigentlich ein er? Müsste er dann nicht Godzillus heißen? Es gibt Fragen, die seit Jahrzehnten im Fandom diskutiert werden. Eines ist unbestritten, Godzilla rockt seit Jahrzehnten die Leinwand. Selbst Pausen wie die zwischen 1975 und 1984, in der keine Filme produziert wurden, hat die Mega-Echse problemlos weggesteckt. Godzilla ist ein echter Kult und hat auch Tiefschläge wie Roland Emmerichs vollkommen verquaste US-Version aus dem Jahr 1998 überlebt. Seit 2014 agiert Godzilla zweigleisig. Legendary Pictures produziert im Auftrag von Warner Bros. eine vollkommen autarke US-Spielfilmreihe und nennt diese „das MonsterVerse“. Auf der anderen Seite darf Toho, der japanische Rechteinhaber, nach wie vor eigene Filme drehen. Die Japaner wissen um den Wert ihres Riesenmonsters und haben es nicht für einen Scheck an die Amerikaner verramscht.
Immerhin haben die Amerikaner im zweiten Einbürgerrungsanlauf alles richtig gemacht.
«Godzilla» hat 2014 die Richtung vorgegeben: Das MonsterVerse ist grimmig und düster, es ist tricktechnisch auf Perfektion getrimmt, bietet erstaunliche Schauwerte und – es nimmt sich ernst. Ironisch wird hier nichts gebrochen. Hier macht sich niemand über die aus heutiger Sicht nicht selten naiv wirkenden Filmen der Showa-Phase (1954 bis 1975) lustig. Die Spielfilme feiern die Originale vielmehr und führen sie in ein neues Jahrtausend. Und das erfolgreich. «Kong: Skull Island» (2017), «Godzilla II: King of the Monsters» (2019) sowie «Godzilla vs. Kong» (2021) haben die Produzenten glücklich gemacht und an den Kinokassen ihr Geld wieder eingespielt. Vielleicht nicht in dem Maße, wie erhofft (bei +170 Mio Produktionskosten hat der letzte Film weniger als 500 Mio eingespielt), aber die Filme schreiben schwarze Zahlen und über den Budget-Wahnsinn wird noch zu sprechen sein.
Mit «Monarch: Legacy of Monsters» kopiert das MonsterVerse das Vorgehen Marvels in Bezug auf das Marvel Cinematic Universe, das nicht mehr nur aus den großen Kinofilmen besteht, sondern auch auf dem kleineren Bildschirm in Serienform stattfindet. «Monarch: Legacy of Monsters» ist ein waschechtes Sidequel, also eine Geschichte, dessen Handlung Seite an Seite mit den Spielfilmen stattfindet. Um korrekt zu bleiben beginnt die Geschichte der Serie 2015, ein Jahr nach den Geschehnissen des ersten Spielfilmes und präsentiert Cate, eine junge Lehrerin aus San Francisco. Cate ist Amerikanerin japanischer Herkunft. Den Tag, an dem die Menschheit feststellen musste, nicht alleine zu sein und ein gewisser Godzilla begann, die amerikanische Ostküste heimzusuchen, hat sie hautnah in San Francisco miterleben müssen. Der Tod einiger Schüler von ihr hat sie traumatisiert. Aber das Leben muss weitergehen und ein Jahr nach den Geschehnissen ist eine Art neue Normalität in die Welt eingezogen. In Städten wie Tokio gibt es beispielsweise Hinweisschilder in den Straßen, die die Wege zu den nächstgelegenen Schutzbunkern weisen. Man ist auf einen neuen Angriff vorbereitet. So gut es geht zumindest. Cate reist nach Tokio, um die Wohnung ihres Vaters aufzulösen. Der war ein amerikanisch-japanischer Naturwissenschaftler, der in der Heimat seiner Mutter gearbeitet hat. Vor einem Jahr ist er spurlos verschwunden, es ist davon auszugehen, dass er tot ist. Bei ihrem Eintreffen in Tokio findet Cate allerdings kein verwaistes Apartment vor. Vielmehr muss sie feststellen, dass ihr Vater Hiroshi ein Doppelleben geführt hat – inklusive einer japanischen Ehefrau und eines japanischen Sohnes im Alter von Cate. Vollkommen entsetzt will Cate zunächst nach Hause zurückkehren; die Erkenntnis aber, ihren Vater nicht wirklich gekannt zu haben (beziehungsweise feststellen zu müssen, dass der über Jahrzehnte sein Doppelleben verschweigen konnte), hält sie davon ab. Was hatte er sonst noch zu verbergen? Ihr Halbbruder Kentaro, der nicht weniger entsetzt über das Auftauchen einer Schwester ist, scheint immerhin ein bisschen mehr über die Arbeit ihres Vaters zu wissen. Bei ihren gemeinsamen Nachforschungen finden sie Unterlagen zu einer Einrichtung namens Monarch, von der ihr Vater regelrecht besessen gewesen ist. Da einige Informationen nur digital vorliegen und verschlüsselt sind, bittet Kentaro eine Freundin um Hilfe. May ist Amerikanerin und lebt in Tokio. Sie verfügt über Skills, verschlüsselte Dateien zu knacken.
