Am Freitag kommt «Einfach Nina» im Ersten. Dort steht ein Junge im Mittelpunkt, der künftig als Nina leben möchte.
Hallo Herr Lehwald! Sie haben mit der Schiwago Film «Einfach Nina» für Das Erste umgesetzt. Sie haben den ersten Spielfilm über dieses Thema geschaffen. War das Thema für Sie Neuland?
Nein. Weder „filmisch“, noch privat war das Thema Neuland für mich. Eigentlich schon seit meiner eigenen Kindheit, begleiten mich Themen, die die Statik von erlernter Identität und tradierten, ansozialisierten Rollenbildern in Frage stellen.
Daher gab es in der Vergangenheit schon sehr unterschiedliche Annäherungen an das Thema. Seit einer Weile verfolge ich zum Beispiel auch ein Projekt, das sich mit dem Lebensweg eines indischen Transmenschen beschäftigt («KOHINOOR» (aka «Eunuch»)), einer sehr besonderen, starken, archaischen und vor allem universellen Geschichte, von Udita Bhargava. Da wir auf dem langen, steinigen Weg, einen so ambitionierten Film aus Europa heraus zu finanzieren, immer wieder gefragt worden sind, warum wir uns denn nicht mit einem Phänomen wie diesem in Deutschland beschäftigen, segelte «Einfach Nina» mitten bei uns durch eine sperrangelweit geöffnete Tür…
Wovon handelt «Einfach Nina»?
In «Einfach Nina» geht es um die achtjährige Nina, die bisher als Niklas durch die Welt gegangen ist und sich nun ein Herz fasst, und ihrer Familie mitteilt, dass sie schon immer ein Mädchen war und endlich als solches leben möchte. Wir begleiten Nina auf ihrem Weg mit allen Hindernissen und Herausforderungen um sie herum.
Der jetzige, elfjährige Arian Wegener spielt die Hauptrolle in dem bewegenden Spielfilm. Versteht Arian schon in diesem jungen Alter, was Trans-Sexualität ist?
Ganz ehrlich. Wir verstehen das, was wir Trans-Sexualität nennen, ja selbst als Erwachsene so lange nicht, so lange wir nicht selbst aus den Augen eines transidenten Menschen schauen können. Insofern kann es nur eine Annäherung geben. Ich weiß, dass sich Arian und seine Eltern in Absprache mit uns und der Regisseurin sehr gründlich und sensibel an die Materie herangetastet hat. Im Beisein Karin Heberleins haben sie dann im Vorfeld auch Gespräche mit Transmädchen geführt. Arian war dabei ungeheuer neugierig, hatte keinerlei Berührungsängste und einen großen Spaß daran, sich auf dieses Abenteuer einzulassen.
Arian sagte im Promo-Interview, dass ihm das Kleider tragen Spaß machte, weil diese auch bequem seien. Sollte man schon in jungen Jahren solche Dresscodes oder auch generell Farben (blau für Jungs, rosa für Mädchen) über Bord werfen?<(n>
Da ich selbst keine Kinder habe, hab ich vielleicht gut reden… Aber – eben diese angeblichen Geschlechterspezifika habe ich in meiner Kindheit bereits abgelehnt. Menschen beginnen ja schon mit rund 2 Jahren, die eigene Geschlechtsidentität wahrzunehmen und auszubilden. Man lernt, welche Attribute und Äußerlichkeiten mit dem biologischen Geschlecht assoziiert werden. Ich glaube, dass die Determinationen und Stereotype, die mit dem männlichen, oder weiblichen Verhalten verbunden werden, eben keinesfalls naturgegeben sind. Sie sind durch die Gesellschaft geprägt und in weiten Teilen reine Konstruktion, die das gesamte menschliche Miteinander in allen Systemen der Welt durchziehen und – dadurch auch regeln. Dass Mädchen „Pink“ und „Puppen“, Jungs dagegen „hellblau“ und „Panzer“ lieben, ist aus meiner Sicht ein Teil erlernter Vorlieben, oder Erwartungshaltungen Erwachsener. Ich würde mir wünschen, dass wir uns diesbezüglich offener und neutraler verhalten könnten, lande dabei aber wieder bei einem Paradoxon, das bei der Sprache beginnt. Eine der Lieblingsbeschäftigungen meines „Lieblings-Philosophiedozenten“ war es im Studium, Sachverhalte „außermoralisch“ zu betrachten, um sich dann am Ende immer eingestehen zu müssen, dass das vollkommen unmöglich ist, weil a. (unsere) Sprache an sich (ehemals christlich-) moralisch ist, es zudem b. immer noch ein persönliche Moral gibt. Will sagen: niemand kann aus seiner Haut und wird dennoch Erwartung vermitteln, selbst wenn er sich eigentlich der Vermittlung von Erwartungen verweigern will.
Die ARD stellt «Einfach Nina» am 4. Oktober in die Mediathek, am Freitag, den 6. Oktober 2023, läuft der Film im Ersten. Kommt man mit dieser Thematik an hohe Zuschauerzahlen?
