Der Doctor ist zurück. Mit David Tennant, Geld von Disney und einem putzigen, plüschigen Alien aus den tiefen des Alls. Aber ist das auch gut?
Wir leben in einer Zeit, in der Film- und Fernsehportale davon leben, Texte zu generieren, die in kleinen Bröckchen nichts erzählen, um zwischen den Bröckchen Werbung ohne Ende positionieren zu können, damit am Ende ein laues Resümee auf die Leserinnen und Leser wartet. Das Scrollen ist halt wichtiger als der Inhalt.
Aus diesem Grund machen wir es anders und sagen „ja, verdammt, das ist richtig gut, das ist großartig, danke Russell T Davies, danke!“
«Das Monster von den Sternen» ist ein mehr als ein würdiger Einstieg in eine neue Ära, die alte Bekannte zurück auf den Bildschirm führt, die mit einer Freude in ihr altes „Zuhause“ zurückkehren, dass es eine einzige Freude ist, ihnen bei ihrem Spiel zuzuschauen.
Danke, Russell T Davies.
Wer gar nichts über die Handlung erfahren möchte, darf dann weiterklicken, ansonsten …
60 Jahre «Doctor Who». 60 Jahre Fernsehgeschichte
Doctor Who: The Star Beast
Ot: Doctor Who: The Star Beast
GB 2023
Showrunner und Drehbuch: Russel T Davies
Regie: Rachel Talalay
Musik Murray Gold
Puppenspieler: Phill Woodfine
Darsteller: David Tennant, Catherine Tate, Yasmin Finney, Karl Collins, Matt Green, Jamie Cho
Ereignisse, die 15 Jahre zurückliegen, werden neu aufgerollt. Zwar werden an verschiedenen Stellen (unauffällig) Erklärungen in die Story eingebracht, die auch Zuschauer, die hier ihre erste Erfahrung mit dem Timelord machen, mitnehmen. Doch unterm Strich ist «Das Monster von den Sternen» der größte Fanservice, den die Macher den Fans schenken konnten.
Mit David Tennant präsentiert sie den beliebtesten Darsteller des Doctors seit dem Neustart 2005 und den Schauspieler, der der Figur des Doctor Who vielleicht als erster eine echte Tiefe verliehen hat. Nichts gegen seine Vorgänger. Tom Baker, der die Figur in den frühen 70er darstellte, steht heute noch vor allem bei den britischen Fans hoch im Kurs und genießt höchste Popularitätspunkte. Und Peter Capaldi war in seiner Darstellung eine Wucht. Capaldi aber hatte ein Problem: Er hatte leider nicht die Drehbücher, die er verdient hätte – auch, weil er nicht mehr unter Russell T Davies als Showrunner agierte, jenem Autor, der «Doctor Who» nach dem Neustart überhaupt erst zu seiner heutigen Größe geführt hat. Und der vollkommen überraschend 2022 als Showrunner des Neustarts präsentiert wurde.
Neustart?
Es ist kompliziert. Nachdem Peter Capaldis Doctor den Weg aller Timelords ging (die Regeneration zu einem neuen Doctor), wurde der Timelord erstmals von einer Frau dargestellt: Jodie Whittaker. Den Chefposten hinter der Kamera übernahm Chris Chibnall. Der war nun wirklick kein Neuling in der Welt des Doctors. Schon 2006 hat er Drehbüchers fürs Spin-off «Torchwood» verfasst, ab 2007 gehörte er zum Stab der Mutterserie. Er war aber auch anderweitig aktiv. 2013 hat er (mit David Tennant in der Hauptrolle) als Showrunner ein Brett von einer Thrillerserie erschaffen, die zum Besten gehört, was das britische TV in den letzten 20 Jahren aufs Publikum losgelassen hat – und das in einem Umfeld, das sich qualitativ eh in bemerkenswerten Sphären bewegt: «Broadchurch». In dieser Serie stellt Jodie Whittaker die Mutter eines ermordeten Jungen dar und sie ist in dieser Rolle grandios.
Dass Chibnall als Showrunner und Whittaker als Hauptdarstellerin «Doctor Who» in den letzten Jahren (Entschuldigung für die Wortwahl) verkackt haben, ist erstaunlich. Chibnall hat in der ersten von drei Staffeln so ziemlich alles in die Tonne gekloppt, was Fans an der Serie lieben. Figuren wie die Cybermen oder die Daleks tauchten nicht mehr auf, die mit dem Doctor verbündete Militäreinheit Unit wurde mit einem saudämlichem Telefonwitz regelrecht das televisionäre Klo hinuntergespült. Klar, Fans sind ein verdammt schwieriges Publikum. Sie wollen, dass alles genau so bleibt, wie es immer gewesen ist. Aber alles muss ganz anders werden! Da als Autor eine Balance zu finden, ist wirklich schwer. Chibnall aber hat ja nicht nur alte Zöpfe abgeschnitten. Chibnall hat zunächst einmal nichts Neues erschaffen. Sicher, er hat mal eben die gesamte Backgroundgeschichte vom Doctor in Frage gestellt. Womit er sich allerdings am Ende in ein Dilemma epischen Ausmaßes katapultiert hat, denn wer 60 Jahre Storyline mal eben in Frage stellt... Sollte ein verdammt gutes Konzept in der Schublade liegen haben, das neue Welten eröffnet.
