Die Kritiker: «Rosamunde Pilcher: Liebe ist unberechenbar»
Ach, Rosamunde! Mag die Welt auch am Rande des Wahnsinns stehen, eine Konstante bleibt gewiss: Bei Rosamunde Pilcher siegt die Liebe. Liebe, ihr Narren, Liebe! Selbst dann, wenn ein Algorithmus vielleicht ein bisschen nachhelfen muss!
Stab
REGIE: Karola Meeder
DREHBUCH: Martin Wilke, Jochen S. Franken
KAMERA: Vladimir Subotic
KOSTÜME: Mechthild Baumsteiger
REGIE-ASSISTENTIN: Kirsten Petersen
SCHNITT: Günter Heinzel
DARSTELLER: Maxine Kazis, Tobias van Dieken, Eva Nürnberg, Tobias Schäfer, Julia Bremermann, René Ifrah, Alexander James Perkins
Da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich: Ein Algorithmus der Liebe? In einem Film basierend auf einer Vorlage von Rosamunde Pilcher aus dem Jahre 1954 (beziehungsweise 1955)? Keine Frage, Rosamunde Pilcher hat in ihrem fast 70 Jahre umfassenden Schaffenswerk unzählige Romane und Kurzgeschichte verfasst, aber die meisten Geschichten sind auch Kinder ihrer Zeit. Daher müssen diese Geschichten für das Hier und Jetzt ein wenig aufgefrischt und modernisiert werden. Sicher wäre es nicht uninteressant, würde das ZDF hin und wieder auch einmal eine Geschichte originalgetreu verfilmen – sprich: Ein Roman wurde 1955 geschrieben, also spielt die Handlung des Filmes auch 1955. Doch das kostet Geld. Die Ausstattung, die Kleidung: Nein, da ist es natürlich kostengünstiger, die Handlungen der Geschichten in die Gegenwart zu verlegen. Dass viele Verfilmungen darüber hinaus mit ihren Vorlagen kaum noch mehr teilen als einen Titel – ist gleichfalls ein offenes Geheimnis. Im Fall von «Liebe ist unberechenbar» wird als Vorlage vom ZDF «The Dashing White Sergeant» aus dem Jahre 1954 (beziehungsweise 1955) genannt. Das ist, man höre und staune, kein Roman oder eine Kurzgeschichte: Es ist der Titel eines BBC-Fernsehspiels, welches 1954 ausgestrahlt worden ist und das Rosamunde Pilcher mit dem Autor Charles Campbell Gairdner verfasst hat. Der ist auch Co-Autor des 1955 erschienenen Theaterstückes «The Dashing White Sergeant». Inwieweit die BBC-Produktion sich von dem Theaterstück in drei Akten unterscheidet, ist leider unbekannt, denn die BBC-Produktion wurde 1954 live ausgestrahlt: Das bedeutet, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler auf einer Bühne agierten und die Kameras ihr Spiel lediglich abfilmten. Wahrscheinlich also unterscheiden sich die Fernseh- und die Bühnenfassung nur partiell voneinander. Laut BBC-Archiv ist das Stück nicht aufgezeichnet worden, sodass lediglich einige Foto von eben dieser Aufführung existieren. «The Dashing White Sergeant» ist übrigens Rosamunde Pilchers TV-Debüt, ihre Neuverfilmung ist die Nummer 155 im Rahmen der Herzkino-Filmreihe des Zweiten Deutschen Fernsehsehens. Wobei wirklich nicht von einer Neuverfilmung gesprochen werden kann, vielmehr steht die Frage im Raum, warum überhaupt ein Pilcher-Titel als Vorlage genannt wird. Hat das lizenzrechtliche Gründe? Wer weiß, wer weiß. Das Theaterstück erzählt nämlich folgende Geschichte: Eine junge Schottin kehrt nach ihrer Ausbildung in den USA heim und lädt einen jungen Amerikaner in ihr Haus ein, den sie auf der Rückreise kennengelernt hat. Das Problem: Es gibt da auch einen jungen Mann aus ihrer Umgebung, der ihr den Hof macht. Der Titel bezieht sich auf einen schottischen Tanz, bei dem eine Frau mit zwei Männern tanzt und den erwählt, der der bessere Tänzer ist.
