Die Erotik-Darstellerin Anny Aurora machte für die Techniker Krankenkasse Werbung für Hodenkrebs. Nicht nur mit dieser Aktion möchte eine gesamte Branche endlich als alltäglich eingestuft werden.
Die Techniker Krankenkasse reiht sich in eine Riege an Unternehmen ein, die die Pornografie-Gesellschaft massentauglich machen möchte. Die Firma versuchte mit einer Erotikdarstellerin aus Köln, die zwischenzeitlich auch in den Vereinigten Staaten von Amerika drehte, das so sensible Thema der Hodenkrebsvorsorge voran zu treiben. Doch der Spot erntete viel Kritik – und das auch zu Recht.
Das Testimonial, eine 25-Jährige, ist hierfür denkbar ungeeignet. Sie ist eine der wenigen Personen, die im Amateur-Bereich den Durchbruch schafften und für große Produktionen angefragt werden. Das lässt sich von Agenturen und Unternehmen wie MindGeek perfekt vermarkten, immerhin hat Fabian Thylmann mit seiner Unternehmensgruppe ein perfektes Ökosystem aufgebaut. Die jungen Frauen produzieren Amateur-Filme, die sie für günstiges Geld auf Plattformen zum Kaufen anbieten. Eine Schwesterfirma nimmt sich das Recht heraus, diese Videos an große, zum Unternehmen gehörende Erotikclip-Plattformen wie Pornhub weiterzureichen. Nur in seltenen Fällen dürfen Userinnen das Recht behalten, dass ihre Filme nicht weiterverwendet werden, teilte eine Insiderin dieser Redaktion mit.
Wie schon die Netflix-Dokumentation «After Porn Ends» zeigte, produziert das System einen kontinuierlichen Nachschub an neuen Darstellerinnen. Diese wissen nicht, wie sie sich bei dem gnadenlosen System von MindGeek wehren können. Die Amateure müssen sich gegenseitig stetig überbieten, um in den Charts nach vorne gepusht zu werden und an dem System Geld zu verdienen. In den vergangenen Monaten wurde oft Kritik laut, dass Firmen wie Lieferando Restaurants mit Gebühren von 15 bis 30 Prozent „ausbeuten“, bei den Amateurplattformen werden bis zu drei Viertel der Umsätze aus der Hand gegeben. Da die Firma auf Zypern sitzt, sind die Umsätze wenigstens umsatzsteuerbefreit.
Zurück zu Anny Aurora, die für die TK wirbt. In ihren Filmen wird das extreme Ausleben der Liebe propagiert. Doch ob eine Krankenkasse hinter dieser Art und Weise steht? Auf diversen Plattformen werden Filme angeboten, in denen die Darstellerin mit möglichst vielen Männern Freude hat und auf Schutz vor Schwangerschaft und Krankheiten verzichtet. Zeitweise wird in diesen Videos mit diesen Thematiken gespielt.
Um das Leben der Sexdarsteller als Normal hinzustellen, ermutigen die Betreiberfirma ihre Talente, sich bei anderen Diensten wie Snapchat, Twitch, YouTube & Co. anzumelden. Das Motto ist immer gleich: Es sind ganz normale Menschen, die Pornofilme drehen und es ist auch völlig normal, diese anzuschauen. Richtig, hierbei handelt es sich um einen Beruf, aber das Drehen und Veröffentlichen von Erotikfilmen ist in unserer Gesellschaft nicht etwa mit normalen Instagram-Storys zu vergleichen. Es gibt gleich mehrere Darstellerinnen, die im jugendfreien Fernsehen auftreten. Ob das Werbung oder sexuelle Aufklärung ist, darüber lässt sich streiten. Die ersten Anfänge machten vor Jahren Lilly-Lil und Lena Nitro bei «Frauentausch», vor einiger Zeit war Jenny_Stella bei «Take Me Out» als Kandidatin dabei. Nach einer Runde, einmal nett mitteilen, sie wäre Cam-Girl, war sie auch schon wieder weg.
Bevor Katja Krasavice mit ihren Songs durchstartete, drehte sie mit der Erotikdarstellerin LucyCat YouTube-Videos – beide Personalitys wollten voneinander profitieren. Heutzutage promotet die Erotikdarstellerin eine neue Plattform, die ein OnlyFans-Klon ist. Vor einem Jahr teilte Lou Nesbit mit, dass sie aus der Erotikbranche aussteigen möchte. Die NDR-Redaktion «STRG_F» widmete ihr eine 25-minütige Dokumentation. Pikant: Mit ihren Videos versucht die junge Frau bis heute ihren Lebensunterhalt zu erzielen. Noch vor einigen Jahren gab sie der Bild-Zeitung ein Interview, wie glücklich sie mit ihrem Job und ihrem deutlich älteren Freund Egon sei.
