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«Beef»-Kritik: Wenn unterdrückte Emotionen zu Aggressivität führen

Unterdrückte Wut ist ein nicht gerade gängiges Thema im großen Hollywood-Dschungel, doch wenn es einmal aufgegriffen wird, können wie im Klassiker «Falling Down» echte Perlen des Erzählens entstehen.

Die neue Netflix-Serie «Beef» greift nun genau dieses Thema auf und macht daraus eine in weiten Teilen brillante Charakterstudie, über das unerfüllte Leben zweier Menschen, die mit scheinbaren Nichtigkeiten an und über ihre persönlichen Geduldsgrenzen hinaus gereizt werden.
«Beef» erzählt dabei die Geschichte von Danny Cho (Steven Yeun) und Amy Lau (Ali Wong), zweier asiatisch stämmiger Amerikaner, deren Lebenssituation und Probleme kaum unterschiedlicher sein könnten. Während Cho einen hartarbeitenden Handwerker spielt, der irgendwie versucht über die Runden zu kommen und ein Haus für seine Eltern zu finanzieren, versucht sich Lau, die in eine reiche Kunstfamilie geheiratet hat, einen eigenen Namen zu machen. Auf den ersten Blick erscheint es daher durchaus plausibel, dass es sich bei Beef um einen Klassenkrieg, der Kategorie Arm vs. Reich handeln könnte.

Doch weder die Herkunft noch der soziale Status der beiden Protagonisten spielen in «Beef» eine wirkliche Rolle. Stattdessen liegt der Fokus ganz auf dem Überschreiten der eigenen Belastungsgrenze und den Auswirkungen, die das Freilassen viel zu lange unterdrückter Emotionen haben kann. Im hier vorliegenden Fall beginnt alles mit einem Hupkonzert und einer darauffolgenden Verkehrsaggression, die allerdings nicht als Höhepunkt, sondern als Beginn weiterer Aggressionen fungiert. Es entsteht eine Fokussierung auf ein Feindbild, das nun von den eigenen unterdrückten Problemen ablenken soll.

Das Unterdrücken der eigenen Emotionen ist dabei insbesondere in Amerika zum Usus im Bereich der sozialen Interaktion geworden. Wer einmal einen amerikanischen Supermarkt besucht hat, wird dort häufig von übermäßig freundlichen Kassieren begrüßt, die sich nicht nur nach dem persönlichen Wohlbefinden erkundigen, sondern sich auch durch ständiges gekünsteltes Lächeln auszeichnen. Auch in E-Mail Konversationen ist diese geradezu übertriebene Freundlichkeit, die nichts mit dem eigenen Empfinden zu tun hat, gängige Praxis. Das Erreichen eines „Breaking-points“, bei dem die eigene Maske fallen und der Wut freien Lauf gelassen wird, dürfte daher gerade für amerikanische Zuschauer gut nachvollziehbar sein.

«Beef» mag in vielen Bereichen übertrieben wirken, die Handlungen der Akteure wenig plausibel. Zwischen belustigend und bedauerlich betrachtet der Zuschauer das Geschehen dieser ungleichen Widersacher und doch stellt sich immer wieder die Frage wie der eigene „breaking-point“ wohl aussehen würde. Schauspielerisch nimmt man den beiden Protagonisten ihre Rollen zu jeder Zeit ab, der „Beef“ zwischen diesen Figuren avanciert schnell zu einem Unfall von dem man nicht wegschauen kann. Der große Schwachpunkt der Serie liegt lediglich in der viel zu langen Lauflänge begründet, die zu immer wieder auftretenden Pacing-Problemen führt.

«Beef» ist eine Serie, die durchaus ein großes Publikum für sich gewinnen kann, genauso wie es «Falling Down» vor 30 Jahren an den Kinokassen konnte. Es ist das Erreichen der mentalen Belastbarkeitsgrenze von Menschen, welches, wenn richtig in Szene gesetzt, immer eine gewisse Faszination in sich birgt. Das Zusammenspiel zwischen scheinbarer Implausibilität und gleichzeitiger Nachvollziehbarkeit, ebenso wie zwischen Humor und Tristesse gelingt «Beef» in den meisten Fällen hervorragend, lediglich die Längen in der Erzählung schmälern das Gesamtbild.
23.04.2023 11:15 Uhr Kurz-URL: qmde.de/141741
Marc Schneider

super
schade

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Beef Falling Down

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