Sein Zuhause ist aktuell noch die Schauspielbühne, mit der dritten Remarque-Verfilmung zielt Netflix auf den Oscar.
Die Leinwand wird zum Kriegsschauplatz. Denn «Im Westen nichts Neues», die dritte und erstmals deutsche Verfilmung des Romans von Erich Maria Remarque (1898-1970), kommt bald zu Netflix. Thema: Das Leiden junger deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg, die sich in den Schützengräben durch Schlamm wälzen müssen und nacheinander den Tod finden. Die Hauptrolle des Paul Bäumer ging an Felix Kammerer (27). Es ist seine erste große Filmrolle. Auf der Bühne hat sich der Österreicher längst einen Namen gemacht, gehört seit 2019 zum Ensemble des Wiener Burgtheaters. Sein Handwerk aber erlernte der bescheidene Newcomer in Berlin an der ‚Ernst Busch‘-Schauspielschule. Wir trafen ihn zum Gespräch im Adlon.
Wie viel Schlamm mussten Sie während des Drehs tatsächlich schlucken?
Kiloweise! Ich war zwischendurch auch immer wieder unter der Dusche und sagte mir, da kann doch nicht noch mehr rauskommen. Aber dann findet man doch irgendwo wieder ein Körnchen.
Das klingt nicht gerade gemütlich…
Na ja, das hatte schon einen ganz schönen Wumms. Es war total kalt und trocken. Die Haut bricht auf und man 45 Kilo Equipment – alles nass und voll mit Matsch. Abends duscht man sich ab und legt sich in Bett. Also: Wir sind zum Glück abends nach Hause gefahren. Es ist dann doch nur Film. Das muss man sich immer wieder vor Augen halten.
Wo entstanden die Schlacht-Szenen?
In der Nähe von Prag. Eine Stunde entfernt gab es ein ehemaliges sowjetisches Flugfeld. Auf 120.000 qm wurde uns ein Schlachtfeld nachgebaut mit Tausenden von Komparsen, Panzern und Schützengräben.
Bekommt man da eine ungefähre Vorstellung wie sich als Soldat echter Krieg anfühlen muss?
Man kriegt einen leichten Geruch. Wenn ich zurückdenke an die Zeit in den Gräben und den Matsch, war alles rau. Wenn man 14 Stunden durch diesen Match kriecht, reißen die Hände auf und kleine Kieselsteine stecken einem unter der Haut.
Das muss schmerzhaft sein…
Ja, das passierte schon mal in den drei Monaten. Abends haben wir uns hübsch mit Nivea eingecremt. Ich weiß nicht, wie das ohne wasserdichten Anzug unter der Uniform wäre - und das dann für zwei bis vier Jahre, ohne zu duschen und sich einzucremen. Dann kommt dazu, dass niemand auf uns geschossen hat.
Gibt es in Österreich noch die Wehrpflicht?
Ja, die gibt es, und ich natürlich auch gefragt. Ich habe mich aber verweigert und war stattdessen neun Monate im Zivildienst, und zwar in einem Übergangswohnhaus für Frauen. Ich war der einzige Mann, aber die Institution war auf Zivildienstleister angewiesen, der dann hauptsächlich Büroarbeit macht. Militärdienst wäre für mich aber nie in Frage gekommen.
In Deutschland wird darüber neu diskutiert, die Wehrpflicht wieder einzuführen…
Das finde ich krass. Gerade in den letzten Jahren und jetzt mit dem Ukraine-Krieg wird der Ton überall immer rauer. Dinge, die bisher gut gelaufen sind, sollen plötzlich wieder umgedreht werden. Es ist erschreckend, mit welcher Direktheit und Stringenz das in solche eine Richtung geht.
Schuld ist sicherlich auch, dass Putin in die Ukraine einmarschiert ist…
Wir lernen gerade alle, dass Demokratie und Frieden nicht selbstverständlich sind. Das muss man vielen trotzdem immer wieder sagen, dass das nicht von selber passiert, sondern war etwas getan werden muss. Passiert das nicht, entsteht so etwas wie Nationalismus, Patriotismus, Xenophobie und letztlich auch Krieg.
Davon erzählt auch «Im Westen nichts Neues». Kommt der Film – wenn auch unbeabsichtigt – damit zum richtigen Zeitpunkt?
Das ist absolut meine Meinung, vor allem für eine extrem große Masse. Bei Netflix haben über 220 Mio. Menschen ein Abo. Das ist eine Reichweite, die man sich nur wünschen kann. Meine Hoffnung ist, dass der Film junge Menschen kriegt, um sie nochmals aufmerksam zu machen.
Auf was?
Also wenn alte Männer anfangen, einen Krieg zu führen, kann die junge Generation durch «Im Westen nichts Neues» dazu angehalten werden, den Militärdienst zu verweigern oder sie zumindest empathisch für dieses Thema zu machen, damit sie nicht sofort wieder auf TikTok gehen.