Was ihm jedoch zu keinem Moment wirklich gelungen ist. Auch, weil Jodie Whittaker eine schwache Besetzung war. Sie hat in den Jahren, in denen sie die Tardis führte, nie in ihre Rolle hineingefunden. Ihr Doctor war stets nur eine billige Kopie ihres Vor-Vorgängers Matt Smith, der ob seiner Jugend bei Übernahme der Hauptrolle umstritten war und nie wirklich große Liebe erfahren hat. Rückblickend betrachtet ist Matt Smith großes Unrecht getan worden, denn seine Leistung lässt sich an der von Whittaker messen, da sie ihre Figuren ähnlich angelegt haben (ein bisschen infantil, ein bisschen vorwitzig, menschlich, aber auch zu Albernheiten neigend). Wo Smith es letztlich spielend gelang, auch in den ernsten, traurigen Momenten zu bestehen und nie einen Zweifel daran ließ, dass er beziehungsweise der Doctor die Geschichte vorantrieb, wirkte Whittaker stets in der Szenerie deplaziert, getrieben von den äußeren Ereignissen. Und brachte sie die Geschichte voran, wirkte sie oft nervend, beratungsresistent, nicht wirklich sympathisch.
Dass schon während der zweiten Staffel manch alte Figuren in die Welt des Doctors zurückkehrten, ist letztlich ein Beleg dafür, dass es im Stab der Autorinnen und Autoren gegeben haben muss, die erkannten, dass sich die Serie auf einen Irrweg befand. Wir alle aber kennen das: Wenn man auf einem Weg von einem Hügel hinab ins Straucheln gerät, ist es keine Frage, ob man stürzt. Die Frage lautet nur, ob man es noch schafft, sich an einem Pfahl (schmerzhaft) festzuhalten oder auf einen Flech zu fallen, auf dem es weniger schmerzt.
«Doctor Who» hat sich nach drei Chibnall-Whittaker-Staffeln manch eine Blessur geholt. Dass die Serie am Ende keine televisionären Knochenbrüche davongetragen hat, ist vor allem einer Tatsache zu verdanken: Sie ist «Doctor Who». Sie ist ein Monolith, der immerhin schon eine 16 Jahre währende Pause zwischen 1989 und 2005 überlebt hat (den Versuch mit US-Geldern die Serie Mitte der 90er neu zu starten, blieb ein einmaliger Versuch und darf ignoriert worden, obwohl der so entstandene Spielfilm zum Kanon gehört; aber das ist eine andere Geschichte).
Dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Russell T Davies nicht einfach engagiert worden ist, um eine neue Staffel zu leiten und mit den Specials etwas Werbung für den neuen Hauptgeldgeber Disney+ zu machen. Ein bisschen ist Davies' Rückkehr auch eine Art Rettungsmission. Man hat den Mann geholt, der die Serie, wie gesagt, zu ihrer heutigen Größe geführt hat und der auf dem Höhepunkt seines Erfolges als Kreativer freiwillig von seinem Posten zurücktrat und keinesfalls gehen musste. Einen Kreativen, der als Autor genau eine Minute braucht, um die Whittaker-Jahre hinter sich zu lassen. Eine Minute und es ist wieder 2008. David Tennant ist wieder Doctor Who und Catherine Tate ist wieder Donna Noble.
Aber wie ist das möglich? Donna Noble chrashte einst förmlich ins Leben des Doctors und war nie als Begleiterin vorgesehen. Catherine Tate, eigentlich eine Komödiantin, legte ihre Figur zunächst als etwas plumpe, tollpatschige Figur an, die hier und da zum Fremdschämen einlud. Die Entwicklung, die ihre Figur durchgemacht hat,fand so sachte statt, dass sich die Größe, zu der sie Donna Noble schließlich führte, erst mit ihrem Ausscheiden aus der Serie offenbarte. So ist der Doctor, um Donnas Leben zu retten, gezwungen, ihr Gedächtnis zu löschen – und einen Moment später ist Donna Noble wieder jene zum Fremdschämen einladende Figur ihres ersten Auftritts.
Um dies noch einmal klarzustellen und nicht missverstanden zu werden: Catherine Tate war brillant, eben weil sie eine großartige Figur kreiert hat, die mit jedem Auftritt zu einem vielschichtigen Charakter heranwuchs. Bis zu dem Moment, in dem sie all ihrer Erinnerung (samt ihres Wachsens) beraubt wurde und der Verlust dieses großartigen Charakters sich wie ein Schlag in die Magengrube anfühlte.