Das Schema ist immer das Gleiche: Um die Reichweite zu erhöhen, arbeiten vor allem YouTuber mit Pornostars zusammen. Um den Profit an den eigenen Clips zu steigern, schaut unter anderem Shaiden Rogue bei Youtuber Rezo vorbei. Selbst die funk-Angebote «World Wide Wohnzimmer» und das YouTube-Format «Frag ein/eine…» ist inzwischen eine Werbeplattform für Erotikdarsteller geworden. Das ist vor allem deshalb problematisch, da sich diese Formate an ein sehr junges Publikum richten, wodurch womöglich minderjährige Zuschauer an die zurecht nicht jugendfreie Pornoindustrie herangeführt werden. Die Werbung der TK für Hodenkrebsvorsorge richtet sich allerdings nicht an junge Zuschauer, weshalb dieser Kritikpunkt hier nicht zutreffend ist.
Eigentlich hatte die Europäische Union den Plan gehabt, dass Erotikplattformen nur noch mit der Hinterlegung des Ausweises besucht werden dürfen. Auch die Werbung außerhalb von anderen Erotik-Clipportalen sollte unterbunden werden. Erotikplattformen sind so alt wie das Internet. Dennoch ist es völlig plausibel, in der ZDFmediathek seinen Personalausweis zu hinterlegen, um FSK16-Werke vor 22.00 Uhr zu schauen. Aber es ist beim Betreten einer Porno-Plattform „okay“, sich mit einem „Ja“ als über 18-Jähriger auszugeben. Firmen wie MindGeek und schlauen Talenten suchen schon länger einen anderen Weg in die Öffentlichkeit. Da wäre beispielsweise auch Hanna Secret zu nennen, die auf Twitch „Dead by Daylight“ zockt und nebenher sich selbst bei ihren anderen Plattformen vermarktet.
Immer wieder versuchen diese Erotik-Unternehmen das Mindset zu verändern: Erotik soll nicht mehr tabulos erscheinen. Das ist an sich eine gute Sache, aber die Genres, die im Netz gut geklickt werden, haben mit natürlichen Pärchen-Sex wenig zu tun. Auf Verhütung wird im Porno nur selten geachtet. Zustimmung zu etwaigen Fantasien wird nie offen ausgesprochen, es wird vorausgesetzt. Das spiegelt die Realität nicht wider. Aus diesem Grund bekommen auch Radiosender Pressemitteilungen zugeschickt, in denen Top-Listen der Genres geschrieben stehen, die bei einem bedeuteten Fußballspiel in der Halbzeitpause gesucht werden. Ob diese Liste ein Fünkchen Wahrheitsgehalt hat, ist Medien wie Radiosendern, die das gerne nutzen, genauso unwichtig wie die soziale Verantwortung.
Denn: Man kann durchaus froh sein, dass die biederen Zeiten der 70er Jahre lange vorbei sind. Allerdings befindet sich die Gesellschaft – und das zum Glück – nicht in dieser Welt, die die Pornoindustrie vermitteln möchte. Das Genre ist ähnlich wie der Film für die große Leinwand extrem zugespitzt. Und auch deshalb sollte man sich mit dem Thema endlich einmal kritischer auseinandersetzen. Da stellt sich noch die Frage: Ist eine Pornodarstellerin also wirklich das beste Testimonial für eine Hodenkrebs-Debatte? Niemand sollte sich für seinen Beruf schämen müssen. Vermutlich wäre ein Testimonial für eine Vorsorgeuntersuchung vielleicht dann doch ein Arzt oder ein betroffener Mann passender geeignet. Vielleicht hat die Kampagne mit diesem Text aber auch genau ihre Wirkung entfaltet. Nur schade, dass das Thema Hodenkrebsvorsorge so in den Hintergrund gerückt ist.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
06.06.2022 18:28 Uhr 1
Ich weiss nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Als Betroffner so eine hirnverbrante Überschrift zu lesen, da könnte ich echt k... Macht ihr das mit Absicht oder seid ihr einfach nur hohl???
Werbung FÜR Hodenkrebs, echt jetzt, da kommt mir alles hoch. Warum belegt ihr nicht endlich einmal einen Kurs oder absolviert eine Ausbildung, wo ihr beigebracht bekommt, wie man vernünftig schreibt. Bin echt gerade extrem wütend und muss mich zurückhalten, dass ich nicht ausfallend werde.
Wie kann man Werbung FÜR Hodenkrebs machen?????
Wenn dann gegen Hodenkrebs oder für die Vorsorge, aber verdammt nochmal nicht FÜR.
Ich bin gerade so wütend, weil ich eine bescheidene Zeit hinter mir habe, da ich damit zu tun hatte und dann so einen Müll zu lesen, dass bringt das Fass echt komplett zum Überlaufen. Überlegt doch vorher einfach mal, was ind wie ihr etwas schreibt und da spreche ich den GF persönlich an. Schämen solltest Du Dich für so einen, sorry, ROTZ.
Und jetzt kannst Du mich bannen, ist mir mittlerweile auch s...egal.