Im Spielfilm «Morin» wird der Schüler Morin mit einer künstlichen Intelligenz ausgestattet. Aber kann diese ihm helfen? Quotenmeter sprach mit dem Autor.
Hallo Herr Krause! Sie haben den Spielfilm «Morin» verfasst. Dort darf der elfjährige Morin eine hochmoderne Schule besuchen. Doch bald wird er an dem Leitungsdruck zerbrechen. Wieso?
Ich weiß gar nicht, ob es der Leistungsdruck ist, der Morin so sehr zu schaffen macht. Die meisten Kinder haben viel Freude und Lust auf Herausforderungen und Leistung. Ich habe manchmal eher den Eindruck, dass Leistung verpönt im Diskurs der Erwachsenen ist. Nein, Morin droht vor allem an der Ungerechtigkeit zu zerbrechen und an dem egoistischen Druck besser, als die anderen sein zu müssen. Und davon zu profitieren, wenn andere scheitern. Denn: Morin erkennt, dass diese Art von „Wettbewerb“ alle nötigen sozialen Beziehungen zerstören wird. Er erkennt, dass er Lissy als seine Freundin verlieren wird und er erlebt, dass seine Werte, z.B. für andere einzustehen oder gegenseitige Hilfe als Normalität anzusehen, ignoriert werden. Und da sind wir in dieser heutigen Gesellschaft. Morin sieht, dass diese Art und Weise des Ellenbogenkampfes das zerstören wird, was er und seine Familie lebt, was ihn selbst ausmacht.
Wir sehen gleich zu Anfang, dass das Forschen und Lernen durchaus Spaß machen. Morin und seine Freundin haben ein eigenes Habitat. Sie entwickeln Pflanzen unter besonderen Bedingungen. Sie sind beide ein Team. Sie staunen und werkeln und sind stolz auf das, was sie tun. Das könnte im Übrigen eben auch ein Beispiel für moderne Schulen sein.
Ist «Morin» eine Bestandsaufnahme wie «Das Lehrerzimmer» oder eine Dystopie?
Nun es ist natürlich beides, denn wir können ja die Gesellschaft von Morgen nur aus dem Blickwinkel aktueller Entwicklungen deuten.
Was in diesem Film das futuristische Element ist, ist der Umstand, dass sich Wirtschaft Teile der Bildung faktisch einverleibt. Das ist dann auch eine Gefahr. Denn Kinder und Jugendliche entwickeln sich nicht im Sinne einer besseren „Verwertung“ ihrer Person, sondern weil sie Menschen sind. Das sollten wir angesichts von Pisa oder anderen Vergleichsplattformen nicht vergessen.
Dass Schule heute vor enormen Entwicklungsherausforderungen steht, steht außer Frage. Und wenn sich die, nennen wir es mal, „Gesellschaftsschule“ nicht wirklich auf den Weg macht, mehr zu sein als das etwas kaschierte Abbild der Schulen des zwanzigsten Jahrhunderts, dann wird es schlecht ausgehen. Zum Glück gibt es wirklich einige Schulmodelle, die sich da schon erfolgreich weiterentwickelt haben. Im Kern wird es aber immer darum gehen, dass Kinder und Jugendliche Schulen als Orte verstehen, die sie sich aneignen und gestalten, an denen soziales Miteinander und Solidarität das Leben ausmachen. Wenn das nicht gelingt, wird Schule besagte Herausforderungen nicht bewältigen und dann wird auch die Frage im Raum stehen, wozu es Schule noch angesichts unbegrenzten Zugriffs auf Wissen bei gleichzeitiger didaktischer Aufbereitung zum Sofortverbrauch noch gibt. Aber wie gesagt, da gibt es viele, erfolgversprechende Entwicklungen.
In Ihrem Spielfilm wird Morin eine hochmoderne künstliche Intelligenz zur Seite gestellt, die ihm beim Lernen helfen soll. Wie nützlich ist das wirklich?
