Fans dürften aufgeatmet haben. Netflix hat sich lange Zeit gelassen mit der Bestätigung einer zweiten Staffel von «Squid Game». Nun geht die Fortsetzung der bislang erfolgreichsten Netflix-Serie in Produktion und man wird sehen, wohin die Reise führen wird. Wie aber fand die Serie überhaupt zu Netflix?
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Nun ist «Squid Game» nicht die erste koreanische Serie, die sich ein treues Fandom auf Netflix erarbeitet hat. «Kingdom» hat es bislang auf zwei Staffeln gebracht, eine dritte Staffel wird gerade gedreht, ein Spielfilm-Spin-off wurde gedreht und ein weiteres Spin-off ist in der Planung. Das klingt erst einmal überraschend für eine Serie, die im Korea des 17. Jahrhunderts spielt und viel, viel Geschichte in der Handlung verarbeitet. Aber «Kingdom» hat auch viele, viele Zombies zu bieten. Und Zombies gehen immer. «Squid Game» hat keine Zombies, «Squid Game» hat Gi-hun, einen glückspielsüchtigen, hochverschuldeten Mittvierziger, der seine Ehe den Bach hinuntergespült hat und bei seiner Mutter lebt, weil er sich nichts anderes leisten kann. Dieser Gi-hun ist anfangs nicht einmal sympathisch, sondern ein Gernegroß, der seine Situation überspielt und nicht einmal davor zurückschreckt, seine eigene Mutter, wahrscheinlich den einzigen Mensch, der ihn noch liebt (neben seiner Tochter, die natürlich bei der Mutter lebt), zu beschimpfen und gar zu bestehlen. Gi-hun ist wahrlich nicht der Typus eines Helden, mit dem normalerweise Serien ein Publikum vor den Fernseher fesseln. Oder ist es eben die Tatsache, dass Gi-hun fehlbar ist, die ihn für uns interessant macht – weil wir für ihn Mitleid empfinden und daher eine emotionale Verbindung zu ihm aufbauen können?
Das wäre durchaus möglich. Erklärt aber auch nicht im Ansatz, wie das Phänomen «Squid Game» hat entstehen können. An der Werbung lag es auch nicht. Die gab es nämlich nicht. «Squid Game» hat die britische Serie «Bridgerton» von Platz 1 der erfolgreichsten Netflix-Serien gestoßen: Eine Serie, für die Netflix auf vielen Kanälen sehr viel Werbung betrieben hat. Vor allem in Mitteleuropa und Nordamerika gab es keinen Artikel, der nicht die Diversität der Serie über den Klee hinaus gelobt hätte! Ob Online-Teenie-Magazin, bürgerliches Zeitungsfeuilleton oder öffentlich-rechtliche Kulturberichterstattung: Schon vor dem Start der Serie wurde über den Bruch der Sehgewohnheiten berichtet und über die „farbenblinde“ Besetzung der Hauptrollen. «Bridgerton» ist in nicht wenigen Vorabberichten zum Start in ein neues Serienzeitalter erklärt worden, das für alle Zeiten die Besetzungslisten verändern würde. Dass «Bridgerton» nebenbei auch eine Serie voller wunderschöner, junger Menschen ist, die in ihren klassischen Kostümen noch einen Tick begehrenswerter aussehen als in der Realität der Gegenwart - und dass in dieser Serie wirklich jedes Geschlecht einen Charakter zum Anschmachten findet: Das ist natürlich nur ein Zufall und hat ganz bestimmt nichts mit der Vermarktbarkeit der Serie zu tun.
Der Nerv wurde getroffen
Natürlich hat die Handlung von «Squid Game» einen Angstnerv westlicher Gesellschaften berührt: die Angst vor einem Abstieg aus der Mitte. Gi-hun, das wird im Laufe der Handlung klar, hat einst in einem anständigen Job gearbeitet, hatte Frau und Kind und alles in allem – ging es ihm wohl gut. Er war ein unauffälliger, fleißiger Mann. Bis die Spielsucht kam. Es hätte auch ein Jobverlust sein können oder eine Erkrankung. Auf jeden Fall ist da dieser Moment, in dem er aus seinem geordneten Mittelstandsleben herausgefallen ist. Für die Handlung von «Squid Game» ist es im Grunde unerheblich, ob er selbst Schuld ist oder ein Opfer äußerer Umstände. Für die Handlung zählt alleine, dass Gi-hun nicht mehr in dieser Mitte steht, womit er ein Unsichtbarer wird.
