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Sonntagsfragen an Ulrich Meyer
Er ist "Mister Akte" bei Sat.1 - Ulrich Meyer. Seit über zehn Jahren moderiert er das Reportagemagazin beim Berliner Sender. Im Gespräch mit Quotenmeter.de erzählt er, dass sich neben dem Sendeplatz auch die Arbeit verändert hat und schildert, dass die Akte Reporter vermehrt Opfer tätlicher Angriffe werden.
Herr Meyer, Mitte der 90er Jahre startete ihr „Baby“ – die «Akte». Jetzt hat man ja immer bestimmte Erwartungen, wenn man mit etwas Neuem beginnt. Wie sahen die damals aus?
Das war eine große Unbekannte. Die «Akte» startete damals, ohne dass jemand bei Sat.1 große Hoffnungen hatte. Ich schon eher. Wir hatten für das Jahr 1995 einen Einjahresvertrag für die Talkshow «Die Menschen hinter den Schlagzeilen» und einen Sechsmonatsvertrag für die «Akte». Im Jahr zuvor hatten wir bereits 20 Folgen lang «Alarm» gemacht – mit Erfolg. Das war so gut wie noch kein Sat.1-Magazin zuvor gelaufen. Trotzdem ruhten die Hoffnungen eher auf «Menschen hinter den Schlagzeilen». Das ging auch super los – die erste Folge schauten über 4 Millionen Menschen. Alle dachten damals, ich wäre die neue Schreinemakers. Aber dann hat Sat.1 eine Krimiprogrammierung gewechselt. Die Talkshow begann wesentlich später und funktionierte nicht mehr richtig. Deswegen wurden die «Menschen» nach sechs Monaten eingestellt und der Einjahresvertrag auf die «Akte» übertragen. Auch wenn das Ende der Talkshow wirklich belastend war - an einen Abbruch der «Akte» habe ich noch nie gedacht. Das ist ja das Schlimmste, was einem Produzenten passieren kann. Du musst wahrscheinlich die ganze Mannschaft nach Hause schicken, weil es garantiert kein schnelles Ersatzformat gibt. Seit 1995 machen wir die «Akte», Woche für Woche. Und plötzlich merkst Du: Irgendwann ist man halt so ein Horst Tappert des Privatfernsehens.
In der Medienbranche hört man oft von dort Schaffenden, man solle nichts zu lange machen. Es ist von Übermüdung die Rede. Sind Sie müde geworden durch über 10 Jahre «Akte»?
Nein, das sagen zumeist Schauspieler. Ich spiele ja nicht, was andere für mich erfinden. Ich bin Journalist und Produzent, erlebe täglich Spannung und Begeisterung, die aus unserer Betrachtung der Zeit rühren. Um ehrlich zu sein: Der Donnerstag, unser Sendetag, ist für mich der glücklichste Arbeitstag der gesamten Woche. Schreiben, tüfteln, formulieren. Bis zum Sendebeginn feilen. Gemeinsam aus dem Produkt das Optimum herausholen. Und am Abend ist etwas ganz Eigenständiges fertig. Unter dem Strich alles, was an unserem Beruf so toll ist. Das liebe ich nach wie vor an dem Format, insofern ist «Akte» viel mehr als nur eine große Aufgabe für mich.
Sie sind noch nicht müde…und der Zuschauer?
Der Zuschauer wird dann nicht müde, wenn er sicher ist, das Magazin trifft ihn und seine Lebensumstände. Er will Fragen beantwortet haben, die ihm begegnen. Wir mühen uns mit der ganzen Redaktion seit zwölf Jahren, möglichst nah am Zuschauer zu sein. Sicher gab es da auch starke und nicht ganz so starke Phasen, aber an einem normalen Donnerstag gehört der Slot eindeutig uns.
Gestartet sind Sie mit «Akte» an einem Mittwoch, nach wenigen Wochen ging’s auf den Montag. Es folgten der Dienstag und der Donnerstag… Fehlt an Wochentagen noch der Freitag.
(lacht) Völlig richtig. Wir haben sogar schon Specials am Samstag und Sonntag gesendet. Der Freitag fehlt noch. Wir müssten möglicherweise mal eine Comedy-Variante drehen.
