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Serientäter: «Man vs. Bee»

Trevor Bingley wird zu drei Jahren Haft verurteilt. Sein Vergehen: Er hat als Haussitter das Anwesen des schwerreichen Investors Christian Kolstadt-Bergenbatten und dessen Ehefrau Nina abgefackelt. Vor der Urteilsverkündung bekommt Trevor die Möglichkeit, noch einmal seine Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die mit einer Biene beginnt.

Stab

IDEE: Rowan Atkinson, William Davies
DREHBÜCHER: Willian Davies
REGIE: David Kerr
KAMERA: Karl Óskarsson
SCHNITT: Mark Davies
MUSIK: Lorne Balfe
DARSTELLER: Rowan Atkinson, Claudie Blakley, India Fowler, Jing Lusi, Julian Rhind-Tutt, Tom Basden, Gediminas Adomaitis
Rowan Atkinson erschuf mit der Serie «Blackadder» 1982 einen der ganz großen Comedy-Klassiker des britischen Fernsehens. Mit seinen insgesamt drei «Johnny English»-Filmen hat er sich tief vor «James Bond» verbeugt und die Agentenfilmreihe gleichzeitig in vollkommen absurde Gefilde geführt. Über allem aber, in einer Liga fernab der beiden genannten Film- und Fernsehserien, da bewegt sich selbstverständlich «Mr. Bean». Gerade einmal 15 Episoden sind Anfang der 90er Jahre von der ITV-Serie entstanden. 15 absurde, unfassbar komische Episoden, die erstaunlich gut die Zeiten überdauert haben, ohne auch nur einen Hauch Grünspan anzusetzen. Mr. Bean, diese Mischung aus infantilem Ichling, weltfremden Träumer, anarchistischen Weltenzerstörer – begeistert seit nunmehr über 30 Jahren das Publikum und das, obwohl die Gags hinlänglich bekannt und längst 100 Mal im Fernsehen ausgestrahlt worden sind. Aber ein Silvester ohne «Mr. Bean» auf Super RTL? Das wäre ja fast so, als würde der NDR am letzten Tag des Jahres «Dinner for One» aus dem Programm nehmen. Ein absurder Gedanke.

Nun mag Rowan Atkinson die Figur des Mr. Bean in zwei Spielfilmen auch auf die große Leinwand gebracht haben. Und die seit 2002 immer wieder neu aufgelegte Zeichentrick-Serie führt der Figur Mr. Bean stets neue Fans zu. Wirklich weiterentwickelt hat Atkinson die Figur selbst allerdings nicht. Mr. Bean ist Mr. Bean. Diesen Gedanken sollte man im Hinterkopf behalten, wenn es um «Man vs. Bee» geht.

Trevor Bingley ist Ende 50 und geschieden. Er hat eine Teenager-Tochter, zu der er ein gutes Verhältnis pflegt. Leider ist Trevor aber auch ein Mann, der im Leben irgendwo ein paar falsche Ausfahrten genommen hat. Doch nun hat er das große Los gezogen. Er hat einen Job gefunden, der genug Geld einbringen wird, um mit seiner Tochter endlich einen schönen Camping-Urlaub machen zu können. Trevor hat eine Anstellung bei einer Firma ergattert, deren Mitarbeiter die Häuser ihrer wohlhabenden Klientel „sitten“. Trevor ist Housesitter, er muss nicht viel mehr tun als ein paar Tage in einem schönen Haus zu wohnen. Weder muss er sich um den Garten kümmern, noch Hausmeisterdienste erledigen. Einzig und allein besteht seine Aufgabe darin, in einem Haus zu wohnen (und hin und wieder mit dem Hund der Besitzer Gassi zu gehen). Das war es. Das ist Trevors Job!
Ein Traum!

Sein erster Auftrag führt ihn somit in Nina und Christian Kolstadt-Bergenbattens Beton-Villa, ein Haus, das mit jeder Luftpore Modernität und Reichtum ausstrahlt. Das Paar ist im Besitz einiger erstaunlicher Kunstschätze, so lagert in einem (stets gleich temperierten) Buchzimmer ein Buch, dessen Wert in die Millionen geht, während in der Garage ein Jaguar parkt, den es in dieser Form nur ein einziges Mal gibt. Der materielle Wert ist bezifferbar, der ideelle kaum.

Das ist also das Haus, in dem Trevor einige Tage wohnen soll und wofür er bezahlt wird! Ach, es ist herrlich. Bis zu dem Moment, in dem eine Biene ins Wohnzimmer fliegt und Trevor alles daran setzt, um diese Biene wieder nach draußen zu befördern.