Wir werden immer stärker mit KI konfrontiert. Die Frage ist ja eher, ob KI eingesetzt wird, um Menschen zu manipulieren, Informationen gezielt und gefiltert zu vermitteln, uns zu beobachten und zu kontrollieren oder die Menschen tatsächlich ganz einfach zu unterstützen. An dieser Trennlinie stehen wir. Und das wird ja inzwischen auch langsam bewusster in der philosophischen und politischen Auseinandersetzung. KI kann hilfreich sein, kann Spaß machen. Aber derzeit, auch angesichts der allgegenwärtigen Krisen, wächst die Sorge, dass die Entwicklungen in die falsche Richtung gehen. Ich spreche jetzt nicht von der außer Kontrolle geratenen KI. Das ist ein weiteres Problem. Ich meine, dass künstliche Intelligenz produktiv zum Wohle der Menschen genutzt werden muss. Und darüber sollten wir wachen.
Ich gehe davon aus, dass wir als Gesellschaft und auch der einzelne Mensch erkennen werden, was der wirkliche Nutzen von KI und was die Zumutungen, die Probleme sind. So wie bei Morin, der als junger Mensch anders reagiert, als es „seine KI“ erwartet. Sehr schön gespielt von Yodit Tarkiwa. In unserem Fall entdeckt das KI-Hologramm „Leona“ (KI), dass da jemand ist, der sich eben nicht einfach manipulieren lässt. Das muss sie irritieren, muss sie aus dem programmierten, lernenden Konzept bringen und das macht sie schon fast sympathisch.
Sie bringen zahlreiche moderne Aspekte wie KI an. War diese überhaupt schon beim Schreibprozess verfügbar? Waren Sie vor ChatGPT schon an dem Stoff involviert?
Mit der Idee selbst habe ich mich schon vor Jahren beschäftigt. Wie sich Schule entwickeln wird, was ihre Chancen sind und Irrwege, das ist ein wesentliches, allgemeines Thema. Und hierbei auch ein Stück in die Zukunft zu schauen, ist einfach notwendig und lohnenswert.
Es wurde ja in den letzten Jahren viel über KI und alles, was damit zu tun hat diskutiert. Und diesen Diskurs haben wir auch gemeinsam im Team aufgegriffen. Also zusammen mit Monika Raebel (Produzentin Odeon Film), mit Christian Görlitz (Drehbuch/Regie) und dann auch mit Almut Getto (Regisseurin) weiter vertieft. Das waren konsequente, vielschichtige Gespräche, in denen wir alles zusammengetragen haben, was es gibt zum Thema KI und was man eben filmisch dann auch umsetzen kann. Das war eine Herausforderung. Aber ich finde, dass das Thema doch sehr gut umgesetzt wurde. Auch und besonders mit „Leona“. Und ich hoffe, dass wir die komplizierten und bedenklichen Zusammenhänge auch auf eine interessante Weise bearbeitet haben.
Sie schrieben das Drehbuch gemeinsam mit Christian Görlitz und Almut Getto. Wie funktioniert ein solcher Prozess? Hat eine Person die Federführung?
Es ist ganz wunderbar, wenn die Regie von einem bestimmten, frühen Zeitpunkt schon mit dabei ist. Ich hatte das Drehbuch entwickelt und habe dann Christian Görlitz kennengelernt. Einen außerordentlich klugen, kreativen Menschen, der mir sehr viel bedeutet hat. Wir haben im Prinzip jeden Satz im Buch, jede Entwicklung in der Handlung, jeden Handlungsschritt hin und her gewendet und dabei lernt man so viel. Auch, weil Christian ein wirklicher Künstler gewesen ist. Ein Regisseur mit Leib und Seele. Wir haben alle Bilder besprochen. Er hat mit mir geschrieben, hat gezeichnet und die Figuren auf dem Papier bewegt. Das war unglaublich spannend. Das Drehbuch wurde mehr und mehr zu einem gemeinschaftlichen Werk. Auch wenn die Hauptfiguren und die umfassende Geschichte mit ihren Hauptinhalten bestehen blieben. Die Feinarbeit, die macht man am besten gemeinsam. Leider ist Christian dann sehr krank geworden. Wenige Tage vor Drehbeginn. Es war furchtbar.