Oder Sie gehen zu «Genial Daneben»…
Journalisten sollten eigentlich bei dem bleiben, was sie können…
Am Donnerstag läuft die «Akte» sehr erfolgreich. Im Übrigen nicht nur die Akte, sondern die gesamte PrimeTime. Haben Sie da eine Erklärung?
Sat.1 hatte eine glückliche Programmierungshand. Die «Schillerstraße» ist innovativ und jede Woche überraschend. «NCIS» macht uns alle sehr glücklich. Somit ist der Donnerstag jetzt einer der wichtigsten Abende der gesamten Woche. Denn die «Akte» konnte die Zuschauer vom Dienstag mitnehmen. Das war acht Jahre lang unser Sendetag. Mit einer engen Beziehung zwischen dem TV-Movie und uns. Wobei das Movie-Thema große Bedeutung hatte für uns. Nach der Farbe Romantic Comedy wollten sich nur überschaubar viele Zuschauerinnen noch mit der Realität konfrontieren. Nach einem Thriller, der realitäts-näher war, lief die «Akte» meist hervorragend. Am Ende der Dienstagsphase mussten wir erkennen, dass wegen der «Champions League» in Sat.1 eine regelmäßig wöchentliche Ausstrahlung immer schwieriger wurde. Wir sendeten mal, mal wieder nicht usw. Und als Sat.1 den Krankenhaus-Donnerstag vollständig verändern wollte, sind wir mitgegangen. Das war eine richtige Entscheidung.
Es ist sicherlich richtig, dass am Dienstag wegen der Champions League die Kontinuität fehlte. Vergessen Sie aber nicht auch, dass RTL zu diesem Zeitpunkt mit «Extra» auf den Dienstag rückte?
Nein, das vergesse ich nicht. Das war aber ein so kurzes Intermezzo, dass dieser Clash nicht von allzu großer Bedeutung war. RTL wollte die deutsche Version von «Lost» am Montag um 22.15 Uhr zeigen – somit musste «Extra» auf den Dienstag weichen. «Verschollen» war ein lange gehegtes Projekt, und deswegen entschloss man sich in Köln, die Serie für eine bestimmte Zeit am Montag auszustrahlen. Der Dienstag bei RTL war damals ein sehr kompaktes Angebot - «Extra» hatte einen hervorragenden Audience Flow. Bei uns wechselte das. Und dann entschieden die Sender: «Extra» zurück auf den Montag, wir auf den Donnerstag. Der Zusammenprall der beiden Magazine war also wie ein Crash im Ärmelkanal, nach dem die beiden Tanker wieder auf ihre alten Routen zurückgekehrt sind.
Aber wir müssen uns noch irgendwann einmal darüber unterhalten, ob «Verschollen» wirklich eine Adaption von «Lost» ist…
Darüber können wir sicherlich länger debattieren. Da waren wohl auch die Meinungen in Köln unterschiedlich.
Zurück zur «Akte»: Sie waren schon häufiger mit so genannten „Doppelakten“ im Programm – also einer zweistündigen Sendung. Ihnen gefiel das ganz gut, Sat.1 war aber nicht wirklich glücklich?!
Wir konnten den Sender im Jahr 2000 zum ersten Mal überzeugen, dass eine «Doppelakte» ein Erfolg versprechendes und wirtschaftlich sinnvolles Programmangebot war. Das funktionierte damals auch gut. Nach dem Ende von «Harald Schmidt» und vor dem Einstart von Anke Engelke waren die Zeiten schon härter, weil mehr Konkurrenzprogramme sich gegenseitig die Zuschauer abjagten. Unserer Redaktion hat die Sendung aber großen Spaß gemacht, in zwei Stunden kann man einfach viel mehr unternehmen. Die «Doppelakten» waren im Vergleich zum Senderschnitt immer noch einen Hauch besser – das war also auf keinen Fall ein Minuserlebnis. Die einstündige «Akte» mit 15 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe ist aber klar das stärkere Format – das müssen wir akzeptieren. Ich versuche zwar hin und wieder, eine zweistündige Ausgabe ins Gespräch zu bringen. Aber wir wissen sehr genau, dass Sat.1 uns als einstündiges Format sieht.