Die Angst vor dem Abstieg – sie ist diffus. Da stehen oft Menschen in besten Angestelltenverhältnissen und haben dennoch Sorge vor dem Morgen. Man weiß nicht, was kommen wird.
Und dann ist da die Digitalisierung. Arbeitswelten verändern sich. Einst sichere Jobs gehen verloren (siehe den Niedergang der einst stolzen amerikanischen Stahlindustrie als ein Beispiel für einen Niedergang, der tatsächlich stattgefunden hat). Gesellschaften verändern sich, werden bunter, die Welt wird nicht einfacher. Und mag es einem persönlich auch heute noch gut gehen, wer sagt, dass das so bleibt? Gab es früher nicht Zinsen fürs Ersparte? Wo sind die geblieben? Wo kommt aktuell eigentlich die Inflation her? Wer kann sich diese Energiepreise noch leisten?
In diese Unsicherheit, die viele (nicht nur) westliche Gesellschaften seit Jahren umhertreibt - stößt eine Serie wie «Squid Game» hinein. Gi-hun hat den Abstieg erlebt. Und dann besteht die einzige Chance für ihn, in die Gesellschaft zurückzukehren, darin, dass er ein Spiel gewinnt, an dessen Ende ein Geldtopf von umgerechnet über 33 Mio Euro auf ihn warten. Mit diesem Geld würde er nicht einfach nur in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren: Er würde diese Mitte sogar überholen. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Auch so ein Mythos, der nicht totzukriegen ist. Das einzige moralische Dilemma, vor dem er steht: Wenn er gewinnt, bedeutet das, dass all seine 455 Mitspielerinnen und Mitspieler tot sein werden.
Ja, die Handlung ist vielschichtiger als auf den ersten Blick ersichtlich. Die Kulissen, die Kostüme, die Kinderspiele, die zu Todesfallen werden: Das alles sieht visuell gut aus. Am Ende wird die Serie jedoch von der Handlung und ihren Hauptfiguren getragen. Hauptfiguren wie dem alten Oh Il-nam, der an einem Gehirntumor leidet und nicht einfach auf seinen Tod warten will. Oder da ist Gi-huns Jugendfreud Cho Sang-woo, der eine richtig große Karriere gemacht – und dann sehr viel Geld veruntreut hat. Nicht aus Gier, sondern um begangene Fehler zu vertuschen, was unweigerlich in einem Teufelskreislauf enden musste. Ali Abdul ist derweil ein Pakistani, der illegal im Land lebt und für sich und seine Familie nur eine bessere Zukunft erträumt. Schließlich gehört zu den Protagonisten Kang Sae-byeok, eine aus Nordkorea geflohene junge Frau, die einfach nicht in diese Gesellschaft passen will, in der sie in ihrer Wahrnehmung einen Fremdkörper darstellt. Und während all diese Charaktere, für die man irgendwie Sympathie und Zuneigung empfindet (oder auch Enttäuschung) in Kinderspielen um ihr Leben kämpfen, sitzen in den Logen ein paar reiche Herren ohne Namen und erfreuen sich an dem Gemetzel. Woran soll man sich auch sonst noch erfreuen, wenn man alles besitzt, was man besitzen kann?
Ja, die Handlung ist schon nicht schlecht. Die Charaktere sind klasse. Die Schauspieler agieren ohne Fehl. Visuell ist das alles sehr ansprechend inszeniert. Die Spannungsmomente sind wohlgesetzt. Emotional ist das packend. Aber ganz ehrlich, warum ausgerechnet [[Squid Game derart abgegangen ist …?
Manchmal muss man ein Phänomen wohl einfach als solches akzeptieren.
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