«Monarch: Legacy of Monsters» unterläuft anfangs geschickt die Erwartungen der Zuschauerschaft, indem die Serie als eine Art intime Familiengeschichte über das Doppelleben eines Mannes beginnt. Auch in Bezug auf die Charakterzeichnung überrascht die Serie. Wird Cate zunächst als Hauptfigur eingeführt – ist sie nicht die Sympathieträgerin. Obschon es keinen Hinweis darauf gibt, dass die japanische Ehefrau ihres Vaters vom Doppelleben ihres Mannes gewusst hat, behandelt sie diese, als wäre sie eine miese Betrügerin. Mag ihre Emotionalität begründet sein, sympathisch macht sie dieses Verhalten zunächst nicht. Daher ist es Kentaro, dem diese Rolle zufällt. Er ist nicht weniger geschockt, dennoch behält er einen vergleichsweise kühlen Kopf und reicht seiner Halbschwester die Hand.
Man erwartet von einer Serie nicht unbedingt einen solchen Einstieg, er ist jedoch wohl überlegt. Unbekannt ist die Organisation Monarch nicht. Eingeführt wurde sie bereits im zweiten Film, John Goodmann stellte in diesem Film Bill Randa dar, den Leiter von Monarch. Es ist kein Spoiler zu verraten, dass eben dieser Bill Randa für die Handlung der Serie nicht ganz unwichtig ist, denn wie heißt Cate eigentlich mit Nachnamen? Randa! Durch die familiäre Bande besteht für die Hauptfiguren Cate und Kentaro eine emotionale Bindung zur Geschichte, auf der anderen Seite verbleibt die Story weitestgehend auf Augenhöhe mit seinen beiden Protagonisten. Was sie erfahren, erfahren wir, die Zuschauer.
Ihre Nachforschungen führen die Halbgeschwister in die Vergangenheit – womit ein parallel verlaufener, zweiter Handlungsstrang beginnt, dessen Geschichte in den 1950er Jahren spielt. Der amerikanische Offizier Lee Shaw wird zum Schutz der Wissenschaftlerin Dr. Keiko Miura abkommandiert, um sie auf einer Forschungsreise auf einer philippinischen Insel zu begleiten. Shaw ist selbst kein Wissenschaftler, aber ein ehrlicher Kerl und jemand, der Geheimnisse für sich behalten kann. Außerdem stellt er nicht zu viele Frage. Auf ihrer Expedition läuft ihnen der etwas nerdige Kryptozoologe Bill Randa über den Weg, der offenbar Spuren folgt, die auch für Dr. Miura von Interesse sind.
Bevor die Kritik beginnt, sei ein Lob vorangestellt. Dargestellt werden Dr. Miura, Bill Randa und Lee Shaw von Mari Yamamoto, Anders Holm und Wyatt Russell. Und diese Besetzung ist ein Glücksfall. Die Geschichte der drei Suchenden spielt sich in einem Zeitraum von knapp zehn Jahren ab und ihr Zusammentreffen auf den Philippinen ist nur ein Mosaikstein in einer Geschichte, die über die einzelnen Episoden hinweg wächst. Und nicht einen Moment entsteht der Gedanke, dass hier nur Schauspieler ihre Rollen spielen. Es ist eine Freude drei Menschen zuzuschauen, die über die Handlungsdauer hinweg eine Freundschaft entwickeln, die nie hinterfragt wird – weil sie einfach echt wirkt. Umgangssprachlich sagt man dazu: Es stimmt einfach die Chemie zwischen den Dreien. Dass Bill Randa-Darsteller Anders Holm keine Ähnlichkeit mit John Goodman aufweist, stört nicht. Holm, von Hause aus eigentlich ein Komiker, ist die Idealbesetzung, da man ihm einerseits den Nerd abnimmt, er aber auch in den eher ernsten Momenten zu überzeugen vermag.
