In New York wird ein It-Girl verhaftet und es stellt sich heraus: Sie war gar nicht reich. Aus dieser wahren Geschichte macht Netflix eine sehenswerte Serie.
Wer ist Anna Delvey? Das fragen sich gerade halb New York und die Journalistin Vivian (Anna Chlumsky), als die junge Frau, die entweder deutschen oder russischen Ursprungs ist und in den letzten Jahren als IT-Girl in der New Yorker High Society zu einer stattlichen Instagram-Followerschaft gekommen ist, auf einmal vor Gericht steht, weil sie Hedge-Fonds-Manager und andere Superreiche um Millionen gebracht hat. Als sie bis zum Prozess in Untersuchungshaft gesteckt wird, ist das Interesse von Vivian von der Tageszeitung „Manhatten“ endgültig geweckt.
Dahinter steckt auch purer Eigennutz der etwa doppelt so alten Redakteurin: Denn seit einem großen öffentlichen Reinfall muss sie sich damit begnügen, von ihrem Redaktionsleiter mit den langweiligeren Themen abgespeist zu werden, die weder Ruhm noch Reichtum versprechen. Aktuell soll sie auf den MeToo-Wagen aufspringen und eine Geschichte über sexuelle Übergriffe an der Wall Street recherchieren. Darauf hat sie aber keine Lust. Stattdessen will sie sich lieber an die ominöse Anna Delvey ranschmeißen, die anscheinend die Schönen und Reichen von New York City jahrelang hinters Licht geführt hat. Die Recherche muss sie ihren Chefs hart abtrotzen und die Deadline ist knallhart: Liefert sie in zwei Wochen kein Interview, muss sie wieder im journalistischen Niemandsland arbeiten.
Die Miniserie von Netflix basiert auf wahren Gegebenheiten, die aber an vielen Stellen von den Autoren um die erfolgreiche Produzentin und Serienerfinderin Shonda Rhimes stark verfremdet wurden. Die wahre Anna Delvey, oder Anna Sorokin, wie sie eigentlich heißt, wurde inzwischen wegen Betrugs und Diebstahls zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt und sollte zumindest Stand September 2021 bald nach Deutschland, in eines ihrer Heimatländer, abgeschoben werden.
Obwohl der Ausgang der wahren Ereignisse also bekannt ist, gelingt es der Netflix-Serie doch, einiges an Spannung aufzubauen. Da hilft es einerseits, die zentrale Figur Anna Delvey sowohl sehr mysteriös auftreten zu lassen und ihr in den ersten Folgen gleichzeitig gar nicht so viel Sendezeit zuzugestehen (was zu ihrer geheimnisvollen Aura natürlich einiges beiträgt). Stattdessen konzentriert sich die Geschichte auf die Perspektive der Journalistin, die im mittleren Lebensalter einen ersten großen Karriereknick verkraften muss. Dass sie in wenigen Monaten ein Kind erwartet und deshalb mitten in den Kampf um die berufliche Wiederauferstehung eine Babypause fallen soll, zehrt zusätzlich an ihren Nerven. Noch dazu ist die schnelllebige Welt einer Nachrichtenredaktion ein sehr interessanter Ort, an dem den Autoren interessante Geschichten nur so zufliegen. Die Serie weiß also, woher sie ihren Reiz beziehen will.
Wie bei Hochglanzserien üblich, fällt auch die Besetzung sehr stark aus. Anna Chlumsky wirkt in der Rolle der ehrgeizigen Journalistin sehr glaubhaft und funktioniert gleichzeitig gut als Identifikationsfigur für den Zuschauer. Die junge amerikanische Darstellerin Julia Garner macht ihre Sache als mysteriöses High-Society-IT-Girl, dessen ganzes Leben eine einzige Lüge ist, ebenfalls sehr gut. Auch wenn man das Ende also schon kennt, lohnt sich bei dieser Netflix-Serie das Einschalten.
Die Miniserie «Inventing Anna» ist bei Netflix zu sehen.
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