Wir hatten nie vor, einen nischigen Themenfilm zu machen und freuen uns, dass die ARD Degeto uns hierzu eine Fläche geboten hat. Das Thema ergibt sich aus dem Grundkonflikt, alles strahlt hiervon ab. Aber in erster Linie ist der Film ein sehr schöner, sehr sensibel und unaufgeregt, von Karin Heberlein überhaupt nicht reißerisch inszenierter Familienfilm, der alles hat, was ein Unterhaltungsfilm am Freitagabend in der ARD haben soll : Emotionalität, Humor, Drama, tolle, empathische, glaubwürdige Schauspieler und vor allem eine sehr universelle Prämisse, die viele von uns berühren würde, egal in welcher Generation: Was würdest Du tun, wenn DEIN Kind, Enkel, Bruder, Neffe, oder was auch immer – eines Morgens sagen würde, „ab heute wohnt hier nicht mehr Niklas, sondern Nina“ ? Insofern glauben wir sehr daran, dass der Film eine breite Zuschauerschaft finden wird.
Haben Sie schon im Vorfeld Protestbriefe von Menschen bekommen? Denken Sie, dass Ihr Team damit überhäuft wird? Oder werden „lediglich“ erboste Facebook-Kommentare und X-Diskussionen stattfinden?
Im Gegenteil – wir haben bislang tatsächlich eher verschiedene Anfragen bekommen, für welche Zuschauerschaft der Film geeignet sei, ob man ihn auch schon in der Grundschule verstehe, haben viele gespannte, neugierige, eher positive Erwartungen und Nachfragen bekommen. Auch die Resonanz bei den bisherigen Festivals (z.B. Hamburg, Vancouver, Busan) war durchwegs positiv und hat gezeigt, dass diese Themen gerade eher weltweit virulent sind.
Die Bundesregierung hat im August das Selbstbestimmungsgesetz gelockert. Mann kann also leicht zur Frau werden. War dieser Schritt überfällig? Vor allem solche psychologischen Gutachten, bei die Personen über Masturbation sprechen sollten, sollten vor Wochen noch über das Geschlecht entscheiden.
Ich finde, dass der Schritt überfällig war. Bis vor Kurzem wurde das Phänomen ja eher als Geschlechtsidentitätsstörung diagnostiziert, um „Trans“ zu einer psychischen Störung, oder „Krankheit“ zu deklarieren. Das Diskriminierende dieser Betrachtungsweise verschwindet dadurch weitgehend und gibt dem Individuum das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung selbst in die Hand. „Trans“ zu sein ist eben keine Störung, keine Krankheit. Es ist eine der Varianten geschlechtlicher Vielfalt, von die eben auch schon bei Kindern auftreten kann.
Haben Sie intern auch Diskussionen führen müssen? Ist ein Kind in der Lage über das Selbstbestimmungsrecht zu entscheiden? Oder ein Jugendlicher? Was waren Ihre Erfahrungen mit Bekannten und Freunden?
Intern haben wir keinerlei Diskussionen führen müssen. Im Gegenteil. Selten haben wir in einem Team so ein kollektives Interesse, eine kollektive Identifikation mit einem Thema und dessen wirklich außergewöhnlich „spielerische“ Umsetzung durch Karin Heberlein wahrgenommen. Die Leute sind dem Ganzen alle mehr oder weniger mit der gleichen Neugier und Offenheit begegnet, fanden die Haltungen der Eltern im Film nachvollziehbar und realistisch.
Erstaunlicherweise begegnet man, wenn man sich näher mit einem Thema beschäftigt, immer mehr Menschen, mit denen man ins Gespräch kommt, die einem dann sagen – „verdammt genauso war das bei unserem Kind/Enkelkind auch“, oder sie haben überraschend häufig ein Thema wie dieses in ihrer näheren Umgebung, oder in der Familie. Nicht immer wird, oder wurde dem Verständnis gegenüber gebracht, oftmals mit der Haltung, dass ein Kind ja noch zu sehr in der Findung von Orientierung und Identität sei, um weiter greifende Entscheidungen für die Zukunft zu fällen. Am Ende wurde aber auch nicht selten die eigene frühere Haltung und das daraus resultierende Leid des Kindes kritisiert, das mitunter auch in Suizidversuchen gipfelte.
Wir finden, dass Karins Film diese Haltungen, gesellschaftlichen Vorbehalte und Mehrheitsmeinungen sehr differenziert aufspreizt und mit den Problemen unserer Hauptfiguren diskursiv, realistisch aber dabei trotzdem liebevoll und unterhaltsam verhandelt.
Vor welchem Hintergrund ist «Einfach Nina» entstanden? Wollten Sie eine Geschichte, die Sie mitbekamen, verfilmen, oder war zunächst die Idee einer Trans-Geschichte zu entwickeln, im Vordergrund gestanden?
Das ist sehr einfach zu beantworten. Die Geschichte kam als Resultat aus Gesprächen zwischen den Autor*innen und mir „zu uns“. Sie rannte von Sekunde 1 an, wie gesagt, offene Türen ein. Ich selbst komme aus einer Familie, in der für mich der Diskurs über die scheinbar gottgegebenen, extrem starren Normen der Geschlechterdichotomie schon auf Kindesbeinen begann, die Hinterfragung von Identität, auch der Zuschreibung von Rollen bis heute anhält.
Mich hat, wie gesagt, dabei nicht einmal die bezaubernde Einfachheit der Prämisse an sich verblüfft, sondern das familiäre und gesellschaftliche Chaos, was aus ihr resultiert.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit!
«Einfach Nina» ist am Freitag, den 6. Oktober, um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen.
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