Derzeit bringt der amerikanische Streamingdienst Netflix zahlreiche Projekte aus Fernost in die westliche Gesellschaft. Für dieses Unterfangen hat man sich sehr viel Zeit gelassen.
Im Herbst 2014 startete der aus Los Gatos stammende Streamingdienst namens Netflix sein Europa-Angebot – und zwei Jahre später eröffnete man auch seine Büros in Südkorea. In den ersten fünf Jahren hat die Firma etwa 700 Millionen US-Dollar in das Land gesteckt, in den vergangenen vier Jahren wuchs der Dienst um beachtliche vier Millionen Kunden. Bereits im Jahr 2019 vereinbarte man eine Partnerschaft mit dem Studio Dragon, zu dem auch der Pay-TV-Sender tvN gehört. Die Firma von Reed Hastings holte sich die besten Filmemacher des Landes und ließ zahlreiche Formate konzipieren, die allerdings erst einmal im südkoreanischen Fernsehen ausgeschlachtet wurde.
Vor zehn Jahren machte Psy gerade mit dem Song „Gangnam Style“ auf YouTube auf sich aufmerksam, danach schwappten weniger Trends aus Südkorea in die westliche Gesellschaft. Doch dann setzte sich immer stärker die Popband BTS durch, die auch noch den American Music Award einheimste. Der weltweite Hype um K-Pop war nicht mehr aufzuhalten. Im Herbst 2019 wurde die Band FIA-Formel-E-Botschafter und im Corona-Sommer 2020 landeten die sieben Südkoreaner mit ihrer Videopremiere bei YouTube über 100 Millionen Klicks. Im Februar 2021 verglich Bayern3-Moderator Matthias Matuschik die Band mit dem Corona-Virus – sodass die erfolgreiche Popband auch in Deutschland im Feuilleton landete. Der Hype ist ungebrochen, doch seit Juni pausiert die Band.
Der im Jahr 2019 erschienene Film «Parasite» traf auch den Nerv der europäischen Zuschauer und konnte sich mehr als 250 Film- und Festivalpreisen nicht verwehren. Bei der Oscar-Verleihung wurde er als erster fremdsprachiger Film als „Bester Film des Jahres“ ausgezeichnet. Bong Joon-ho legte ordentlich vor, nur ein Jahr später kam Lee Isaac Chung mit «Minari» – es folgten Nominierungen zum besten Film, beste Regie und bestes Drehbuch. Yoon Yeo-jeong durfte sogar einen Oscar als Nebendarstellerin mit nach Hause nehmen.
Die westliche Welt gewöhnt sich an südkoreanische Dramen und dann landet man im Herbst mit «Squid Game» den Obertreffer. Durch geschicktes Marketing präsentierte man eine äußerst brutale Geschichte, in der am Ende nur eine Person von rund 450 Teilnehmern überleben wird. Das Werk, das eigentlich gar nicht wie eine südkoreanische Produktion aussieht, sollte eine Mischung aus US-amerikanischer und südkoreanischer Produktionsweise werden. Obwohl Fernsehkritiker oftmals kein gutes Haar an «Squid Game» ließen, sorgte der Hype für Milliarden Streaming-Stunden – Rekord für Netflix. Selbst der Konkurrent Apple hat mit «Pachinko» sein eigenes südkoreanisches Werk erschaffen.
Im Jahr 2021 stiegen die Sehstunden von koreanischen Inhalten um das Sechsfache, mit Produktionen wie «Hellbound» und «The Silent Sea» hat man ebenfalls ein Millionen-Publikum bewegt. Zwischen 2016 und 2021 hat Netflix 130 unterschiedliche südkoreanische Serien veröffentlichen können, sukzessive zieht man nun auch mit der Synchronisierung nach. Im Jahr 2022 sollen 25 neue Werke das Portfolio ergänzen – also alle zwei Wochen eine neue Serie.
Zuletzt veröffentlichte Netflix die koreanische Version von «Das Haus des Geldes». Es mag zwar die teuerste Wiederholung der Welt sein, gleichzeitig sieht man im asiatischen Bereich die größten Wachstumschancen. Denn: „Made in Korea“ ist vergleichsweise günstig und sieht auch noch gut aus. Das Rezept dieser Serien basieren auf
„Glokalität“. Also intime Momente und universelle Themen, die man gut mit der westlichen Kultur verbinden kann, werden mit lokalen Themen gemischt. Beispielsweise erzählt «Crash Landing on You» von einer südkoreanischen Unternehmerin, die in der entmilitarisierten Zone von Nordkorea landet. Bei «Hometown Cha-Cha-Cha» schmeißt eine Zahnärztin ihre Arbeit in Seoul hin, um in einem kleinen Küstendorf eine eigene Praxis zu eröffnen. Das klingt zunächst vom Plot nicht gerade anders als die eine oder andere amerikanische Serie.
Neben der „Glokalität“ sorgen die Verantwortlichen bei den südkoreanischen Fernsehsendern und Produktionsfirmen dafür, dass Serien nicht endlos ausgestrahlt werden. In Zusammenarbeit wird erarbeitet, wie viele Episoden dieser Stoff trägt. Meist wird zwischen 16 und 100 Episoden entschieden. Das südkoreanische «The Good Doctor» endete nach 20 Kapitel, in den Vereinigten Staaten von Amerika dreht sich die Geschichte nach der Hälfte von Staffel fünf im Kreis. Bei der «Criminal Minds»-Adaption wurde ebenfalls nach 20 Episoden die Geschichte beendet, «Designated Survivor: 60 Days» war bereits nach 16 Episoden abgeschlossen. Diese Serien stammten ebenfalls von Studio Dragon und dem Pay-TV-Sender tvN. Südkorea ist derzeit das Mekka für Serienschaffende, weil die Qualität im Vordergrund steht. Netflix wird davon noch Jahre profitieren können, weil vor allem Studio Dragon hochwertige Inhalte liefert. Das ist für alle eine Win-Win-Situation.
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