LIDL wirbt mit dem Veganer Ralf Müller, Aldi hat in Prospekten nur noch Fleischalternativen. Dennoch müssen beispielsweise Kochshows nachsteuern.
Herr Hershaft, begehen wir aus Sicht der Tiere nicht einen riesigen Genozid?
Wir begehen in der Tat einen Völkermord, aber das sollte auch unsere Sicht sein. Denn wir sind die Verursacher – und die Einzigen, die ihn stoppen können. Wir sind diejenigen, die für die Tatsache sensibilisiert werden müssen, dass die Tiere, die wir züchten und für unser Essen töten, empfindungsfähige Wesen sind. Sie erleben die meisten der Gefühle, die wir auch erleben, darunter Schmerz, Trauer und Angst.
Das Essen von Tieren ist „Das Rauchen von Morgen“, meint eine große Metzgereikette und vertreibt heute mehr Ersatzprodukte als Fleisch. Sind wir auf einem guten Weg?
Das Züchten und Töten von Tieren für unser Essen ist nicht nur „das Rauchen von morgen", sondern auch „die Sklaverei von heute". Künftige Generationen werden sich über diese Praktiken genauso sehr empören wie wir uns heute über die Sklaverei. Wenn wir wissen wollen, wie wir selbst zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur menschlichen Sklaverei gestanden hätten, sollten wir uns überlegen, wie wir heute zur Sklaverei von Tieren stehen.
Inzwischen haben selbst große Ketten wie Burger King das gesamte Angebot auf ein wahlweise fleischloses Angebot umgestellt. Eigentlich spannend, was solche Firmen mit Gewürzen schaffen?
Es ist sehr tröstlich, dass sich die großen internationalen Fast-Food-Ketten dem Trend zu tierfreien Lebensmitteln anschließen. Das ist unsere einzige Hoffnung, um die Verwendung von Tieren für Lebensmittel zu beenden. Interessanterweise wurden einige der Gewürze, die man heute mit dem Geschmack von Fleisch in Verbindung bringt, ursprünglich für Tierfleisch benutzt – um es vor dem Faulen zu bewahren. Warum sollen wir sie also nicht für pflanzliche Produkte nutzen, ohne den „Umweg“ über das Tier? Wir ersparen uns und den Tieren damit eine Menge Leid.
In Deutschland warb LIDL mit einem «Squid Game»-Werbespot für seine vegetarischen Angebote. Muss man so die Jugend in den Medien ansprechen?
Positiv ist auf jeden Fall, dass jemand wie der Schauspieler Ralf Möller – der auch in Hollywood kein Unbekannter ist – die vegane Lebensweise promotet. Unsere Tierrechtsorganisation FARM hat ebenfalls viele Unterstützer aus dem Showbusiness, darunter James Cromwell, Alicia Silverstone und Russel Simmons. Dafür sind wir sehr dankbar, denn gerade für junge Leute sind Vorbilder sehr wichtig.
Der Discounter Aldi wirbt oftmals nicht mehr mit seinem echten Fleisch in Werbeanzeigen, sondern nur noch mit der fleischlosen Alternative. Ist das ein sinnvoller Schritt zu mehr Tierwohl?
Der einzig wirksame Weg zum Tierwohl besteht darin, Wege zu finden, das Züchten und Töten von Tieren zu beenden. Es ist wunderbar, dass Aldi für seine tierfreien Lebensmittel wirbt. Je mehr Alternativen zu Tierprodukten es gibt und je bekannter diese werden, desto einfacher wird es für die Leute, ihre Ernährung umzustellen. Denn viele essen ja nur Tierprodukte, weil sie es gewohnt sind. Und Gewohnheiten zu ändern, ist erstmal anstrengend. Wenn vegane Optionen aber überall erhältlich und normal sind, werden immer mehr Menschen zugreifen. Es gibt für uns heute ja wirklich keinen vernünftigen Grund mehr, Tierprodukte zu essen.
Müssen wir nicht auch unser schizophrenes Verhalten zum Tierwohl hinterfragen? Warum wird in Kochshows in Deutschland noch so viel mit Fleisch gearbeitet?
Natürlich ist es schizophren, wenn wir unseren Hund hätscheln und das Schwein essen. Das funktioniert nur durch massive Verdrängung. Und die Kochsendungen helfen dabei, denn sie normalisieren unser Verhalten. Dabei sollten sie den Weg zu den Lebensmitteln der Zukunft weisen, die selbstverständlich tierfrei sind!
Wir haben zahlreiche Fernsehsendungen, in denen ein Sternekoch ein Restaurant retten will. Da steht oft Unterhaltung im Mittelpunkt und nicht wirklich das Essen.
Wer Fernsehsendungen entwickelt, bewegt sich auf einem schmalen Grat zwischen sozialer Verantwortung gegenüber Menschen und anderen Lebewesen einerseits und ausreichendem Unterhaltungswert andererseits. Wer sein Publikum nicht halten kann, fliegt aus dem Programm. Zum Glück gibt es aber immer mehr Sterneköche, die sich für vegan öffnen. Das beste Restaurant New Yorks zum Beispiel – das Eleven Madison Park mit drei Sternen – kocht jetzt nur noch vegan. In Deutschland gibt es das Seven Swans in Frankfurt mit einem Stern. Und auch der Sternekoch Tim Raue, die neue Nummer eins der 100 Best Chefs Germany, bietet in seinem Berliner Restaurant mittlerweile ein veganes Menü an.
Auf Internetportalen wie YouTube können Videos von extremer Gewalt gegen Tiere angeschaut werden. Gehören diese nicht verboten, weil das ethisch fragwürdig ist?
Leider spiegeln diese Videos die grausame Realität wieder. Manche Menschen müssen diese reale Gewalt sehen, damit sie aufhören, sie an der Supermarktkasse zu verdrängen, wenn sie dort Produkte mit Fleisch, Milch und Eiern aufs Band legen. Warnhinweise, dass das nächste Video grausame Bilder enthält, finde ich daher sinnvoller als ein Verbot.
Könnte man den Konsum von Fleisch in Industrieländern nicht besser steuern, wenn die Mehrwertsteuern von Fleisch und Ersatzprodukten gleich hoch wären?
Keine verantwortungsbewusste staatliche Institution, egal wo, sollte Produkte subventionieren, die Tierquälerei, chronische Krankheiten und die globale Erwärmung fördern. Deutschland sollte eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung einer aufgeklärten Lebensmittelpolitik einnehmen.
Zu guter Letzt: Ist Fleisch nur dann wirklich genießbar, wenn ein Förster ein Wildtier erlegt?
Manche Leute behaupten, die Jagd auf Tiere sei weniger verwerflich als das Subventionieren von Tierquälerei an der Supermarktkasse. Es schade weniger der Gesundheit der Verbraucher und trage weniger zur globalen Erwärmung bei. Aus ethischer Sicht ist aber nur die Jagd mit der Kamera zulässig.
Vielen Dank für das Gespräch.
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