Am Dienstag steht die zweite Ausgabe vom «Bürgerpalament» auf dem Programm. NDR-Redakteur Ziesemer sprach mit uns über die Erwartungen des Formats.
Hallo Herr Ziesemer. Sie starten das NDR-Bürgerparlament. Was ist das?
Kurz beschrieben passiert folgendes: 20 „normale“ Bürgerinnen und Bürger diskutieren miteinander. Ohne Expertinnen und Experten und ohne Politikerinnen und Politiker. Jeweils zehn Personen sitzen sich auf zwei Bänken gegenüber. Die Gestaltung erinnert an das englische Unterhaus.
Zusätzlich sind 100 Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal, die sich an spontanen Abstimmungen beteiligen. Die Rednerinnen und Redner in der Mitte diskutieren über gesellschaftspolitische Themen. Das Thema der ersten Sendung lautete: „Verzicht? Nicht mit mir!“ Die zweite Sendung heißt „Das Bürgerinnenparlament“ – es geht dann gleich um fünf Themen: Gendern, die Legalisierung von Cannabis, Klimakleber, ein Jahr Ampel und die WM in Katar.
Die Bürgerinnen und Bürger signalisieren durch Aufstehen, dass sie das Wort wünschen und haben maximal 60 Sekunden Zeit, ihr Argument passgenau und konzentriert zu platzieren. Dabei soll es kontrovers zugehen und dennoch freundlich, respektvoll und zugewandt.
Ingo Zamperoni moderiert die Sendung. Wer Lust hatte, mitzumachen konnte sich über die NDR-Page: ndr.de/buergerparlament dafür bewerben. Das Interesse war groß! Wir haben bei der Auswahl darauf geachtet, dass die Menschen aus unterschiedlichen Lebenssituationen kommen. Bei uns diskutieren unter anderem ein Erzieher, eine Soldatin, eine Köchin, ein Pastor, eine Lehrerin und ein Lkw-Fahrer.
Wie war die erste Reaktion?
Die erste Sendung war toll! Die Diskutantinnen und Diskutanten im Bürgerparlament haben lebhaft und kontrovers diskutiert. Dabei immer fair und zugewandt Und wissen Sie, was lustig war? Als die Aufzeichnung nach 45 Minuten zu Ende war, blieben alle sitzen und diskutierten weiter. Es gibt offenbar ein großes Bedürfnis, von Angesicht zu Angesicht miteinander ins Gespräch zu kommen. Die erste Sitzung des Bürgerparlamentes hat uns gezeigt, dass „ganze normale“ Menschen durchaus etwas zu sagen haben. Offenbar hat es auch dem Publikum zu Hause gefallen. Rund 450.000 Zuschauerinnen und Zuschauer bundesweit haben die erste Sendung verfolgt. Das hat uns sehr gefreut.
Sie haben zunächst zwei Themen geplant, könnte das Format auch monatlich auf Sendung gehen?
Das Format ist ein Experiment. Wir sind selbst sehr gespannt darauf zu sehen, ob die Menschen im Bürgerparlament gut miteinander ins Gespräch kommen. Nach den zwei Pilotsendungen werden wir darüber nachdenken, ob wir das Format weiterentwickeln und wie oft wir es sehen wollen.
Themen gäbe es sicher genug und Meinungen auch. In Holland läuft ein solches Format schon länger und ist sehr erfolgreich.
Der Norddeutsche Rundfunk strahlt «NDR-Bürgerparlament» dienstags um 21.00 Uhr aus. Warum entschied sich der NDR für diese frühere Sendezeit?
Wir wollen mit diesen zwei Piloten auch testen, welche Sendezeit besser passt. Klar war auch, dass wir diese Sendung prominent platzieren und nicht irgendwo im Programm verstecken.
Konstruktive Diskussionen kommen immer häufiger ins Fernsehen. Das ZDF hat beispielsweise «13 Fragen» kreiert. Statt Polemik sollen die Menschen miteinander sprechen. Müssen wir lernen, besser zuzuhören?