In «Liebe ist unberechenbar» wird nicht ein einziges Mal getanzt, ja es steht nicht einmal eine junge Frau zwischen zwei Männern. Warum noch einmal wird «The Dashing White Sergeant» als Vorlage genannt? Niemand weiß es, es ist aber auch egal, denn es geht um schöne Menschen und die Liebe, die sie am Ende finden werden. Das ist kein Spoiler, das ist ein Gesetz der Rosamunde Pilcher. Es gibt kein Unhappy Ending. Der Weg ist vielmehr das Ziel und den ersten Schritt auf diesem Weg legt Dr. Mary Cameron zurück. Die Mathematikerin sucht über eine Dating App einen Mann fürs Leben, doch was sich da an Dating-Material ergibt, ist eine einzige Katastrophe. Wutentbrannt sucht sie die (natürlich zufällig in Cornwall) beheimatete Dating-Agentur auf, die die App betreibt - und bekommt stante pede einen Job angeboten. Als Mathematikerin ist sie davon überzeugt, dass es immer einen idealen Treffer (ein so genanntes Match) gibt und die besagte Dating-App einfach mies programmiert ist. Ihr Auftreten imponiert den Agenturgründer Jamie, und so bietet der ihr die Ressourcen an, die sie benötigt, um den perfekten Algorithmus zu programmieren.
Einige Monate später ist es dann tatsächlich soweit und in einem Testlauf findet ihr Algorithmus ein erstes perfektes Match: Die Studentin Amanda (die lieber eine erfolgreiche Influencerin wäre) und der nerdige Zach müssten eigentlich perfekt zusammenpassen. Dass sich die beiden bislang noch nicht einmal begegnet sind – ist eine Petitesse, die man gerne ignorieren darf. Der Algorithmus kann sich schließlich nicht irren. Um das zu beweisen, werden Zach und Amanda in ein Cottage aufs Land eingeladen, wo sie sich kennenlernen (und ineinander verlieben) sollen – begleitet von Mary und dem Dokumentarfilmer Paul. Womit die Probleme anfangen. Mary hat Paul bei einem Blind Date versehentlich für ihr Date gehalten (was er aber nicht war) und ihn, vorsichtig ausgedrückt, nicht gerade freundlich für seine vermeintliche Unpünktlichkeit zurechtgewiesen. Das Problem, mit dem die stets korrekte, perfektionistische Mary nicht klarkommt: Paul findet diese Geschichte witzig. Wäre er wütend oder abweisend, damit könnte Mary klarkommen. Aber witzig?
Weniger witzig finden Amanda und Zach, dass sie füreinander ausgewählt wurden, denn auf dem Weg zum Cottage überfährt Zack Amanada um ein Haar, als diese für ihren Instagram-Kanal posiert und nicht auf den Verkehr achtet. Er kann ihr zwar ausweichen, allerdings fängt er sich einen platten Reifen ein. Er findet Amanda oberflächlich, sie ihn, nun ja, nerdig. Für den Start in eine angeblich perfekte Beziehung ist dieses Kennenlernen eher kontraproduktiv.
Für Mary entwickelt sich dieser Feldversuch zu einer einzigen Katastrophe. Paul liebt es sie mit ihrem Perfektionismus zu foppen. Das perfekte Match mag sich nicht. Und dann nutzt ihre Mutter einmal ihre App, ein einziges Mal – und wer wird ihrer Mutter als das perfekte Match angezeigt? Marys Vater, der ihre Mutter vor Jahren verlassen hat, weshalb Mary kein Wort mehr mit ihm spricht. Dass ihre Mutter allen Ernstes bereit ist, sich mit ihrem Ex zu treffen (der gerade mal wieder eine Ehe in den Sand gesetzt hat), … das darf nicht sein.