«Man vs. Bee» ist strukturell betrachtet eine ziemlich eigenwillige Serie. Sie umfasst neun Episoden, von denen die erste die längste mit einer Laufzeit von 19 Minuten ist. Alle weiteren Folgen sind zehn oder elf Minuten lang. Das wiederum bedeutet, dass ab Episode zwei jede Folge genau eine Situation schildert, in der Trevor sich im Kampf mit der Biene befindet. Der Beginn einer Episode kreiert diese Situation, der Rest findet im Zwerchfell statt, was von Rowan Atkinson teils in einem Maße malträtiert wird, dass es fast schon in Körperverletzung mündet. Rowan Atkinson ist keine Idee zu absurd, um sie nicht umzusetzen. Als genialer Schachzug entpuppt sich das Vorgehen, die Serie mit dem (vermeintlichen?) Ende zu beginnen, dem Gerichtsprozess, in dem Trevor zu einer Haftstrafe dafür verurteilt wird, das Haus zerstört zu haben. So ist von Anfang an klar, dass Trevor das Haus zerlegen wird – die tatsächliche Spannung ergibt sich aus der Frage, wie er das schafft. Und da die Episoden im Haus selbst – zeitlich betrachtet – in der Reihenfolge ihrer Geschehnisse stattfinden, ist auch von Anfang an klar, dass Trevor kaum bereits in der zweiten oder dritten Episode zum Flammenwerfer greifen wird. Er muss also eine Entwicklung stattfinden und keine Frage: Rowan Atkinson hält sein Versprechen des Wahnsinns. Mit. Jeder. Einzelnen. Episode.

Doch Rowan Atkinson ist nicht mehr der junge Mr. Bean. Als der passionierte Autoliebhaber und studierte Elektroingenieur aus dem Nordosten Englands Mr. Bean 1990 zum ersten Mal darstellte, war er 35 Jahre alt (auch wenn er deutlich jünger wirkte). Diesen Fakt berücksichtigt er in «Man vs. Bee».

Okay, Augenblick, «Man vs. Bee» ist nicht «Mr. Bean». Oder vielleicht – doch?



Die Figur des Mr. Bean gehört nicht nur einem Vater. Rowan Atkinson wird an ihr und ihrer Vermarktung gutes Geld verdienen, aber auch die ITV, die die Serie «Mr. Bean» erst zum Leben erweckt hat, dürfte sich an so manch einer Lizenzeinnahme erfreuen. «Man vs. Bee» ist eine Netflix-Serie und ihre Hauptfigur heißt Trevor Bingley. Dennoch sind Trevor und Mr. Bean mehr als nur Brüder im Geiste, Trevor Bingley ist die konsequente Übertragung der Figur des Mr. Bean in unsere Zeit. So neigte auch Mr. Bean stets zu manischem Verhalten. In einem der legendärsten «Mr. Bean»-Sketche geht es darum, dass Mr. Bean nur ein Bonbon während eines Gottesdienstes essen möchte, das er dafür aus der Zellophanfolie wickeln muss – was aber niemand hören soll. In diesem Sketch ist eine gewisse Manie nicht zu übersehen: Die Manie des Mr. Bean etwas, das er angefangen hat, durchziehen zu müssen, selbst dann, wenn bereits nach dem ersten Versuch klar wird, dass das, was er sich vorgenommen hat, so nicht funktionieren wird. Letztlich steigert er sich immer wieder in Situationen hinein, die erst dadurch eine Dramatik entwickeln, dass Mr. Bean über keinen Schutzimpuls verfügt, der ihn stoppen könnte. Was exakt dem Verhalten des Trevor Bingley entspricht. Trevor ist somit eine konsequente – und in wesentlichen Teilen – tragische Weiterentwicklung der Figur des Mr. Bean. Tragisch, da die Serie in mehreren (sehr kurzen Momenten, meist handelt es sich um Telefonate, die Trevor mit seiner Ex-Frau führt) thematisiert, dass Trevor in verschiedenen Berufen irgendwann gestrauchelt ist, weil er nicht in der Lage war, sich auf wesentliche Dinge konzentrieren zu können und sich oft in den falschen Dingen verfangen hat. Auch die Tatsache, dass Trevor erst im fortgeschrittenen Alter geheiratet hat und Vater geworden ist (um seine Ehe dann doch nur gegen die Wand zu fahren) – das alles passt zu einem in die Jahre gekommenen Mr. Bean. Sicher kann man eine Serie wie «Man vs. Bee» auch überinterpretieren – aber mit dem im Hinterkopf getragenen Gedanken, dass Trevor in Wahrheit Mr. Bean ist, bekommt die Figur eine unerwartete Tiefe, die sie weitaus menschlicher und ein Stück weit tragischer erscheinen lässt als dies ohne diesen Gedanken der Fall wäre: Eben weil die Puzzleteilchen Trevor = Mr. Bean alle irgendwie zusammenpassen, wenn man nur nach Anknüpfpunkten sucht. Anknüpfpunkten, von denen es noch eine ganze Reihe mehr gibt und die so leicht zu finden sind, dass man sie gar nicht übersehen kann. Die einzige handfeste Überraschung in diesem Zusammenhang stellt die Tatsache dar, dass Atkinson die Figur des Trevor Bingley zwar kreiert hat, die Drehbücher aber allesamt von seinem «Johnny English»-Autor William Davies verfasst worden sind.

«Man vs. Bee» ist bei Netflix verfügbar.
22.08.2022 12:10 Uhr Kurz-URL: qmde.de/136341
Christian Lukas

super
schade


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Tags

Blackadder Johnny English James Bond Mr. Bean Dinner for One Man vs. Bee

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Es gibt 2 Kommentare zum Artikel
Stargamer
22.08.2022 13:40 Uhr 1
"Gerade einmal 15 Episoden sind Anfang der 90er Jahre von der BBC-Serie entstanden."



Da freut sich die BBC aber und ITV fragt sich wie das passiert ist...
chl
26.08.2022 09:30 Uhr 2
Oh ha, das ist übel. Mr. Bean kassiert ab - und die Hand hält die BBC auf. Danke für die Korrektur!
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