Und es war eine große Erleichterung, dass Almut Getto sich bereit erklärt hat, diesen Stoff, das Drehbuch erneut aufzugreifen und gemeinsam mit mir, im Sinne ihrer Sicht als Regisseurin, nochmals weiterentwickeln zu können. Auch das war ein spannender, besonderer Prozess. Wir haben viel diskutiert und gearbeitet. In recht kurzer Zeit hat sie sich aus meiner Sicht die Geschichte dann so etwas wie angeeignet. Das war und ist sehr beachtlich und ich bin sehr froh darüber.
Künstliche Intelligenz, Notebook-Klassen oder andere Spielereien: Sind die Lehrer das Wichtigste für eine Klasse?
Der Einzug von internetbasiertem Lernen hat ja bekanntlich durch Corona einen richtigen Schub erfahren. Aber wir sollten uns da nicht blenden lassen. Befragungen von Schülerinnen und Schülern kommen auch aktuell zu dem Ergebnis: Kinder und Jugendliche gehen im Prinzip gerne in die Schule, und zwar vor allem, weil dort die anderen sind, die Freundinnen und die Freunde nämlich. Dort tobt ein wesentlicher Teil des Lebens. Aber wir wissen auch, dass Lehrerinnen und Lehrer auf der Bedeutsamkeitsskale ziemlich weit oben stehen. Nein, ich bin absolut überzeugt davon, dass Lehrerinnen und Lehrer eine ganz große Rolle haben. Ich habe allerdings manchmal den Eindruck, dass ihnen das gar nicht so recht bewusst ist.
Odeon Fiction, Bayerischer Rundfunk und ARD Degeto waren an «Morin» beteiligt. Wie sah die Zusammenarbeit aus?
Ich arbeite mit Monika Raebel von Odeon seit langem sehr vertrauensvoll und intensiv zusammen. Das ist die Grundlage. Und mit Claudia Simionescu vom BR verbindet mich eine ganz wunderbare kollegiale Beziehung. Wir haben gemeinsam «Der Fall Bruckner» gemacht. Und ich war sehr froh darüber, dass sie sich entschieden hat, auch diesen Filmstoff gemeinsam mit uns zu entwickeln. Die Gespräche mit ihr gehören zu den ganz besonderen. Und auch Birgit Titze von der Degeto hat uns sehr unterstützt. Es ist immer gut, wenn jemand mit kritischem Blick hinzukommt und hinterfragt. Auch das ist ein großer Gewinn gewesen. Aus meiner Perspektive waren wir ein ausgesprochen kreatives, starkes Team. Das sage ich aus purer Überzeugung.
Sie haben auch den Spielfilm «Kalt» verfasst. Das Medienecho war hervorragend. Hätten Sie mit diesem Erfolg gerechnet?
Immer wieder bekommen Autorinnen und Autoren zu hören, dass es wenig erfolgversprechend ist, schwierige, düstere, komplizierte Themen zu bearbeiten. So etwas will - so heißt es - niemand sehen. In «Kalt» geht es um die Themen „Risiko“ und „Schuld“: Eine Kindergartengruppe verliert zwei Kinder und diese ertrinken im nahen Fluss. Es handelt sich also um ein sehr ernstes, emotionales, ja geradezu dunkles Thema. Die Resonanz auf diesen Film war tatsächlich erstaunlich. Nicht nur die Zuschauerzahlen, sondern auch die Stimmen der Kritik. Scheinbar bringt es eben doch etwas, wenn sich Filmemacherinnen und Macher mit Themen beschäftigen, die im Prinzip alle berühren, auch wenn es eben hart und schwierig wird. Was mache ich, wenn mir so etwas Schreckliches passiert? Wie gehe ich mit meiner eigenen oder auch der Schuld anderer um? Im Übrigen war auch «Kalt» das Ergebnis sehr intensiver gemeinsamer Arbeit. Laila Stieler als Producerin, die mich von Anfang an beraten und begleitet hat, Peter Hartwig als außerordentlicher Produzent, Caren Toennissen vom WDR, die mit all ihrer Kraft und ihrer Erfahrung dabei war und natürlich Stephan Lacant, der Regisseur. Das ist ein starker Film geworden. Das klingt jetzt etwas seltsam, wenn das der Autor sagt, aber ich bin doch davon überzeugt, dass er gut gemacht ist und dass wir eine großartige Hauptdarstellerin haben, super Besetzungen in den Nebenrollen und eben eine harte, aber ehrliche Auseinandersetzung über Fragen, vor denen wir alle stehen könnten.
