Eine Zeitreise: «Doctor Who – Der erste Doktor: Das Kind von den Sternen»
Niemand der Beteiligten konnte am 23. November 1963 wohl voraussehen, ein Stück Fernsehgeschichte auf den Weg gebracht zu haben, als die BBC die erste Folge von «Doctor Who» ausstrahlte. Inzwischen ist «Doctor Who» die langlebigste Scifi-Serie der Welt und ab Dezember 2023 wird der Doctor seine Abenteuer auf Disney+ erleben. Da wird es fürs deutsche Publikum Zeit, 60 Jahre TV-Geschichte aufzuholen!
Gerade einmal 55 Jahre musste das deutsche Publikum auf die Veröffentlichung des ersten «Doctor Who[[-Vierteilers [[Das Kind von den Sternen» warten. 2018 hat die Polyband den Vierteiler in einem überaus geschmackvoll gestalteten Mediabook in Deutschland auf den Markt gebracht. Inklusive einer deutschen Synchro. 1968 bereits bot die BBC dem ZDF-Lizenzen an der Serie an, die aber dankend ablehnte. Vom hohen Ross öffentlich-rechtlicher Geschmacksbestimmerheiligkeit herab empfand man die Serie auf dem Lerchenberg als den Ansprüchen des deutschen Publikums an anspruchsvolle Unterhaltung nicht genügend. So dauerte es noch einmal 20 Jahre, bis der Doctor seine Deutschland-Premiere feiern durfte. RTLplus, damals noch ein lustiger Privatfernsehkanal mit einem Faible für das Abgedrehte, sicherte sich die Lizenzen. Aber nicht für die Episoden der 1960er- und 1970er Jahre. Man stieg vielmehr mitten in die 80er ein mit dem siebten Doctor – also dem siebten Darsteller, Sylvester McCoy.
Der Doctor, ein humanoider Außerirdischer vom Planeten Gallifrey, besitzt bekanntlich die Fähigkeit der Regeneration, während der er zu einer neuen Person transformiert. Die Idee zu dieser Transformation entstand übrigens aus der Not heraus. Der erste Doctor wurde von dem britischen Film- und Theaterschauspieler William Hartnell verkörpert. 1908 geboren, war er 55 Jahre alt, als er die Rolle übernahm. 1966, mit 58 Jahren, erkrankte er allerdings so schwer, dass er sich zeitweise aus gesundheitlichen Gründen aus der Schauspielerei zurückziehen musste. Ohne Hauptdarsteller dastehend, waren die Autoren gefordert und dachten sich die Geschichte der Regeneration aus. Der Doctor wird zu einer neuen Person mit neuen Eigenheiten, Angewohnheiten und nicht zuletzt Aussehen → dennoch bleibt er der Doctor. So übernahm Patrick Troughton die Rolle.
Von RTLplus bis ProSieben
RTLplus erwarb 1989 nicht nur die Lizenzen der Staffeln, in denen Sylvester McCoy den Doctor darstellte, man erwarb auch die Staffeln des sechsten Doctors, Colin Baker. Dessen Darstellung des Doctors gilt jedoch bis heute als umstritten und seine Geschichten als eher schwach, weshalb die Ausstrahlung mit etwas Verspätung schließlich auf Vox stattfand. Nachhall hat «Doctor Who» seinerzeit in deutschen Landen überhaupt keinen erzeugt. Die Serie füllte einen frühen Sendeplatz, sie war günstig im Einkauf, sie erfüllte ihren Zweck. Da der Doctor just zu dieser Zeit eine kleine Pause von insgesamt 16 Jahren einlegte (1989 bis 2005), gab es hierzulande auch keine Anknüpfungspunkte, die den Kult nach Deutschland hätte transportieren können. Mit dem Neustart der Serie 2005 (die aber ans Original anknüpft) fand der Doctor zunächst auf ProSieben eine Heimat. Dort aber blieb der Erfolg aus. Deutschland schien für den Doctor unerreichbar.
