Der Quotenmeter-Redakteur Lukas hat 2022 zahlreiche fiktionale Stoffe geschaut. Was hat ihm besonders gut gefallen?
5. «The Lazarus Project»(Sky)
George erlebt eine Art Murmeltiermoment. Allerdings ist es ein ganzes Jahr, das sich wiederholt. Erlebt er während des ersten „Doppeljahrs“ zunächst einen kometenhaften beruflichen Aufstieg, endet dieses glückliche Leben jäh, als eine Pandemie über das Land einbricht, die Corona wie einen Schnupfen wirken lässt. Im Wissen, um das, was kommt, beginnt George nach seinem Murmeltiermoment sich auf diese Pandemie vorzubereiten. Auch um den Menschen, den er liebt, zu schützen. Jedoch verliert er dabei fast den Verstand. Bis eine elegante Frau in sein Leben tritt und ihn darauf vorbereitet, dass schon bald alles wieder von vorne losgehen wird. Und wenn das der Fall ist, soll er zu einer ganz bestimmten Adresse kommen!
Die britische Sky-Eigenproduktion entstammt dem kreativen Gehirn des deutschen Autors und Regisseurs Marco Kreutzpaintner, der 2008 «Krabat» zum Erfolg führte und mit dem Gerichtsthriller «Der Fall Collini» immerhin 800.000 Besucher in die deutschen Kinos locken konnte. Er hat die Serie nicht nur konzipiert, er hat auch die erste Hälfte der Staffel inszeniert und damit die Marschrichtung vorgegeben, die bald auf Thriller umpolt, denn: George wird Teil eines Teams, das die Zeit zurückdreht, wenn etwas Fürchterliches von globalen Ausmaßen geschieht (wie die Bombardierung Moskaus durch amerikanische Atomraketen während der Kuba-Krise... das steht so nicht in den Geschichtsbüchern? Eben!). George gehört zu den wenigen Menschen, die das Zurückdrehen spüren können. Daher ist er für das Team wichtig. So kann George bald schon seine Fähigkeiten einbringen. Bis zu dem Moment, in dem etwas Schreckliches in seinem Leben geschieht. Etwas, das aber nur ihn betrifft und daher ein Zurückstellen der Zeit niemals rechtfertigen würde: Womit sich George aber nicht akzeptieren kann.
«The Lazarus-Project» macht einfach Spaß. Die Serie braucht zwar ein bisschen Zeit, bis die Thrillerhandlung wirklich „anspringt“, aber dann drückt sie aufs Tempo und schlägt teils irrwitzige Haken. Natürlich darf man nicht einen Moment über die physikalischen Hintergründe bezüglich der Zeitrückstellung nachdenken. Ergeben sie einen Sinn? Physiklehrer sehen das nicht so. Das ist aber egal, weil die Serie solch ein Tempo entwickelt, dass sie gar keine Zeit zum Nachdenken lässt. In Deutschland als Sky-Produktion eher unter dem Aufmerksamkeitsradar gelaufen, war sie im Vereinigten Königreich ein Hit und geht daher auch in eine zweite Runde. Das ist gut so, denn «The Lazarus-Project» endet mit einem fetten Cliffhanger – der einfach richtig Lust auf diese zweite Runde macht!
4. «Man vs. Bee» (Netflix)
«Mr Bean» ist zurück. Und es ist ganz großartig! Okay, dieser Mr. Bean heißt Trevor Bingley, ist Ende 50 und geschieden. Aber er wird dargestellt von Rowan Atkinson und dass der steif und fest behauptet, Trevor sei nicht Mr. Bean, hat nur einen einzigen Grund: Die Serie «Mr Bean» wurde weiland für ITV produziert, «Man vs. Bee» jedoch ist Netflix. …
Aber gut, nennen wir Atkinsons Figur halt „Trevor“. Trevor ist, wie bereits erwähnt, Ende 50 und geschieden. Er hat eine Teenager-Tochter, zu der er ein gutes Verhältnis pflegt. Leider ist Trevor aber auch ein Mann, der im Leben ein paar falsche Ausfahrten genommen hat. Doch nun hat er das große Los gezogen. Er hat einen Job gefunden, der genug Geld einbringen wird, um mit seiner Tochter endlich einen schönen Camping-Urlaub machen zu können. Trevor hat eine Anstellung bei einer Firma ergattert, deren Mitarbeiter die Häuser ihrer wohlhabenden Klientel „sitten“. Trevor ist Housesitter, er muss nicht viel mehr tun als ein paar Tage in einem schönen Haus zu wohnen. Er muss sich nicht um den Garten kümmern, er muss keine Hausmeisterdienste erledigen. Einzig und allein besteht seine Aufgabe darin, in einem fantastischen Haus zu wohnen (und hin und wieder mit dem Hund der Besitzer Gassi zu gehen). Das war es. Das ist Trevors Job! Dafür wird er bezahlt! Alles könnte wunderbar sein, gäbe es da nicht diese eine – Biene!