Und nun steht da also der Doctor, der nicht weiß, wie ihm geschehen ist → denn das, was passiert ist, hätte niemals passieren dürfen. Wenn ein Timelord regeneriert, entsteht eine neue Persönlichkeit und die alte Persönlichkeit – ist „nur noch“ ein Teil des neuen Timelords. Daher ist diese Regeneration – einfach nicht erklärbar. Ein Timelord kann nicht zu einem Timelord regenerieren, der er bereits einmal gewesen ist. Dennoch ist es geschehen. So wie der Doctor plötzlich auch Donna Noble gegenübersteht, die 15 Jahre älter geworden ist und ihn glücklicherweise nicht erkennt. Oder doch? Der Prolog stellt beide Figuren getrennt voneinander in den Mittelpunkt. Auf der einen Seite den Doctor, der nicht erklären kann, was mit ihm geschehen ist und einen Sinn in eben diesem Geschehen sucht. Und auf der anderen Seite Donna, die ihr Leben lebt, mit Mann und Tochter, die aber von Träumen berichtet, die sich anfühlen, als seien sie Erinnerungen an eine Zeit, die aus ihrem Gedächtnis verbannt worden wären.
Schnitt auf London, wo der Doctor nicht nur unvorbereitet auf Donna trifft, sondern auch ihre Tochter Rose (ja, Rose, wie die erste Begleiterin des Doctors beim Neustart 2005) kennenlernt. Ihr Mann, ein Taxifahrer, ist nur einen Moment später für den Doctor ein wichtiger Helfer, braucht der doch dringend einen Fahrer. Warum? Etwas stürzt über London ab und das, was da zu Boden geht, ist definitiv nicht irdischer Herkunft. Während der Doctor sich auf das Absturzgelände schleicht, entdeckt Rose im Hinterhof ihres Hauses jenes Wesen, das mit dem Raumschiff auf die Erde gekommen ist. Der kleine, puschelig-kuschelige Meep wird gejagt, da er, ganz genau, dieses kuschelig-puschelige Fell hat. Rose hilft dem großäugigen Süßling sich zu verstecken, denn es dauert nicht lang, bis furchterregende und ziemlich gut bewaffnete Insektenwesen in London auftauchen und keinen Zweifel daran lassen, es auf Meep abgesehen zu haben.
Zugegeben, wenn man die Geschichte so liest, klingt das eher, nun ja, simpel. Aber so ist es nicht. Zum einen wird die Story mit Tempo vorangetrieben, es kracht und knirscht wie seit Jahren nicht mehr und ab dem Moment, in dem die Insektenwesen erscheinen, verläuft die Handlung fast in Echtzeit. Die Meep-Geschichte dreht darüber hinaus ein paar Pirouetten, während der Fokus natürlich auf den Doctor und Donna liegt – und der Frage, was geschehen wird, wenn Donna ihre Erinnerungen zurückerhalten sollte?
Russell T Davies erlebte seinen künstlerischen Durchbruch als Schöpfer der Serie «Queer As Folk» (dem britischen, 1999 gestarteten Original, die weitaus bekanntere US-Serie ist eine Adaption seiner Serie). 2021 begeisterte er das britische Publikum mit «It's A Sin», die Geschichte einer Schwulen-WG in den 1980er Jahren in London. Davies, selbst homosexuell, ist es mit beiden Serien gelungen, Geschichten über Homosexualität oder auch die queere Community für ein großes Publikum aufzubereiten, ohne die üblichen Kulturkämpfe heraufzubeschwören. Wie es ihm gelungen ist, das ist eigentlich simpel zu erklären: Davies schreibt über Menschen. Nicht mehr und nicht weniger. Was das nun mit «Doctor Who» zu tun hat? Rose-Darstellerin Yasmin Finney ist eine trans Frau. Wie Davies dies thematisiert und wie er es in die Story einbindet, das ist schlichtweg jene Art vom Schreiben eines Drehbuchs, die man in keinem Kreativworkshop lernen kann. Man kann es – oder nicht. Davies kann es.
Ohne zu viel spoilern zu wollen: Die Geschichte von Meep ist nicht die, die die Specials miteinander verbinden wird. Sie ist nur der Türöffner. Dieser Türöffner aber erfreut definitiv die Herzen der Fans. Und wer noch keiner ist, kommt auch in die Story rein, im Notfall heißt es nicht umsonst: Google ist dein Freund!
PS: Die Meeps sind übrigens alles andere als eine Neukreation im Universum des «Doctor Who». 1980 hat eine solche Fellkreatur ihren ersten Auftritt in einem Comic erlebt (dem vier weitere in der Zwischenzeit gefolgt sind), dazu kommen noch zwei Hörspielauftritte. Die Episode «Das Monster von den Sternen» basiert in Teilen auf dem Comic von 1980.
PS: Im November feierte «Doctor Who» seinen 60sten Geburtstag. Zur ersten Episode aus dem Jahr 1963 gibt es
hier auf Quotenmeter einen Bericht, der nicht nur von der ersten Episode berichtet.
«Doctor Who» ist bei Disney+ verfügbar.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
29.11.2023 16:36 Uhr 1
Oder liegt es an der Abneigung gegen über dieser Phase von Doctor Who, das Chris Chibnall und Jodie Whittaker konsequent falsch geschrieben werden?