Warum Medienunternehmen dann am meisten von Künstlicher Intelligenz profitieren, wenn sie so wenig wie möglich über "KI" nachdenken.
Künstliche Intelligenz (KI) ist plötzlich überall. Was inspiriert neue Ideen für die Medienproduktion? KI. Was kann Datenverarbeitung in Unternehmen besser machen? KI. Was spart Zeit und rettet den Journalismus? KI. Wie bei jedem Hype überschlagen sich scheinbar die Fortschritte, die eine neue Technologie zu machen scheint, und die Erwartungen und Wünsche an die Technologie steigen exponentiell.
Dabei ist KI in zwei entscheidenden Punkten anders als viele andere Hypes. Zum einen sind die Machine-Learning-Technologien hinter modernen KI-Anwendungen gar nicht so neu - mindestens seit Mitte der 2000er-Jahre werden Anwendungen gebaut, die darauf setzen. Und: Im Gegensatz zu anderen Trends sind die Potentiale, die aus den aktuellen Fortschritten folgen, echt und beeinflussen bereits jetzt den Alltag vieler Medienschaffender.
KI mag die Antwort sein - aber was war nochmal die Frage?
Das ist Segen und Fluch zugleich: Denn je mehr seriöse, gewinnbringende Anwendungen mit KI es gibt, desto leichter ist es auch,
"KI" auf die Verpackung zu schreiben und den Begriff zum reinen Marketing-Insturment verkommen zu lassen. Medienunternehmen, die darüber nachdenken, im KI-Bereich zu experimentieren oder mit einem Startup in diesem Bereich zusammenzuarbeiten, sollten deshalb den Begriff "KI" am besten einfach ignorieren. Stattdessen sollten sie sich fragen: "Wie können wir unsere Probleme am Besten lösen?"
Auch bisher spielte es nur in den seltensten Fällen eine Rolle, mit welcher Programmiersprache das neue Tool zur Datenvisualisierung gebaut wurde, oder wie das neue CMS technisch funktioniert. Weil KI wirklich neue Lösungen ermöglicht, kann es gut sein, dass die Frage nach der besten Problemlösung immer öfter von einem Tool beantwortet wird, das unter der Haube auf KI setzt - das sollte aber nicht der entscheidende Punkt sein.
Wichtig sind die Use Cases
Wie vielfältig die Probleme sind, die mit KI-Produkten gelöst werden können, zeigt der
KI-Report des Media Lab Bayern, für den 17 Cases für die Medienbranche gesammelt wurden. Ein Beispiel daraus ist SUMM AI: Das Startup hat ein Übersetzungstool entwickelt, das komplizierte Texte in leichte Sprache umwandelt, genauso wie es etwa DeepL mit Fremdsprachen tut. Dazu nutzen sie eine KI, die mit vielen Beispielen leichter Sprache trainiert wurde und leicht auf neue Anwendungsfälle angepasst werden kann. Relevant ist hier, dass das Tool Anbietern von Texten ermöglicht, neue Zielgruppen zu erreichen oder rechtliche Vorgaben zu erfüllen - und dass vielen Menschen der Zugang zu Informationen erleichtert wird. Das SUMM dafür Machine Learning einsetzt, sollte für die meisten Nutzenden keine Rolle spielen.
Ein weiteres Beispiel ist Anymate Me, dass die Produktion von Unternehmensvideos erleichtert. Ihre KI erlaubt es, synthetische Videos durch Texteingabe zu erstellen und in unendlichen Variationen von Inhalt, Design und Sprache auszuspielen. Ohne KI-Technologie wäre dieses Tool vermutlich nicht möglich - und trotzdem sollte kein Unternehmen auf Anymate Me setzen, um den KI-Zug nicht zu verpassen. Unternehmen sollten auf Anymate Me setzen, wenn sie ihre Videoproduktion skalieren wollen.
KI ist dank Open Source so einfach einsetzbar wie nie
Während früher die große Herausforderung die Entwicklung der Technologie war, geht es heutzutage für die Medienbranche darum, die passenden KI-Tools für die eigenen Herausforderungen zu finden. Die entscheidenden Hürden sind Monetarisierungsstrategien bei neuen Produkten, User Interfaces, die Nutzbarkeit ermöglichen oder der Datenschutz.
Glücklicherweise muss niemand mehr eine KI von Grund auf entwickeln. Für erste Experimente eignet sich ChatGPT, bestehende Sprachmodelle lassen sich mit verhältnismäßig wenig Aufwand an die eigene Situation anpassen und bei Cloud-Anbietern kann man die nötige Rechenleistung für KI-Anwendungen mieten. Wer beim Datenschutz auf Nummer sicher gehen will, nutzt Anwendungen aus Deutschland.
KI wird selbstverständlich werden
Der aktuelle Hype um KI wird irgendwann vorbei sein. Die Technologie und ihre Möglichkeiten werden bleiben. Wahrscheinlich ist es sogar ein Argument für das Potential von KI, dass die Technologie in vielen Anwendungen verbaut sein wird, ohne dass man noch groß “Jetzt mit KI!” auf die Verpackung schreiben muss. Im Medienbereich und außerhalb wird das, was wir heute KI nennen, ganz selbstverständlich in unseren digitalen Werkzeugkasten aufgenommen werden. Die wichtigste Frage bleibt, was wir damit machen wollen.
Christian Simon ist Senior Manager für Research & Strategy beim Media Lab Bayern und einer der Autoren des KI-Reports.
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