Mr Bean neigte immer zu Exzessen. Sein infantiles Gehabe führte ihn immer wieder in – schwierige Situationen. Der Mr Bean der Serie war ein Mann um die 30. Trevor ist die logische Fortentwicklung dieses Mr Bean. Trevor ist Ende 50. Er hat spät geheiratet, die Ehe ist gescheitert und man ahnt schnell, warum. Da ist etwas Manisches in Tevor. Ihm fehlt exakt jene Schranke, die Vernunft und Wahnsinn voneinander trennt. Dies berücksichtigt Atkinson sogar in der Darstellung seiner Figur, denn inmitten des Wahnsinns gibt es sogar zwei, drei Momente, die eine gewissen Tragik bezüglich der Persons Trevors entdecken lassen. Jenseits davon aber ist «Man vs. Bee» eine Herausforderung ans Zwerchfell. Die meisten Episoden sind gerade einmal zehn Minuten lang und erzählen von genau einer Situation, in der sich Trevor und die Biene im Haus einen erbitterten Kampf liefern. Das ist derart grotesk, durchgeknallt, aberwitzig, infantil, auf den Punkt inszeniert: «Man vs. Bee» ist die Serie, die 2022 gebraucht hat, um für rund 140 Minuten, mehr ist es nicht, den ganz realen Wahnsinn vergessen zu können.
3. «Exception» (Netflix)
Ein Planet weit von unserem Sonnensystem entfernt, könnte Hunderttausenden von Menschen eine neue Heimat schenken. Die äußeren Umstände sehen gut aus, darum werden Terraformer in die Weiten des Alls geschickt. Doch etwas auf ihrer Mission geht schief. Ist es ein selbst erschaffenes Monster, das ihre Arbeit attackiert? Oder ist einer von ihnen ein Saboteur? «Exception» bewegt sich zwischen japanischem Anime, französischem Utopie-Comic und einem Bilderrausch für Designfetischisten. Geschickt spielt die Geschichte mit den Erwartungen des Publikums, um sie mal vollumfänglich zu erfüllen – und sie im nächsten Moment vollkommen zu brechen. «Exception» ist eine Serie, die vermutlich kaum ein Nicht-Animefan auf dem Bildschirm haben dürfte. Das ist schade. Sie hätte mehr Aufmerksamkeit verdient!
2. «The Boys» (Staffel 3) (Amazon Prime)
Billy Butcher ist zurück und diesmal bekommt der Homelander ordentlich was auf die Fresse. «The Boys» ist auch in der dritten Staffel eine wilde Mischung aus infantilem Humor, Superheldenserie und Parabel auf die gesellschaftspolitische Gegenwart der USA. Keine andere Serie macht so viel Spaß, unterschreitet mühelos jede Niveau-Limbostange – um nur eine Szene später in einem einzigen Dialog mal eben das Wesen und die Funktionsweisen des Faschismus zu erklären. Denn das ist «The Boys» schließlich auch: Eine Auseinandersetzung mit totalitären Ideen und deren Umsetzung in demokratischen System. Wie wird Diskurs nach rechts verrückt, wie sickert libertäres, antidemokratisches Denken in die Mitte der Gesellschaft ein, warum machen gute, anständige Menschen bei so etwas mit? Und mag die Serie auch ein Herz für liberale Gesellschaftsideen nicht verhehlen können: Den einen oder anderen Nierentritt fürs linke Lager hat die Serie auch immer übrig. Mag Billy Butcher auch ein Arschloch sein: In einer Welt voll selbstverliebter Gesellschaftsverächter braucht es eben ein Arschloch wie Billy, das immerhin auf der richtigen Seite steht, wenn das Gute nicht untergehen soll. Dass es nur für Silber in den Top 5 reicht, hat er einem anderen Arschloch zu verdanken.
1. «Peacemaker» (RTL+)
Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich. Nachdem die HBO-Serie beim Bertelsmann-Streamer gelandet ist statt bei Sky und RTL+ nun wahrlich nicht zu den Diensten gehört, die man als Serienfan haben muss, ist es um so erstaunlicher, dass die (subjektiv) beste Serie des Jahres aufgerechnet auf RTL+ zu finden ist. Gut, jede Top-Liste basiert ausschließlich auf subjektiven Empfindungen, persönlichen Vorlieben, etc. Aber selbst, wer «Peacemaker» nicht mag, muss doch den Hut vor James Gunn ziehen. Da dreht der Mann «The Suicide Squad» und von all den Superhelden (oder eigentlich ja Superschurkem im Dienste der Gerechtigkeit) - wählt er für den ersten Serienableger des DC Cinematic Universes aus dem Figurenkosmos von «The Suicide Squad» die mit Abstand uninteressanteste und dümmste Figur als Protagonisten aus. Und warum? Eben weil dieser Christopher Smith, der sich selbst Peacemaker nennt, all das ist: ein Idiot, Unsympath, Vollpfosten. Wer jedoch würde sich besser dazu eignen, auf eine Mission geschickt zu werden, auf der er sich selbst definieren (oder vielleicht sogar erst einmal kennenlernen) muss – als jemand wie dieser simple Dimpel? Einen Helden kann jeder auf eine heldenhafte Mission schicken. Einen «Peacemaker» jedoch zum positiven Helden werden zu lassen – das ist eine Kunst, die James Gunn virtuos beherrscht. «Peacemaker» ist die Serie, mit der in dieser Form niemand gerechnet haben dürfte.
Außer Konkurrenz: «Star Trek - Strange New Worlds». Der alte Autor bekommt das «Star Trek» seiner Jugend mit Effekten der Gegenwart. Danke, Paramount+!
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