Wir sprechen ja gerade über die Zeit nach Harald Schmidt. Wie war das denn damals? War Schawinski verantwortlich für seinen Weggang? Man munkelt ja, dass er die Show von Schmidt umkrempeln wollte…
Das glaube ich nicht. Die Gedankenwelt des Produzenten Harald Schmidt verschließt sich den meisten von uns. Niemand weiß, was er damals wirklich mit seiner Produktionsfirma vorhatte. Und Roger Schawinski war so frisch im Amt, dass er eigentlich gar nichts damit zu tun haben konnte. Er saß ja kaum auf seinem Stuhl, und schon kam die Meldung über Schmidts Abgang. Harald hat die Entscheidung für sich selbst getroffen – davon gehe ich aus. Dafür war der Geschäftsführerwechsel nicht verantwortlich.
Sie bekommen jede Woche wahnsinnig viele Briefe, Faxe und E-Mails mit „Aufregern“ von Zuschauern. Klar ist, dass Sie nicht jedes Thema in ihrer Sendung behandeln können. Nach welchen Kriterien sucht die «Akte»-Redaktion aus?
Sie haben vollkommen Recht. Pro Woche erreichen uns etwa 800 Briefe. Das sind zumeist Einzelfälle. Um die kümmern wir uns, wenn sie sehr spektakulär sind. Ansonsten suchen wir nach der Cluster-Bildung: Wenn sich fünf oder mehr Briefe mit ähnlichen Beobachtungen angesammelt haben, dann wissen wir, dass da ein Thema ist, das viele Menschen angeht. Dann lautet die Frage: Ist dieses Thema formatkonform? Können wir aufdecken, aufklären, helfen? Wenn ja, dann gehen wir an die Arbeit. Und können bisweilen sehr konkret helfen.
Sex- und Erotikbeiträge haben einen festen Platz in der Sendung. Ist es notwendig, die «Akte» mit solchen „Schmuddelthemen“ zu füllen oder gehört das Ihrer Meinung nach einfach dazu?
Das Wort „Schmuddelthema“ habe ich überwunden. Das ist so eine Vor-Weltkrieg 1-Wohlanständigkeit, die da durchschimmert. Wir akzeptieren es, dass der Stern nackte Damen auf dem Titel hat, wir akzeptieren das auch beim Spiegel. Nur bei Fernsehmagazinen soll das ein Schmuddelthema sein? Helmut Thoma hat immer noch Recht, wenn er sagt, dass Erotik zum Leben gehört. Wie Erotik-Beiträge zu einem Boulevard-Magazin. Da bin ich fester Überzeugung, wir werden daran auch festhalten. Keine Farbe innerhalb unserer Sendung ist übrigens so schwierig zu produzieren wie die Erotikbeiträge. Denn: Alle Menschen, die wir dort sehen, sind authentische Menschen, die über ihr Intimleben berichten. Und die muss die Redaktion erst einmal auftun. Eine leider selten gewürdigte Leistung.
Es gibt viele Formate, die der Akte ähneln. Über «Extra» haben wir schon gesprochen. Bei den öffentlich-rechtlichen läuft zum Beispiel «Plusminus». Was unterscheidet Sie von den Konkurrenzformaten?
Ich sag’s mal ganz deutlich: Wir sind schon ziemlich einzig. Wir verwenden zwar formal Stilmittel, die wir nicht exklusiv haben. Aber wenn Sie unter den privaten Magazinen nach journalistischen Erfolgen in schwierigen Themen suchen, werden Sie bei uns am schnellsten fündig. Außerdem: Wir sind sehr lange eingeführt, der Zuschauer hat eine ganz bestimmte Erwartungshaltung an unsere Sendung. Die Erwartungen erfüllen wir – und zwar jede Woche auf’s Neue. Und wir betrachten unsere Sendung ziemlich selbstkritisch. Hat etwas gefehlt? War eine Farbe nicht stark genug? Ich glaube, dass unsere Hinwendung zum Boulevard und zum investigativen Journalismus und zu den „News you can use“, die nachvollziehbar und plausibel dargestellt werden, uns von allen anderen Magazinen unterscheidet.