Was lässt sich über diesen 155sten Rosamunde Pilcher-Film aus der Reihe Herzkino sagen? Etwa, dass in «Liebe ist unberechenbar» eine großartige Komödie steckt, die nicht freigelassen wird. «Liebe ist unberechenbar» ist im Kern eine Boulevardkomödie im besten Sinn des Wortes. Im Mittelpunkt steht mit der Perfektionistin Mary die perfekte Figur für eine solche Humoreske. Sie ist intelligent, sie ist pedantisch – und dann maßt sich die Realität an, sich einfach nicht an die von ihr berechneten Algorithmen halten zu wollen. Maxine Kazis stellt diese Mary dar und sie ist eigentlich die perfekte Besetzung für diese Rolle. Spürbar ist der Spaß, mit dem sie agiert, wenn die humorvollen Momente der Geschichte in den Mittelpunkt rücken – etwa Marys Wortgefechte mit Paul. Da winkt am Horizont die Screwballkomödie. Das Problem: Dies ist ein Rosamunde Pilcher-Film und der braucht dramatische Schwülstigkeit. Die findet sich dann in der Geschichte von Marys Mutter, der eine Dramatik untergeschoben wird, die so gar nicht zu der eher lockeren Inszenierung der Mary/Paul-Geschichte passen will. Gute Güte, wir alle wissen doch, dass sich am Ende der Geschichte alle Parteien zärtlich und liebevoll in den Armen liegen werden. Schon vor Jahren hat Phillipp Walulis schließlich das Wesen aller Rosamunde Pilcher-Filme in einem kurzen Erklärvideo zusammengefasst:
Warum also muss auch Film 155 unbedingt die Dramatikkeule aus dem Keller holen, statt es 90 Minuten einfach einmal locker angehen zu lassen? Ohne das große Drama, ohne die großen emotionalen Konflikte (hier der Konflikt von Mary mit ihrem Vater). Dieser Konflikt wirkt wie ein Stein in einem Bequemschuh und konterkariert nicht nur die humorvolle Geschichte von Mary und Paul. Auch die Geschichte der auf den ersten Blick oberflächlich wirkenden Amanda und des Nerds Zachs wird dadurch in den Hintergrund gerückt: In dieser Geschichte nämlich müssen sich die beiden irgendwie zusammenraufen, wartet auf sie doch – als Dank für ihre Mitwirkung im Film – ein beachtlicher Preis → das Cottage. Allerdings gibt es das nur, wenn sie einander am Ende ihre Liebe bekunden! Und wer würde für ein Cottage in Cornwall keinen Mord begehen? Gut, dies ist Rosamunde Pilcher, da wird nicht gemordet (Rosamunde Pilcher mit Splattereinlagen ist schließlich immer noch «Inspector Barnaby»!). Jedoch bietet Zacks und Amandas Geschichte für sich alleine genommen Stoff für einen eigenen Film. Leider aber bleibt ihre Geschichte kaum mehr als ein Fragment, da eben auch noch der Handlungsstrang um Marys Mutter in diesem Herzkinobeitrag untergebracht werden muss. In seiner Ernsthaftigkeit und Dramatik wirkt dieser Handlungsstrang – als sei er im falschen Film! Das Drehbuch verfängt sich in einer über 30 Jahre entstandenen Formelhaftigkeit, die in einem Pilcher-Film mindestens einen großen, dramatischen Akt / Handlungsstrang verlangt.
Bevor diese Rezension in einem Verriss mündet: «Liebe ist unberechenbar» wird sein Zielpublikum erreichen. Der überwiegend humorvolle Ton lässt die Zeit angenehm vergehen; wäre der Film ein Heftroman, so ließe er sich an einem Sonntagnachmittag bei einem heißen Kakao und einem großen Stück Käsekuchen angenehm weglesen. Nur bedauerlicherweise bleibt «Liebe ist unberechenbar» hinter seinen Möglichkeiten zurück, indem sich die Inszenierung scheut, den Fokus ganz und gar auf den komödiantischen, ja den Screwballaspekt der Geschichte zu richten. Das ist schade, denn so ist «Liebe ist unberechenbar» am Ende eben nur ein weiterer Rosamunde Pilcher-Film.
Am Sonntag, 15. Mai 2022, 20.15 Uhr im ZDF.
14.05.2022 10:30 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/134267
Christian Lukas
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