Ein acht Jahre altes Mädchen verschwindet, wenige Tage später werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Das Mädchen ist tot und ins Visier der Ermittler gerät unter anderem ihr Mathelehrer, der zu seinen Kindern ein etwas zu inniges Verhältnis zu pflegen scheint.
«Polizeiruf 110: Der Dicke liebt»
- REGIE: Thomas Stuber
- DREHBUCH: Clemens Meyer, Thomas Stuber
- MUSIK: Bert Wrede
- SCHNITT: Julia Kovalenko
- BESETZUNG: Peter Kurtg, Peter Schneider, Susanne Böwe, Sascha Nathan, Sophie Lutz, Andreas Schmidt-Schaller, Thomas Gerber
Vielleicht ist es ja eine vollkommen falsche Erwartung, von einem Kriminalfilm so etwas wie Spannung einzufordern. Die fast vollkommene Verweigerung von Spannung aber ist nicht wirklich dazu geeignet, das Publikum an den Flachbildschirm zu bannen. Natürlich ist die Thematik schwierig. Ein schöner Mord in einem Villenvorort, in dem sich reiche Menschen der Gier wegen niedermetzeln, damit kann man wenig falsch machen. «Derrick» hat 23 Jahre und 361 Tage lang sein Publikum auf diese Weise unterhalten. Schöne Menschen in hübschen Vorstadtvillen, die zu jeder Schandtat in der Lage waren, da brauchte es keinen sozialkritischen, pädagogischen oder sonstigen Hintergrund zur Vertiefung des Geschehens. Wer sich jedoch darauf einlässt, eine Geschichte wie die eines Kindermordes zu erzählen, braucht ein Konzept, das die besondere Grausamkeit des Geschehens in einen Rahmen fasst, der der Ernsthaftigkeit des Geschehens habhaft wird, es nicht der bloßen Unterhaltung unterwirft - während man sich als Macherin oder Macher dennoch in einem Rahmen bewegt (dem Kriminalfilm), der gewisse Erwartungen hervorruft. Es hat Gründe, warum selbst gestandene Kriminalfilmautorinnen- und Autoren von manchen Themen ganz einfach die Finger lassen.
Es ist einfach verdammt schwierig.
Wie diesem Film anzusehen ist, der es sicher gut meint, indem er tatsächlich auf jegliche Form von sensationshaschender Bildsprache verzichtet. Gut meinen ist aber bekanntlich nicht gut machen. So verliert die Geschichte das Geschehen nicht selten aus den Augen, denn dieser zweite «Polizeiruf 110» mit Peter Kurth in der Rolle des Kommissars Henry Koitzsch hat förmlich Angst vor dem Fall, weshalb der zwar wie ein Schatten über den Geschehen liegt, aber immer wieder regelrecht aus dem Fokus rollt.
Tatsächlich ist «Der Dicke liebt» eine Geschichte über den Kommissar, der uns als Zuschauerinnen und Zuschauern, ein Fremder ist. Nach einem Film ist er noch längst kein alter Bekannter wie seine TV-Kollegen vom «Tatort», die teils seit Jahrzehnten sonntäglich in den deutschen Wohnstuben vorbeischauen. Da eine umfangreiche Charakteranalyse für die Person des Ermittelnden heutzutage aber offenbar unerlässlich ist, richtet dieser Film seinen Fokus ganz und gar auf eben diesen Kommissar Koitzsch. Etwa darauf, dass er dem Alkohol zugetan war. Oder aus dem ersten Film wird gar ein Blind Date zitiert - indem er besagtes Blind Date wieder trifft: Sie ist Lehrerin ausgerechnet an der Schule der kleinen Inka.
Allein will die Geschichte nicht packen. Ja, da gibt es den stark adipösen Lehrer Krein, der etwas zu eng mit seinen Grundschulkindern zu agieren scheint, der natürlich alleine lebt und dessen Sammlung an Stofftieren schon irritiert. Gleichzeitig aber ist die Story um Krein schon etwas sehr dick aufgetragen. Dass er dann auch noch ins Visier einer Art Bürgerwehr gerät, möchte den Aspekt des gesellschaftlichen Erhitzungszustandes nach einer solchen Tat aufgreifen. Jedoch fühlt sich auch dieser Handlungsstrang arg gewollt an, da es ihm an greifbaren Antagonisten der Ermittelnden fehlt, die diesem Geschehen ein Gesicht geben. Sie bleiben gesichtslos. Sicher ist das gewollt. Aber es packt eben auch nicht wirklich.
Zu loben ist sicherlich die unaufgeregte Darstellung der Ermittlungsarbeit, die sich durchaus bemüht, reale Ermittlungsarbeit (die in einer Sonderkommission stattfinden würde) auf die ermittelnden Kommissare herunterzubrechen. Die Ermittler sammeln recht kühl ihre Fakten und Indizien, legen sie zusammen und kommen so Schritt für Schritt einem Ermittlungserfolg näher. Allein wirkt all dies so bemüht, als wolle man sich nicht dem Vorwurf ausgesetzt sehen, eine Kindsmordgeschichte einem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums unterworfen zu haben.
Selbst die schockierende Auflösung plus eines bitteren Nachschlags, beides von sich aus Momente, die normalerweise einem dramaturgischen Schlag in die Magengrube entsprechen müssten, ändern nichts an der Distanz, die nicht nur die Zuschauer zum Geschehen einnehmen, sondern die offenbar auch die Macher bei der Inszenierung gegenüber ihrem eigenen Stoff verspürt haben. «Der Dicke liebt» bekommt seine Thematik einfach nicht zu fassen.
Am Sonntag, 21. April 2024, 20.15 Uhr im Ersten
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel