Britt Hagedorn spricht über das Gendern, aber die Diskussion hängt sich an einzelnen Personen und ihren Geschichten auf. Talkproducer Erdmann hat die Show für Quotenmeter analysiert.
Hallo Herr Erdmann. Wir sprachen uns zuletzt im Sommer. Damals hatte Sat.1 eine neue Talkshow mit Britt Hagedorn angekündigt. Haben Sie sich auf eine neue Talkshow gefreut?
Oh ja, ich habe mich als Talkproducer sehr gefreut, mir ging richtig das Herz auf. Zum einen, weil ich Daily-Talks gerade heutzutage für gesellschaftspolitisch wichtig erachte – und zum anderen, weil dieses Genre meine Passion ist und große Freude macht. Und weil ich auf den Erfolg von Britt hoffe, damit sie den Grundstein für weitere Talks legt.
Unsere Erwartungen wurden schnell enttäuscht. Inhaltlich war «Britt – Der Talk» ein Desaster. Können Sie das aufschlüsseln, welche Fehler vorhanden waren?
Desaster würde ich es erstmal nicht nennen. Aber in der Tat zeigt sich deutlich, dass die Macher entweder wenig Zeit für die Vorbereitung hatten oder dass sie die Zeit schlichtweg nicht genutzt haben. Herausgekommen ist eine im Ganzen gesehen uninspirierte Sendung mit teilweise fehlender Inhalts- und Personenrecherche, daraus resultierendem schwachen Storytelling und einer langweiligen Regie.
Schon die Auswahl der Premieren-Folge war für mich nicht schlüssig. Sechs verschiedene Personen, die keinen Bezug zueinander hatten, sollten in 40 Minuten ihre Geschichte vorstellen. Mit einer Talkshow hat das nichts zu tun?
Man kann eine Talkshow durchaus mit solchen Einzelgästen besetzen, am Abend macht das Markus Lanz oft ähnlich. Aber Primetime ist eben nicht Daytime. Ich habe mir die Mühe gemacht und zwei Shows im Studio als Zuschauer besucht. Britt Hagedorn hat sich dort in ihrer Warm Up-Ansprache sinngemäß dahingehend geäußert, dass sich die Diskussionskultur im Laufe der letzten zehn Jahre geändert habe und dass sie dem in ihrer neuen Show Rechnung tragen wolle. Daraus entstand offenbar das von Ihnen kritisierte Konzept der weniger streitbaren Shows mit deutlichem Schwerpunkt auf Aussehen und Individualgeschichte der Gäste. Leider haben es sich die Producer damit zu einfach gemacht, was sich nicht zuletzt in schlechten Quoten niederschlägt.
Bei der Talkshow war wohl keiner beteiligt, der sich mit früheren Talkshows auskannte?
Das weiß ich nicht, aber es wirkt so. Oder es kamen Order „von oben“, die mit dem handwerklichen Wissen um die Produktion einer solchen Show kollidierten. Allein die jetzt sichtbare Themen- und damit verbundene Gästeauswahl war ein Grundfehler, wenn man Quoten orientiert denkt.
Ein Beispiel: Das Thema „Phobien“. Jeder Talk-Erfahrene weiß zum ersten, dass man mit solcherlei gelagerten Themen in der Daytime nicht genug Zuschauer holt. Wenn man zum zweiten mit einem weiblichen Gast beginnt, der Misophonie (Hass auf Geräusche) hat, dann hat dieser Gast schlicht eine erhebliche Aversion, aber keine Phobie. Damit startet die Show schon bei Gast 1 im Ungefähren.
Handwerklich falsch wird es dann aber, wenn Britt den Applaus und die Geräusche im Studio zur Sprache bringt. Um besagtem Gast keinem Lärm auszusetzen, bittet Britt alle Publikumsgäste, statt zu klatschen mit den beiden Händen zu wedeln und sich auch sonst so ruhig wie möglich zu verhalten. Beim letzten Gast kann man das am Ende der Show tun, aber bei Gast 1, der bis zum Schluss bleibt, ist die logische Folge: Die komplette Show hat die Klangkulisse einer würdevollen Beisetzung. Unter Coronabedingungen haben wir publikumsfreie Shows produzieren müssen, teilweise mit eingespieltem Applaus. Und hier verzichtet man ohne Not auf die gerade im Talk wichtige Atmosphäre.
Bei der Show „Der Tag, der mein Leben veränderte“ startete man mit einem jungen Mann, der wunderbar mit einem Fußball balancieren kann und einmal von Neymar geliked wurde (der Tag habe sein Leben verändert, weil er mehr Follower erhielt). Ein netter Mann, der auch sein Übergewicht thematisierte, aber: Das interessiert die weiblichen Zuschauer im älteren Segment der wichtigsten Zielgruppe halt nicht. Als es im weiteren Verlauf der Show noch um Themen wie „Zeugen Jehovas“ geht oder um „Querschnittlähmung“ mit einem dramaturgisch erwartbaren Heiratsantrag, der zu einer simplen Liebeserklärung wird, sehen das nur noch die paar übrig gebliebenen Zuschauer.
Anderes Beispiel: Die Show zum Thema „Gendern“ hatte inhaltlich keinen roten Faden. Der klare Hauptstreitpunkt beim Gendern ist doch die Pluralbildung. Das wird so aber nicht thematisiert. Stattdessen unterhalten wir uns mit Gast 1 über LGBTQ+ und sein Binärsein und ob er als „er“ oder „sie“ angesprochen werden möchte. Und dann kommt später ein 75-Jähriger Mann in die Show, der in einem Brief der Redaktion nicht geduzt werden möchte. Was hat das noch mit Gendern zu tun? Wie sollen die Zuschauer hier bei der Stange bleiben, wenn selbst die Sendungszuständigen im Nebel stochern?