“Akte investigativ“ ist ein gutes Stichwort. Sie erhalten dort Informationen, die manchen Menschen, meist von dubiosen Organisationen, nicht unbedingt gefallen. Was war die gefährliche Situation, in die Sie oder ein Reporter von «Akte» geraten ist?
Wir beobachten es sehr deutlich, dass die Bereitschaft zu Auseinandersetzungen sehr viel stärker geworden ist. Die Bereitschaft, Recherchen von Journalisten einfach hinzunehmen, so wie das am Anfang meiner Laufbahn war, wird geringer. Die Helden, die hier besungen werden müssen, das sind die Reporter, die jeden Tag raus gehen – nicht etwa der Moderator. In den vergangenen drei Jahren haben unsere Reporter teilweise massiv Prügel bezogen. Dass Leute niedergeschlagen werden, dass sie in Faustschläge laufen, dass sich Gespräche vor der Kamera plötzlich zu wüsten Schlägereien entwickeln, die teilweise nicht Mann gegen Mann, sondern vier gegen einen verlaufen, all das haben wir hinnehmen müssen. Deswegen schicken wir bei schwierigen Missionen, etwa wenn Verantwortliche zur Rede gestellt werden, meist einen oder mehrere Bodyguards mit.
Aber es gab – trotz Bodyguards – Prügel?
Wir mussten auch aus Schaden lernen. Solche Übergriffe gegen «Akte»-Mitarbeiter gehen bis vors Gericht. Das können wir uns nicht gefallen lassen.
Sie selbst waren aber noch nicht in einer solchen Situation ?
Nehmen wir das mal nicht so schauerlich ernst! Also: Bei der «Akte» nicht. Zu meinen Talkshowzeiten war das noch heftiger. Da hat mir ein Sicherheitsmann mal geraten, ich solle eine leichte Schutzweste unter dem Hemd tragen, um eventuellen Angriffen mit Messern vorzubeugen. Das fand ich arg übertrieben und hab’s gelassen. Aber es gibt durchaus Begegnungen der sehr unangenehmen Art. Manche Menschen wollen nicht differenzieren, was Journalisten in ihrem Beruf und was sie privat machen. Ich bin bei einer privaten Veranstaltung mal des Raumes verwiesen worden, weil einer der Einladenden meinte, ich sei ihm beruflich zu nahe getreten. Das passiert halt.
Bis zu welchem Punkt sind solche Szenen dann auch im Fernsehen zu sehen?
Wenn Journalisten in die Bredouille geraten, ist das kein Selbstzweck. Niemand von uns provoziert das. «Akte Jackass» gibt es nicht. Wenn wir dubiose Anlageberater auffliegen lassen und die sich mit Fäusten wehren, dann besprechen wir mit den betroffenen Kollegen, ob wir die entsprechenden Szenen zeigen können. Die meisten Reporter sind aber so sauer, dass sie sagen, klar wird das gezeigt. Ansonsten stellen wir fest, dass sich zunehmend viele Anwälte im Medienrecht versuchen. Und für ihre Mandanten, oft mittelständische Betriebe, mit denen wir uns befassen, ziemlich streitbar auftreten. Die redaktionelle Belastung durch anwaltliche Schreiben jeder Art hat deutlich zugenommen.
Aus diesen Gründen hat auch der stv. Chefredakteur der „tz“ in München seinen Job verloren. Die „tz“ hatte berichtet, Bastian Schweinsteiger sei in den Fußball-Wettskandal verwickelt.
Das war von den tz-Kollegen nahezu todesmutig, so etwas zu melden, vor allem wenn es den FC Bayern betrifft. Es ist äußerst problematisch, wenn es in Meldungen heißt, Leute seien verhört worden, und der Staatsanwalt kann ganz leicht kontern und erklären, das stimme gar nicht. Ein Fehler, der nicht passieren darf. Es ist aber nicht nur eine Annahme, dass Profi-Kicker auf Fußballspiele wetten. Namen werde ich Ihnen aber jetzt nicht sagen.
Im zweiten Teil unseres Gespräches, den wir am kommenden Sonntag veröffentlichen werden, spricht Ulrich Meyer über "Crime & Search" Formate wie die «Fahndungsakte» eines war. Natürlich ist auch der «Talk der Woche», den Meyer moderieren wollte, ein Thema.
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