2008 startete der Fox Channel sein deutschsprachiges Programm, wofür er Bewegtbildmaterial benötigte und somit auch «Doctor Who» ins Programm nahm. Keinesfalls als Serienevent, obwohl die Serie im Vereinigten Königreich längst ihren Kultstatus nicht nur wiedererlangt, sondern sogar ausgebaut hatte. Nein, man ballerte die Serie mit ihrem neuen Darsteller Matt Smith (nach Christopher Ecclestone und David Tennant schon der dritte Darsteller des Neuanfangs) recht lieblos ins Programm und ließ die Serie laufen. Dass der Neustart der Serie im deutschen TV nicht ganz chronologisch verlief, sei als kleiner Schmunzler nur am Rande erwähnt.
Am Ende hat nicht «Doctor Who» aus sich selbst heraus sein Publikum in teutonischen Wohnstuben gefunden, eigentlich hat «Doctor Who» die Aufmerkamkeit, die ihm (ihr) heute zuteilwird, dem Spin-off «Torchwood» zu verdanken. 2006 auf den britischen Inseln als eine Art „erwachsene“ Serie gestartet («Doctor Who» ist doch eher ein televisonäres Lagerfeuer, um das sich Jung und Alt gemeinsam versammelt), brachte RTL 2 die Serie am 11. März 2009 auf die deutschen Bildschirme und landete damit einen Überraschungshit. Einen Hit, der das Publikum neugierig machte, denn dieses «Torchwood», das war also der Ableger einer Serie namens «Doctor Who»?
Der Doctor ist gelandet
Inzwischen ist Deutschland kein weißer Fleck mehr auf der Landkarte. Im Free-TV strahlt One die Serie aus, nach dem Ende des Fox Channels hat der BBC Player Channel die Ausstrahlung der aktuellen Staffel übernommen. Ende 2023 wird dann Disney+ zur neuen Heimat jenseits des Vereinigten Königreiches. Hieß es zunächst, Disney+ habe nur die Lizenz erworben, hat sich inzwischen herauskristallisiert, dass Disney+ auch finanziell die Produktion auf ein neues Niveau stemmen wird. Was die Serie verdient hat, denn nachdem sie in den frühen Jahren ihres Neustarts Ausrufezeichen in Ausstattung und TV-Effekten gesetzt hat, spielte sie in den letzten Jahren in dieser Kategorie teils nur noch im Mittelfeld des Genre-Fernsehens mit (und manchmal auch darunter).
Nun sind in Deutschland alle Staffeln des Neustarts nach 2005 auf DVD und Blu-Ray erhältlich, auch die Staffeln der 1980er Jahre liegen vollständig vor. Geht man jedoch weiter zurück, tun sich hierzulande noch Lücken auf. Eine Lücke ist jedoch schon vor Jahren geschlossen worden, obwohl viele Fans dies gar nicht wirklich mitbekommen haben. Nämlich die Lücke, die sich auf den Anfang bezieht, auf «Das Kind von den Sternen», jenem Vierteiler, mit dem alles begann.
Die Veröffentlichung ist sehr schön aufgearbeitet worden, sofern dies technisch möglich gewesen ist. Die BBC filmte die Serie nämlich bis Ende der 1960er Jahre auf Magnetband – im sogenannten 405-Zeilen-Verfahren, also einem Bild, das aus 405 Zeilen bei 25 Bildwechseln pro Sekunde besteht. In Deutschland waren es 625 Zeilen. Damit war das Bild schon 1963 nicht sonderlich gut und es ist aufgrund dieser geringen Auflösung nicht möglich, die Serie für hochauflösende TV-Geräte so aufzuputschen, dass sie gegenwärtigen Sehgewohnheiten schmeicheln könnte. Dies muss man als Zuschauer natürlich berücksichtigen. Wäre die Serie auf 16mm-Film gedreht worden, damit hätten die Restauratoren arbeiten können, aber 405 Bildzeilen: Sind eine Herausforderung.