Diese Liste lässt sich mit praktisch jeder Folge fortsetzen, leider.
Britt Hagedorn hat bereits von 2001 und 2013 eine werktägliche Sendung bei Sat.1 moderiert. Wie kann es sein, dass Sie selbst diesen Schlamassel vor der Kamera nicht ausmerzen kann?
Ich frage mich das auch. Wahrscheinlich möchte Britt vermeiden, wieder in die Vaterschaftstest- und Lügendetektor-Schublade gesteckt zu werden.
Ich habe mir zuletzt eine alte «Andreas Türck»-Folge angesehen, der mit einem austauschbaren Thema für Stimmung sorgte. Platte Themen, kontroverse Meinungen?
Wenn man ehrlich ist, muss man konstatieren: Die damaligen Shows hatten ein dramaturgisch annehmbares Storytelling mit einem Spannungsbogen und einer Auflösung am Ende. Und sie hatten teilweise schwierig zu konstruierende Konstellationsgeschichten mit widerstreitenden Ansichten, an denen sich die Zuschauer messen konnten. Diese Second Story muss im Übrigen redaktionell ständig mitgedacht werden.
Bei einigen Ausgaben von «Britt» waren beispielsweise Männer zu Gast, die sich als Frauen kleideten. Geschmackvoll sah das nicht aus, singen konnte ein anderer Teilnehmer auch nicht. Stattdessen wurde geklatscht. Fühlt sich der Zuschauer nicht um seine Zeit beraubt? Man hatte ja auch noch eine Hexe zu Gast!
Ich weiß aus eigener teilweise leidvoller Erfahrung, welche Gäste tendenziell funktionieren und welche nicht. Bei der Besetzung einer Talkrunde mit einer „Hexe“, die statt kritisiert zu werden, von Britt durchgehend ernst genommen wird, erweist man den Zuschauern im Studio und zuhause wenig Respekt.
Die Talkshow von Britt sollte Teil von «Volles Haus» bei Sat.1 sein. Das Studio mutet wie ein Keller an, man sieht Oberlichter und die Gäste kommen von einer Treppe herunter. Ist das Ambiente wirklich für eine solche Show geeignet?
Ich finde das Studio vom Ambiente her in Ordnung. Was auffällt ist, dass bespielte Backstageräume fehlen, dass die Regie wenig Möglichkeiten für spannende Bilder wie z.B. Splits erhält, dass individuelle Auftrittsmusiken fehlen und vieles andere mehr. Sogar die Aufzeichnungszeiten sind zu früh in den Tag gelegt, so dass Gäste und Publikum schwieriger generierbar sind. In meiner Aufzeichnung saßen Gäste im Publikum, die lediglich eine osteuropäische Sprache beherrschten und inhaltlich wenig bis nichts mitbekamen.
Der übrige Teil von «Britt» wirkt ebenfalls sehr unaufgeräumt. Manchmal gibt es einen Barkeeper, manchmal sitzen die Gäste auch auf der linken Seite. Macht man das ein wenig, wie man spontan darauf Lust hat?
Nein, das ist eher ein Zeichen mangelnder Vorbereitungszeit oder einfach Gedankenlosigkeit. Scheinbar fiel auch Britt auf, dass die Barbesetzung (oder das Fehlen derselben) ein Schwachpunkt war. Darum kam sie auf den sehr schönen Gedanken, ihren Warm Upper Christian Oberfuchshuber als Sidekick zu etablieren. Das tut der Sendung richtig gut. Man sollte ihm eine eigene Talkshow geben.
Die Quoten von Britt Hagedorns Show sind schlecht. Muss man das Thema beerdigen oder hat Sat.1 noch eine reelle Chance, die Quoten zu drehen?
Auf jeden Fall gibt es die Chance einer Wende zum Erfolg. Dafür müssten die Verantwortlichen mutig sein, Wissen einkaufen und an den richtigen Stellschrauben drehen. Und auch organisatorisch etwas ändern. Soweit ich erfahren habe, gibt es eine Redaktionsunit in München und eine in Köln. Dies wäre ein durch keine Erklärung zu rechtfertigendes Unding, weil man auf diese Weise niemals eine Redaktionseinheit herstellt. Diese Einheit ist einer der grundlegendsten Aspekte einer erfolgreichen Arbeit.
Ein weiteres nicht zu unterschätzendes Thema ist der aus meiner Sicht zu späte Sendeplatz. Um 16:00 Uhr mit einem Talk zu starten und nun sogar erst um 17:30 Uhr zu enden, zeigt mir, dass die Zielgruppen nicht ausreichend analysiert wurden. Talk ist ein äußerst Frauen affines Format, das insbesondere tagsüber geschaut wird. Je weiter es in den Spätnachmittag wandert, desto mehr Männer schauen zu und desto geringer werden die Marktanteile. Ich weiß nicht, ob das bei Sat.1 nicht bemerkt wird: Die Vormittagswiederholungen performen regelmäßig doppelt bis dreifach so stark wie die Erstausstrahlungen. Der 16:00 Uhr-Sendeplatz darf aus meiner Sicht nur am Ende einer längeren Talk-Strecke liegen, weil man dann den Audience Flow der Talkshow-Liebhaberinnen optimal nutzen kann.
Zum Schluss: Social Media muss genauso im Fokus stehen wie die TV-Produktion! Wie man heutzutage dort so schwach bis gar nicht performt, ist mir ein Rätsel. Nach Woche 1 der Ausstrahlungen wollte ich mir die Themen der laufenden Woche anschauen und habe sie auf keiner Plattform gefunden. Stattdessen waren auf der Website in der dritten Ausstrahlungswoche die Themen der ersten vom Oktober gelistet. Das ist eigentlich nicht zu glauben.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
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