Wem die drei auf der Spur sind, muss wohl nicht weiter erwähnt werden. Es gibt da Geschichten über eine Echsensichtung ...
Das Bindeglied zwischen den Geschehnissen der Vergangenheit und der Gegenwart stellt die Figur des Lee Shaw dar. Der nämlich lebt 2015 noch und erfreut sich bester Gesundheit – um von Kurt Russell dargestellt zu werden, dem Vater von Wyatt! Cate und Kentaro finden bei ihren Nachforschungen auf jeden Fall seinen Namen und erfahren, dass er in einem Seniorenheim von Monarch lebt. Ihr Auftauchen ist der Moment, auf den Lee gewartet hat. Monarch nämlich hat Dreck am Stecken.
Das behauptet zumindest die Handlung, denn was ab Episode 3 geschieht, darf als narratives Desaster bezeichnet werden.
Ui!
Die Inhaltsagave bezieht sich in erster Linie auf die ersten beiden Episoden. Auffällig ist, dass Godzilla in dieser Inhaltsangabe so gut wie gar nicht auftaucht. Bei einer zehn Episoden umfassenden TV-Serie erwartet niemand eine Effektschlacht à la «Godzilla vs. Kong». Es ist aber nicht das Fehlen der heiß erwarteten Riesenechse, die zu einem Ärgernis mutiert. Es sind die Episoden 3 und 4, die schlicht keinen Sinn ergeben. Lee muss aus seinem Seniorenheim fliehen, man trifft auf irgendwelche bösen Riesenviecher (die nicht Godzilla heißen), man wird von Monarch gejagt, Monarch ist böse, Monarch ist gar nicht böse, man zieht von Ort A zu Ort B, weil die Handlung einen Ortswechsel braucht, weil Spielzeit gefüllt werden muss. Das, was in diesen beiden Episoden geschieht, ist derart verquast, dass es sich kaum in Worte fassen lässt. Ohne die Handlung der Vergangenheit, die ein bisschen Ordnung in die Story bringt, wäre spätestens die Sinnlosigkeit des Geschehens der vierten Episode ein Grund, aus der Serie auszusteigen. Was «Monarch: Legacy of Monsters» hier abliefert, ist ganz einfach unfassbar schlecht geschriebenes Serienfernsehen. Wie das passieren konnte? Ganz einfach: «Monarch: Legacy of Monsters» hat eine Handlung, die etwa sechs, maximal (aber wirklich auch nur mit gutem Willen) sieben Episoden mit Spielzeit zu füllen vermag. Entweder wollte Apple+ aber unbedingt zehn Episoden – oder bei Warner/Legacy wurde einfach verdammt gut verhandelt: So oder so, die Serie ist viel, viel zu lang. Vor allem wird sie in dieser Länge ihrem Titel nicht gerecht. Sie erzählt die Geschichte von Monarch. Sie findet aber keinen wirklichen Zugang zu Monarch. Zumindest nicht das Monarch der Gegenwart. Zu keinem Moment gelingt es der Serie so etwas wie eine klare Linie bezüglich der Ausrichtung von Monarch zu finden. Wurde Monarch gegründet, um ein Auge auf Riesenechsen zu werfen (okay, das wurde Monarch, das ist aber auch schon aus den Spielfilmen bekannt). Hat Monarch vielleicht einen Fehler gemacht, weil es die Titanen (wie Godzilla und King Kong) unterschätzt hat und deren Rückkehr nicht voraussah? Das wird angedeutet. Was aber will Monarch dann heute, was machen die Jungs und Mädels? Tja, und das ist der Punkt: Die Serie hat keine Idee. Läuft da eine Verschwörung, wird was vertuscht? Es schmerzt regelrecht, dem Desaster zuzuschauen, das in der zweiten Hälfte der Spielzeit (fünfte, sechste, aber auch noch die siebte Episode) im Grunde nur daran arbeitet, das narrative Desaster klein zu halten und nicht ausufern zu lassen. Irgendwie (ein böses Wort, aber es trifft ziemlich genau den Punkt) kehrt die Serie in eine Spur zurück, auf der Godzilla jedoch nur eine Nebenfigur bleibt. Da die Serie allerdings «Monarch: Legacy of