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Lars Eidinger: ‚Man sieht mich nicht zu Hause mit meiner Familie‘

Der 47-jährige Schauspieler wird in dem Dokumentarfilm «Lars Eidinger – Sein oder Nichtsein» portraitiert.

Schon als Kind stand für Lars Eidinger (47) fest, dass er Schauspieler werden möchte. Theater-Ag an der Schule, Schauspielstudium an der ‚Ernst Busch‘-Schule und schließlich erste Theaterauftritte. Im Jahr 2000 wird der gebürtige Berliner an der Schaubühne Ensemblemitglied. Längst hat er sich auch mit Filmen wie «Alle anderen», «Mackie Messer – Brechts Dreigroschenoper» und «Nahschuss» auch das Kino erobert. Aber nun über die Leinwände ein Dokumentarfilm über Lars Eidinger selbst flimmern. Titel: «Lars Eidinger – Sein oder Nichtsein», eine Anspielung auf den Hamlet, den er auf der Bühne so oft gegeben hat. Ein intimes Porträt über den Star und seiner Schauspielkunst. Wir trafen ihn zum Interview in seiner Heimatstadt.

Wie fühlt es sich an, dass es über Sie nun diesen intimen Dokumentarfilm gibt?
Als der Film fertig war, hat es mir plötzlich Angst gemacht. Das war mir vorher nicht so klar, was das für ein Risiko birgt. Ein Dokumentarfilm erhebt anders als ein fiktiver Film den Anspruch, so ist er wirklich. Der Film begleitet mich zwar, man sieht, wie ich arbeite und ich spreche über mich, aber man sieht mich nicht zu Hause mit meiner Familie. Es geht eher darum, was meint es überhaupt, zu schauspielern, mit der Erkenntnis, dass alles in gewisser Weise eine Rolle ist. Vielleicht macht unsere Persönlichkeit sowieso nur Facetten von Rollen aus.

Wie meinen Sie das?
Sie sprechen mit mir jetzt bestimmt auch anders als mit ihrem Partner oder Partnerin oder wenn Sie aufs Amt gehen. Das ist letztendlich, was eine Persönlichkeit prägt. Insofern sieht man im Film auch nur eine Facette von mir: Lars Eidinger in dem Dokumentarfilm «Lars Eidinger – Sein oder Nichtsein».

Was hat es mit dem Titel «Sein oder nicht sein» auf sich?
Man könnte jetzt sagen, der ist Lars Eidinger, aber wenn er spielt, ist er Hamlet. Ich würde sagen, wenn ich Hamlet spiele, bin ich vielleicht sogar mehr ich als im Alltag. Ich werte den spielerischen Moment auf, in der Hinsicht, dass ich denke, dass dieser Moment nicht weniger wirklich ist als die Realität.

Ist das Ihre Sicht auf den Beruf?
In Katja Epsteins Lied „Theater“ gibt es die Textzeile ‚Alles ist nur Theater und ist doch auch Wirklichkeit‘, und ich finde, das trifft es sehr gut. Wenn ich auf der Bühne stehe, dann sind das trotzdem echte Emotionen und erlebtes Leben. Ich gehe in die Rollen, um etwas über mich herauszufinden, um bei mir anzukommen. Ich finde mich, dadurch dass ich nicht mich verliere. Die Dokumentation hinterfragt auch die Wertung bei Sätzen wie: ‚Das ist ja nur gespielt‘ oder ‚Mach‘ mal nicht so viel Theater‘.

Hatten Sie ein Mitspracherecht an dem Film?
Es gab die Abmachung, dass ich die fertige Schnittfassung abnehmen darf, ja. Dieses Mitspracherecht hatten aber auch alle anderen, die zu sehen sind. Dann rief mich Reiner an und sagte, er hätte ein Kino gemietet, um mir den Film zu zeigen.