Zweifelsohne gehört Zuhören nur bei wenigen Menschen zu ihren Stärken. Andererseits gibt es auch viele, die immer nur zuhören, die sich selten einmischen oder selten gefragt werden. Das Bürgerparlament bzw. das Bürgerinnenparlament ist ihre Bühne! Hier reden Menschen von Angesicht zu Angesicht miteinander und verstecken sich nicht wie so oft im Internet hinter Pseudonymen. Wir hoffen, dass wir mit der Sendung zeigen können, dass verschiedene Meinungen keine Ausnahme sind - sondern in einer Demokratie der Regelfall. Und dass Debatten von allen geführt werden können.
In den Ausgaben geht es um die Themen „Verzicht? Nicht mit mir!“ und „Gendern? Euer Ernst?“. Sind diese Themen nicht schon oft genug besprochen worden?
Sind die Themen wirklich geklärt? Sind alle Meinungen ausgetauscht? Beide Themen bekommen jeden Tag neues Futter. Sie stehen, wie zum Beispiel „Gendern“, ja für viele Facetten, also Gleichberechtigung, Macht der Sprache etc.
Das «Bürgerparlament» ist dem britischen Unterhaus nachempfunden, also eine klare Konfrontation. Wäre nicht als Drehort der alte Bundestag in Bonn besser gewesen? Konsens statt Konfrontation?
Tories und Labour stehen sich im britischen Unterhaus zwar oft unversöhnlich gegenüber – aber ihre Debatten sind auch oft von herzerfrischender Schärfe, Spitze und haben nicht selten auch hohen Unterhaltungsfaktor. Das erhoffen wir uns auch vom Bürgerparlament: Lust an der Debatte! So etwas kann sehr unterhaltend sein. Wir hoffen, dass sich die Diskutantinnen und Diskutanten nach der Sendung entspannt die Hand geben, selbst wenn jemand auch weiterhin nichts mit der Sichtweise des anderen anfangen kann.
Zuletzt schlichen sich immer wieder Grüne-, Linke- oder AfD-Sympathisanten in öffentlich-rechtliche Gesprächsrunden. Wie beugen Sie dem vor? Oder sahen Sie dies zuletzt als gar nicht so schlimm an?
Natürlich ist es nicht schön, wenn sich Menschen, teilweise sogar ausgebildet von Parteien, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in solche Sendungen einschleichen. Aber wir haben ja auch ein paar wenige Regeln im «Bürgerinnenparlament». So soll niemand länger als 60 Sekunden sprechen, um langatmige Redebeiträge zu vermeiden. Alle, die etwas sagen wollen, müssen aufstehen. Es ist also nie klar, wer wann reden wird und das Wort bekommt. Für eine eingeschmuggelte Parteitagsrede sind das nicht die besten Voraussetzungen.
Sie haben 20 Parlamentarier, einen Vorsitzenden und noch ein Studio-Publikum, das sich einmischen darf. Kommen da manche Themen nicht ein bisschen zu kurz?
Das kann sein. Wir versuchen, jedem Thema so viel Platz zu geben, wie es braucht. Denn das Gegenteil lässt sich auch nicht ausschließen, nämlich, dass ein Thema schneller auserzählt ist, als man denkt. Wir probieren deshalb zwei Varianten: in der ersten Sendung geht es nur um ein Thema, in der zweiten Sendung um mehrere. Wir werden uns ansehen, was besser funktioniert. Wenn wir das Format fortsetzen, haben wir ja hoffentlich genügend Zeit für viele Themen und viele Menschen, die miteinander diskutieren können.
Warum fiel die Wahl auf Ingo Zamperoni als Moderator?
Einfach gesagt, weil er einer der Besten der ARD ist. Er vereint mehrere Dinge: Einmal verkörpert er den nötigen Respekt, wenn er einen Raum betritt. Ideal, um die Rolle des Parlamentspräsidenten zu bekleiden. Wenn er „Order“ ruft, hören alle hin. Aber Ingo Zamperoni begegnet den Menschen trotz seiner Körpergröße auch auf Augenhöhe. Damit vermittelt er den Menschen Vertrauen und ermutigt sie, sich im Bürgerparlament zu äußern, auch wenn die Meinung mal nicht der Mehrheitsmeinung entspricht. Eine der ganz großen Stärken von Ingo Zamperoni ist zudem das Zuhören, und wenn die Sendung optimal läuft, dann hört Ingo Zamperoni in dieser Sendung viel zu, muss selten „Order“ rufen und kann sich über eine lebendige Diskussion der Bürgerinnen und Bürger in ihrem Parlament im NDR-Fernsehen freuen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel