Mit «Tausend Zeilen» entstand eine Satire von Michael Bully Herbig auf den Spiegel-Relotius-Fall. Wir sprachen mit UFA Ficton-Produzent Werninger über die Besetzung und neue Perspektiven.
Hallo Herr Werninger. Ende September startet der neue Spielfilm «Tausend Zeilen» in den deutschen Kinos. Darin wird die Spiegel-Affäre aus dem Jahr 2018 neu aufgerollt. Können Sie uns den Sachverhalt kurz erläutern?
Es ist eine „David gegen Goliath“-Geschichte. In unserer Verfilmung erfindet ein Starjournalist vielbeachtete Artikel, doch seine vermeintlichen Coups werden von einem Kollegen hinterfragt. Statt seine Lügen daraufhin zuzugeben, legt er dem Kollegen Steine in den Weg – und wird obendrein von seinem Arbeitgeber, einem angesehenen Medienhaus, dabei unterstützt.
In Ihrer Version schlüpft Everybodys Darling Elyas M’Barek in die Figur des Juan Romero , während Jonas Nay den preisgekrönten Reporter Lars Bogenius spielt. Warum haben Sie die Figuren so gecastet?
Wir wollten Elyas unbedingt mal in einer anderen Rolle besetzen als in der des Posterboy-Helden. Er macht das großartig und liefert eine absolute Top Performance ab. Jonas Nay hat für «Tausend Zeilen» eines der besten Castings abgelegt, die ich seit langem gesehen habe. Er hatte bei uns in der «Deutschland»-Reihe schon gezeigt, wie gut er als Doppelagent Menschen hinters Licht führen kann.
Elyas M’Barek ist ein wahnsinnig beliebter Schauspieler, der jedes Jahr in zahlreichen Spielfilmen zu sehen ist. Warum fiel die Wahl auf ihn?
Wie bereits gesagt, war es die Chance einen der beliebtesten deutschen Schauspieler mal in einer anderen Rolle zu besetzen. Elyas war früh an dem Stoff interessiert und so fiel die Wahl schnell auf ihn.
Mit Jonas Nay haben Sie einen weiteren Top-Darsteller gefunden. Mussten Sie ihn für die Rolle casten? Welches Projekt hat Sie am meisten von Nay überzeugt?
Jonas hat in einem E-Casting eine sehr gute Perfomance gezeigt. Wir kennen uns schon lange. «Homevideo» - damals für teamWorx - war einer seiner ersten großen Filme. Er ist längst von einem der größten Talente zu einem vielbeachteten Schauspieler geworden. Jeder Film und jede Rolle ist bei ihm anders. Jonas hat mich bis jetzt immer begeistert.
«Tausend Zeilen» ist keine Adaption von Juan Morenos Buch „Tausend Zeilen Lüge. Das System Relotius und der deutsche Journalismus“.
Der Film ist als fiktionales Kunstwerk und nicht als Doku zu verstehen, die die realen Begebenheiten aus dem Buch wiedergibt. Wir haben uns von Juan Morenos Buch „Tausend Zeilen Lüge“ inspirieren lassen. Die eine oder andere Figur ist inhaltlich anders gezeichnet. Deswegen haben sie auch andere Namen. Auch der eine oder andere Ablauf weicht inhaltlich ab und es wurde eine weitere Erzählebene einbezogen. Das es gleichwohl bei einer Wiedererkennbarkeit bleibt, liegt in der Natur der Sache.
Das Buch von Juan Moreno liest sich wie ein Krimi, warum haben Sie sich mit Michael Herbig geeinigt, eine Satire daraus zu machen?
Mir fällt es schwer den Film in ein Genre zu pressen. Er ist beides Recherchedrama und Mediensatire. Vieles ist so absurd, dass man es überhöht erzählen muss. Und Bully steht nicht nur für Komödie und Satire, sondern macht einfach sehr, sehr gute Filme. Für Hermann Florin und mich stand Bully ganz oben auf der Liste, weil er eben genau diese Vielschichtigkeit zwischen Satire und Drama erzeugen kann.
In Zeiten von „Fake News“ bringen Sie «Tausend Zeilen» in die deutschen Kinos. Werden damit rechte Gruppierungen nicht gefüttert?
Das denke ich nicht. Vielmehr ist es doch so, dass der Film zeigt, dass seriöser Journalismus wichtig für die Gesellschaft ist, um die Wahrheit zu übermitteln
Hat Bully eigentlich Sie auf den Stoff angesprochen oder haben Sie ihn als Regisseur davon überzeugen müssen?
Weder noch. Wir haben ihn angesprochen und er hat nach 10 Minuten zugesagt, weil er das Thema auch schon auf dem Schirm und sich eigentlich geärgert hatte, dass die Rechte bereits vergeben waren.
Der Starttermin von «Tausend Zeilen» wurde mehrfach verschoben. Was waren die Gründe?
In Pandemiezeiten ist es unglaublich schwer einen guten Starttermin zu finden. Geübte Starttermine sind plötzlich nicht sehr attraktiv, weil man Beschränkungen fürchten muss. Dieses Jahr kommt noch eine Fußball WM im Winter dazu. Insgesamt sind die Zahlen auch noch weit entfernt von dem Vor-Corona-Niveau. Wir haben mit dem 29. September gemeinsam mit Warner einen sehr guten Startermin gefunden. Jetzt müssen wir hoffen, dass wieder mehr Menschen den Weg in die Kinos finden.
Sie produzierten bereits für RTL einen ähnlichen Fall: «Der große Fake – Die Wirecard-Story» beschäftigte sich mit dem deutschen Betrugsfall. Waren Sie mit der Zuschauerresonanz zufrieden?
Die Zuschauer-Resonanz blieb etwas hinter den Erwartungen zurück. Wir sind aber sehr stolz auf den Film und fanden es wichtig auch diesen Skandal näher zu beleuchten und filmisch aufzuarbeiten.
In Ihrer Vita haben Sie zahlreche erfolgreiche Projekte vorzuweisen: Unter anderem «Leander Haußmanns Stasikomödie», «Der Junge muss an die frische Luft», «Ich bin dann mal weg» etc. Ziehen Sie den Erfolg an oder haben Sie ein besonderes Händchen für große Stoffe?
Wir suchen gezielt nach großen Stoffen, Buchvorlagen und Brands, um anspruchsvolle Unterhaltung für ein Millionenpublikum zu kreieren. Dann hängt es aber von sehr vielen Faktoren ab, ob ein Stoff erfolgreich wird, vor allem vom kreativen Talent. Ich hatte das Glück und bin dankbar, dass ich mit den Größten der Branche zusammenarbeiten konnte.
Sie waren auch bei «Deutschland 83» als ausführender Produzent an Bord. Wie umständlich war der Wechsel von RTL zu Amazon?
Das war nicht wirklich umständlich. Wir haben das sehr partnerschaftlich mit RTL besprochen. RTL hat ja auch weiterhin die Free-TV-Rechte erworben. Es war ein ganz neues Modell in einer neuen Zeit – dem Beginn der High-End-Serie. Wir konnten die Serie im Prinzip rein aus Pre-Sales in vielen verschiedenen Territorien finanzieren. Seitdem hat sich aufgrund der immer mehr geforderten Exklusivität viel verändert.
Würde heute «Deutschland 83» bei RTL+ laufen?
Vermutlich schon. RTL hat ja durch den Aufbau der VOD-Plattform erfreulicherweise sehr erfolgreich - siehe aktuell den Deutschen Fernsehpreis für «Faking Hitler» - wieder verstärkt in High-End-Fiction investiert. «Deutschland 83» war wie gesagt ein Vorreiter der High-End-Serie und musste vieles erkämpfen was heute Standard ist. Dadurch haben sich aber viele Türen überhaupt erst geöffnet. Heute würde die Serie sicherlich auch anders finanziert und produziert werden. Umso höher ist der damalige Erfolg der Serie einzustufen.
Durch die Corona-Pandemie sind zahlreiche Kinos noch überschaubar gefüllt. Vor allem die vulnerable Gruppe ist mit dem ‚Spiegel‘, dem Magazin, bei dem Claas Relotius seine Fake-Storys verbreitete, aufgewachsen. Kann man schon sagen, wo «Tausend Zeilen» im Pay-TV und im Free-TV laufen wird?
Nein, jetzt hoffen wir erst einmal, dass der Film wieder Zuschauer:innen in die Kinos lockt. Es wird dann sicherlich eine attraktive Pay-TV-, VOD- und Free TV-Auswertung geben.
Wäre ein weiterer Claas-Relotius-Fall in Deutschland denkbar? Was müsste geschehen, damit solche Fake-News nicht mehr erscheinen können?
Auch wenn ich mir das anders wünschen würde, befürchte ich, dass wir in unserer heutigen Welt immer wieder mit solchen Fällen rechnen müssen. Umso wichtiger ist es, dass es mutige Menschen gibt, die solche Dinge immer wieder aufdecken und die Wahrheit ans Licht bringen….
Vielen Dank für das Gespräch!
«Tausend Zeilen» ist seit Donnerstag in den Kinos zu sehen.
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