Und dann ist «Das Kind von den Sternen» auch noch richtig mieses Fernsehen!
Ja, der Kult um den Doctor beginnt mit einem Vierteiler, der richtig, richtig schlecht ist. Schlichtweg. Da gibt es nichts dran schönzureden!
Vorweg: Ein 1963 produziertes Fernsehspiel in vier Teilen aus der Perspektive der Gegenwart rezensieren zu wollen, das kommt dem Vergleich eines Benz-Motorwagens mit einem modernen Tesla gleich: Beide bewegen sich motorbetrieben voran. Damit enden dann aber auch schon die Gemeinsamkeiten. Also muss man die Zeit als Faktor in einer Besprechung berücksichtigen. Doch selbst unter Berücksichtigung dieses Faktors scheitert «Das Kind von den Sternen» an seiner strunzdoofen Handlung und – dem Doctor.
Die Hauptfigur einer Serie muss nicht sympathisch sein. Der von William Hartnell verkörperte erste Doktor aber offenbart sich in diesem Premieren-Vierteiler als linkischer, seine eigenen Handlungen wenig überdenkender, egoistischer, ja schissiger Wissenschaftler, der nur eine Reaktion beim Betrachter hervorruft: Man möchte ihm zurufen, „nerve nicht, Alter!“ An diesem Doctor ist nichts sympathisch oder zumindest geheimnisvoll. Er ist ein alter Mann, der unsere Zeit stiehlt!
Worum geht es? Das erste «Doctor Who»-Abenteuer beginnt mit der Einführung seiner Enkeltochter (!) Susan. Die besucht eine Schule, auf der sie sich wohlfühlt. Bei den Lehrern genießt sie hohes Ansehen. Sie ist strebsam, hochintelligent, aber manchmal verhält sie sich, als sei sie nicht ganz von dieser Welt. Barbara Wright und Ian Chesterton, ine Lehrerin und ein Lehrer von Susan, wollen mehr über sie erfahren, folgen ihr zu einem Schrottplatz, der als ihre Adresse in den Schulunterlagen steht, entdecken die Tardis, des Doctors berühmtes Raumschiff in Form einer englischen Notrufzelle, geraten in einen Streit mit diesem unfreundlichen, arroganten, wirklich liederlichen alten Kern, landen in der Tardis und – dort kommt es zu einem Unfall, der die Polizeinotrufzelle samt der Lehrerschaft in die Steinzeit katapultiert. Dort verläuft der Kontakt zu den Höhlenmenschen eher unerfreulich, denn denen ist das Feuer erloschen.
Das alle ist so schlecht, man möchte sich die Augen mit Brennspiritus auswaschen. Und es ist nicht nur schlecht auf der Perspektive der Gegenwart: Es war auch 1963 schlecht. Zu behaupten, das sei damals als tolles Fernsehen wahrgenommen worden, wäre eine Beleidigung des Fernsehpublikums jener Zeit.
Diese Kritik deckt sich mit der Meinung von Regisseur Waris Hussein, der seine eigene Arbeit, so ist es überliefert, ziemlich gehasst hat. Leider fehlt ein Statement von ihm in den reichhaltigen Extras der deutschen Veröffentlichung, dafür kommt in den Extras «Sherlock»-Erfinder Steven Moffat zu Wort, der selbst mehrere Jahre als Showrunner für die Neuauflage tätig gewesen ist und Unmengen an Drehbüchern geschrieben hat. Und dieser Steven Moffat nennt diesen Doctor ohne Umschweife eine „unlikable person“! Der Doctor verspielt sämtliche Sympathien in diesem ersten Abenteuer in jener Szene, in der er uns seine unfreiwilligen Begleiter erstmals den Höhlenmenschen begegnen. In seiner Verzweiflung sucht der Doctor ein Päckchen Streichhölzer. Er findet sie nicht, bricht regelrecht in Panik aus und versteckt sich de facto hinter seinen Mitreisenden. Er ist ein Feigling, der den Schlamassel, in dem sie stecken, verursacht hat und nicht zu seinem Fehler steht.