Monsters» heißt, also dezidiert Godzilla nicht im Titel trägt, ist das wenigstens nicht zu kritisieren. Das Auftauchen von Godzilla erstmals in den 1950er Jahren zeigt vor allem erst einmal eine große Ratlosigkeit bei den Militärs auf, die nicht wissen, wie mit diesem Geschehen umzugehen ist. Es rückt auch die Protagonisten der Vergangenheitsstory noch einmal etwas schärfer in den Fokus, da ihre Rollen an Gewicht gewinnen. Um ein Wesen wie Godzilla verstehen zu können, braucht es Außenseitermeinungen, die Analyse von Menschen, die auch einmal um eine Ecke denken können. Die Gegenwartshandlung bleibt jedoch über weite Strecken verworren und planlos, bis sie mit den letzten beiden Episoden glücklicherweise in ihre Spur (zurück-)findet. Diese beiden Episoden sind es, die das Durchhalten belohnen, denn was am Ende geschieht, lässt die Geschichte der Titanen in einem ganz neuen Licht erscheinen. Aber nicht nur das: Die Story findet endlich zu sich – und hat keine Angst vor schrägen Ideen. Einige echte Überraschungen erwarten die Zuschauerschaft, auch findet die Serie endlich zu einer Zutat, die über die Hälfte der Spielzeit kaum mit der Lupe zu finden ist: Spannung.
Leider werden auch Effekt-Fetischisten nicht durchgängig bedient. Godzilla selbst sieht fantastisch aus, was jedoch nicht wirklich überrascht, denn die Produktion konnte auf die Software der Spielfilme zurückgreifen. «Monarch: Legacy of Monsters» präsentiert tatsächlich den gleichen Godzilla wie die amerikanische Kinofilme. Viele andere Effekte können jedoch nicht in dieser Art und Weise überzeugen. «Monarch: Legacy of Monsters» sieht nicht schlecht aus, aber mehr als gehobenen Durchschnitt gibt es jenseits der Hauptechse nicht zu bestaunen.
Was die Serie gekostet hat, ist nicht wirklich vom Streamer in Erfahrung zu bringen, ein Big Budget aber war es auf jeden Fall nicht – was dann zu der Frage führt: Eignet sich die Serie als Appetitanreger für den kommenden Spielfilm?
Die Antwort lautet: Nicht wirklich. Dafür ist Monarchs Geschichte zu verworren, aber eben auch die Schauwerte sind nicht dazu geeignet, die Zuschauer derart anzufixen, dass der nächste Spielfilm unbedingt auf der Watchlist stehen müsste. Was in Hollywood sicher mit etwas Unbehagen zur Kenntnis genommen werden dürfte – gerade vor dem Hintergrund, dass Toho gerade gezeigt hat, wie man heute einen modernen «Godzilla»-Film inszeniert. «Godzilla Minus One» hat sich zu einem weltweiten Kinophänomen entwickelt und weit über 100 Mio Dollar eingespielt – bei einem kolportierten Budget von 15 Mio Dollar (laut Regisseur Takashi Yamazaki war es sogar weniger). Auch in «Godzilla Minus One» ist die Riesenechse eher ein Gaststar, wenn Godzilla aber zuschlägt, dann kracht es – während die Geschichte, die im Nachkriegsjapan spielt, stets im Drama verbleibt: Eine kleine Erzählung über Menschen in einer Ausnahmesituation.
Der Erfolg von «Godzilla Minus One» belegt das nach wie vor vorhandene Interesse an dem Charakter. Apple+ hat demnach auf das richtige Pferd gesetzt. Etwas mehr Spannung – oder einfach ein gut geschriebenes Konzept – hätten der Serie jedoch gut getan. Dank der letzten beiden Episoden entsteht immerhin Interesse an einer zweiten Staffel.
«Monarch» ist bei Apple verfügbar.
03.06.2024 12:29 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/150783
Christian Lukas
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
05.06.2024 18:32 Uhr 1
Was kann man denn so mit der leckeres zubereiten?