Was löste das bei Ihnen aus?
Ich dachte zum ersten Mal: Was ist, wenn ich das Gefühl habe, dieser Film trifft mich nicht? Mir war schon wichtig, dass mich dieser Film nicht idealisiert, sondern es auch Momente gibt, die mich in meiner Widersprüchlichkeit und Fehlerhaftigkeit zeigen. Das macht diesen Film letztlich auch menschlich.

Da gibt es den Moment, in dem Sie mit einem Theaterregisseur streiten. Andere hätten wahrscheinlich gefordert, dass das rausgeschnitten wird…
Auf der einen Seite ist das eine Situation, in der ich mich auch nicht gerne anschaue. Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, es ist vielleicht der wichtigste Moment im ganzen Film, weil man versteht, worum es beim Schauspielen geht. Es wäre vielleicht auch nicht so eskaliert, wenn die Kamera nicht dabei gelaufen wäre.

Können Sie das erklären?
Wahrscheinlich würde man das Gegenteil vermuten. Die Herausforderung war echte Todesangst zu empfinden und emotional zu beglaubigen. Ich wollte unbedingt, dass mir das vor laufender Kamera gelingt. Das ist eine sehr diffizile Aufgabe, eine Hochleistung wie von einem Sportler, der vier Jahre trainiert und bei der Olympiade auf den Punkt die Latte überspringt. Diese Leistung erbringe ich, und der Regisseur verlässt in dem Moment quasi das Stadion.

Das ist ein kränkender Moment…
Ja, weil ich in dem Moment eine Beziehung eingehe mit meinem Gegenüber. Ich finde im Deutschen den Begriff der Unterhaltung sehr treffend. Es geht um Kommunikation um eine Verbindung und der entzieht sich Michael Sturminger in diesem Moment. Das ist als wenn Sie im laufenden Gespräch plötzlich aufstehen würden und gehen. Dann würde ich ja auch nicht weitersprechen.

Sie brauchen jemand, der Ihnen bei der Arbeit zuschaut. Wie ist es dann, wenn Sie vor der Filmkamera quasi ohne Publikum auskommen müssen?
Es kommt da manchmal zu ähnlichen Momenten. Ich erwarte jetzt nicht, dass alle wie gebannt an meinen Lippen hängen und habe auch kein Problem, wenn der Gaffer im Take an einer Lampe herumschraubt, aber wenn ich im Augenwinkel jemand sehe, der durchs Internet scrollt, fühle ich mich schon betrogen um die Konzentration.

Schauspielerei ohne Theater wäre also undenkbar für Sie?
Der große Trumpf des Theaters ist die Unmittelbarkeit, der direkte Kontakt zum Publikum. Beim Film ist es immer so seltsam, für ein Publikum zu spielen, dass in der Zukunft sitzt. Manchmal ist es nahezu alptraumhaft, mir selbst aus dem Publikumsraum beim Spielen zuzuschauen.

Warum alptraumartig?
Weil ich keinen Einfluss mehr aufs Geschehen nehmen kann, selbst wenn ich merke, dass etwas nicht funktioniert.

Welches Bild von sich nehmen Sie in der Öffentlichkeit wahr?
Es ist ein Image. Also ein Bild, dass von mir entworfen wurde. In wieweit es mir gerecht wird ist eine andere Frage.

Sie wurden auch schon mal als größenwahnsinnig betitelt, weil Sie es sich herausnahmen, sich als ‚besten Schauspieler der Welt‘ zu bezeichnen…
Mich hat das damals eher irritiert, dass ich mich überhaupt ernsthaft zu diesem Satz verhalten sollte. Es ist doch völlig klar, wie er gemeint ist und dass es diese Kriterien von Gut und Schlecht im Schauspiel gar nicht gibt. Anders als zum Beispiel beim Sport. Es geht vielmehr um Glaubwürdigkeit. Das ist das höchste Gut.

Danke für Ihre Zeit!

«Lars Eidinger – Sein oder Nichtsein» ist im Kino zu sehen.
11.04.2023 12:25 Uhr Kurz-URL: qmde.de/141350
Markus Tschiedert

super
schade


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