Sicher hat Moffat recht, wenn er im Verlauf seines Monologs darauf hinweist, dass diese wenig sympathische Darstellung es erst möglich gemacht hat, dass sich der Doctor entwickeln konnte: Helden mit weißer Weste sind nun einmal langweilige, uninteressante Figuren, es braucht Reibung. Doch selbst als Fan der Serie muss man sich eingestehen: schon ein paar Jahre später hätte eine Serie, die mit einem Vierteiler wie dieser beginnt, in dem die meisten Darsteller eher grunzen statt sprechen, die in billigsten (und zwar wirklich billigsten!) Pappkulissen spielt und eine Hauptfigur präsentiert, die einfach nur nervt, nie eine Fortsetzung erfahren. «Das Kind von den Sternen» ist wirklich übel.
Was «Doctor Who» gerettet hat? Zunächst einmal die Tatsache, dass es 1963 noch keine landesweit agierende TV-Konkurrenz für die BBC gab und in vielen Regionen des Vereinigten Königreiches die Zuschauer nur BBC (One) empfangen konnten. Es gab zwar bereits das ITV Network mit 15 regionalen (privaten) Sendern, es gab aber auch noch viele weiße Flecken auf der Landkarte, wo die BBC konkurrenzlos dastand. Dort schaute man halt, was gerade lief.
Glücklicherweise folgte diesem wirklich schlechtesten aller möglichen Einstiege in eine neue Serie der Siebenteiler «Die Daleks».
Auch dieses zweite Kapitel der ersten Staffel gibt es in Deutschland seit 2018 auf DVD. Und diese sieben Teile starten in Wahrheit die Geschichte der langlebigsten Scifi-Serie der Fernsehgeschichte mit Bösewichtern, wie es sie noch nicht zu sehen gegeben hatte, vor allem aber auch mit einer durchdachten Handlung!
Worum geht es?
Durch einen Fehler in der Steuerung der Tardis landen die bereits bekannten Hauptfiguren auf dem Planeten Skaro, auf dem einst zwei Völker in einem fürchterlichen Krieg einander bekämpften. Während die Thals nach einer atomaren Apokalypse friedliche Bauern wurden, stehen auf der anderen Seite nun die Daleks. Der Rest ist Fernsehgeschichte.
In einer sehr schönen Doku über die Entstehung des Siebenteilers wird offenbart, dass dem Designdepartement für die vier genehmigten Daleks ein Budget von 250 Pfund zur Verfügung gestellt wurde, was 1963 etwa 3500 DM entsprach! Und dennoch gelang es den Machern etwas Ikonisches zu erschaffen. Ohne diese Daleks wäre «Doctor Who» heute nicht mehr als ein Eintrag in einer langen Liste von TV-Serien, die irgendwann einmal auf Sendung gingen und ebenso irgendwann einfach wieder verschwanden.
Die Story von «Die Daleks» ist, wie man seinerzeit zu sagen pflegt, flott inszeniert, sie sieben Teile geben den Hauptfiguren Raum, sich zu entfalten - und auch der Doctor kommt nicht mehr so verhuscht wie im ersten Kapitel der Serie über die Bildröhre. Er ist zwar auch in dieser Geschichte kein Sympathieträger, er ist aber der Mann, der die Zusammenhänge versteht und am Ende den Tag rettet. Auf dieser Darstellung konnten die Macher aufbauen.
«Doctor Who» feiert 60-jähriges Bestehen. Ab 25. November 2023 sind die drei Specials wöchentlich bei Disney+ zu sehen.
20.11.2023 12:46 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/146755
Christian Lukas
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