Viele junge Russen flüchten jetzt, Um nicht eingezogen zu werden…
Uns in Europa ist durch den Angriff auf die Ukraine klargeworden, wie sehr wir das Thema Krieg verdrängt haben. Aber Krieg gibt es auf der Erde seit hundert Jahren, vor hundert Jahren, hoffentlich aber nicht mehr in hundert Jahren. Da klopfe ich mal ganz naiv auf Holz.
Mit 27 Jahren liegt das Leben quasi noch vor Ihnen. Macht Ihnen die Weltlage manchmal Angst?
Na klar. Wenn ich mit Freunden zusammensitze, wir die News lesen und darüber diskutieren, geraten wir dabei oft in eine panische Lache. Man lacht, weil man es nicht glauben kann, aber es hat auch etwas Verzweifeltes.
Wie kommt da wieder raus?
Es sind schon krasse Zeiten, aber eine Freundin hat mal zu mir gesagt, es sind auch gute Zeiten. Denn wir haben jetzt die Chance, Dinge wie Krieg, Hunger, Klimaschutz und so weiter wirklich anzupacken, weil wir müssen. In der Blase, in der ich mich bewege, gibt es einen großen Motor dafür.
Was ist das für eine Blase?
Eine Blase von relativ privilegiert aufgewachsenen, gut gebildeten, gut situierten Menschen, denen es nicht schlecht geht, und die gern über Politik diskutieren. In dem Moment, wo prekär wird, verstehe ich auch andere Sichtweisen. Das ist auch eine Aufgabe, diese gesellschaftliche Spaltung, die politisch auch genutzt wird, entgegenzutreten. Als Hälfte kriegen wir es nicht hin.
Wie blicken Sie in Ihre eigene Zukunft mit Familie, Kinder und Karriere?
So wie meine Großeltern noch geplant haben, wann man sein Haus baut, Kinder und Enkel bekommt, ist aus meiner Generation raus und kommt auch nicht wieder. Wobei ich natürlich schon plane, was ich in den nächsten Jahren gern erreichen oder mir wünschen würde.
In einem großen Film wie «Im Westen nichts Neues» die Hauptrolle zu spielen, ist sicherlich eine Wunscherfüllung, oder?
Ich wusste nicht, dass ich diesen Wunsch hatte, aber jetzt, wo der Film da ist, sage ich retrospektiv, es war ein Wunsch, der sich erfüllt hat
(lacht). Ich bin gerade wirklich zufrieden und möchte mir auch nicht permanent neue Wünsche überlegen.
Warum sind Sie nicht Opernsänger wie Ihre Eltern geworden?
Dass ich nicht in den Operngesang will, habe ich früh gemerkt. Das ist ein knallhartes Pflaster, dagegen ist Schauspielerei ein Kinderspiel. Mit 14 war ich am Gymnasium in einer Jugendtheatergruppe und dachte, das kann man doch auch studieren.
Sie haben sich dafür die ‚Ernst Busch‘-Schauspielschule in Berlin ausgesucht…
Lustigerweise war das die erste Schule, an der ich vorgesprochen habe und ich habe mich sofort verliebt. Ich wusste, das ist es.
Warum?
Ich war noch im alten Bau draußen in Schöneweide, und das hatte so etwas Unprätentiöses. Es hatte ein bisschen eklig gerochen, der Putz hat geblättert, es war alles ein bisschen kaputt. Dann aber zu sehen, was die Leute können, wenn sie da rauskommen, fand ich ganz faszinierend. Es geht also nicht um Form, sondern um das handwerkliche, und das fand ich sehr sympathisch.
Wie haben Sie Berlin damals erlebt?
Viereinhalb Jahre lebte ich in Friedrichshain und hatte mich total in die Stadt verliebt. Jetzt lebe ich wieder in meiner Geburtsstadt Wien. Wien ist eine schöne Stadt, in Berlin existiert aber mehr Leben, mehr Reibung. Hier sind die Menschen zusammengewürfelt. Man versteht sich auch mal nicht, hält dann wieder zusammen. Dieser Widerspruch gefällt mir und regt mich immer wieder an.
Jetzt könnte eine große Filmkarriere auf Sie zukommen. Gibt es bereits Angebote, vielleicht sogar aus den USA?
Die gibt es, aber sind noch nicht spruchreif, und wir müssen schauen, was dabei rauskommt. Ich möchte gute Projekte machen, Dinge, die mir Spaß machen, und sollte Hollywood darunter sein, werde ich nicht nein sagen.
Werden Sie denn zu den Oscars fahren, wenn «Im Westen nichts Neues» für Deutschland ins Rennen gehen sollte?
Die Shortlist kommt ja erst. Da müsste ich noch mal den Regisseur fragen, ob ich mit dabei sein dürfte. Aber es wäre schon klasse
(lacht).
Danke für Ihre Zeit!
«Im Westen nichts Neues» läuft im Kino und ab Ende des Monats Oktober bei Netflix.
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