Sie sind seit Langem als Pädagoge tätig. Haben sich die Menschen im persönlichen Umgang verändert? Müssen Lehrer, Professoren und andere Erzieher mehr Tätigkeiten übernehmen als noch vor 30 Jahren?
Das sind gleich mehrere Fragen. Ja, ich glaube, dass sich viel verändert hat. Und obwohl mir das nicht gefällt, muss ich sagen, dass die Konflikte wirklich mehr und andere geworden sind. Ich beobachte ein immer stärkeres Gegeneinander. Zwischen den Generationen, aber auch sonst. Der Egoismus wird immer dominanter. Das macht mir wirklich Sorgen. Kinder und auch Jugendliche starten nun anders ins Leben. Sie sind - wie ein großer Pädagogik-Kollege gesagt hat - „Meister der Kooperation“, denn sie sind am Miteinander interessiert. Aber was die Gesellschaft von ihnen fordert, ist allzu oft das Gegenteil. Und da sind wir ja bei «Morin». Vermeintlich geht es darum mit möglichst wenig Aufwand zu möglichst viel Erfolg zu gelangen. Wobei Erfolg leider oft mit rein materiellen Werten gleichgesetzt wird. Aber wir wissen, dass eine Gesellschaft vor allem durch ein Miteinander das erzeugt, was die Menschen brauchen. Ich bin davon überzeugt, dass Eltern und Lehrerinnen und andere verantwortliche Personen vor allem dieses Miteinander unterstützen sollten.
Wenn Sie mit Ihrer Frage jedoch meinen, dass pädagogisch tätige Menschen immer mehr Tätigkeiten übernehmen sollen, die wenig oder nichts mit Pädagogik zu tun haben… da wäre ich vorsichtig. Wir sind ja auch selbst dafür zuständig, ob wir etwas für sinnvoll oder eben für sinnlos erachten. Manchmal wünschte ich mir, dass z.B. nicht so viel aufgeschrieben, bewertet, dokumentiert würde. Manchmal habe ich den Eindruck, dass es zu wenig Raum für Mut und Abenteuer gibt. Und da könnten die Fachkräfte ja auch bisweilen rebellieren, oder?!
Sind für Sie die technischen Spielereien wie Smartphones in der Kindererziehung ein Vor- oder ein Nachteil?
Auch so eine Frage, die ich nicht mit Ja oder Nein beantworten kann. Viele der technischen Neuerungen haben wir im Kindesalter (und das ist ja bei mir eine ganze Weile her) in wundersamen Träumereien erlebt: Telefonieren und den anderen dabei zu sehen, einen tollen Film einfach abrufen können oder in Echtzeit auf einem anderen Kontinent Tiere mit einer Kamera beobachten können. Oder auch Bilder direkt vom Mars und Staub von einem Asteroiden. Das ist heute alles möglich! Ich hatte mich als Kind insbesondere darauf gefreut, dass es möglich sein würde, fliegen zu können. Einfach so! Naja, wird ja vielleicht auch irgendwann gehen. Wer weiß. Mit anderen Worten, es ist toll über all die Möglichkeiten zu verfügen. Aber es gibt eben immer auch das Andere, die anderen Menschen nämlich, die man braucht. Und das Genießen von Stille. Das Staunen über die Farben eines Schmetterlings. Das Lachen. Ich glaube, wir sollten uns an den Möglichkeiten der Technik erfreuen und diese nutzen. Und gleichzeitig mehr darauf achten, dass die Vielfalt von Leben und Natur unbedingt dazu gehört. Naja, das sind jetzt große Worte. Aber falsch sind sie nicht, oder?!
Nein, sind sie nicht. Herzlichen Dank für das spannende Gespräch!
Das Erste strahlt «Morin» am Mittwoch, den 22. November, um 20.15 Uhr aus.
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