Eigentlich hat sich der einstmals höchst erfolgreiche, aber auch exzentrische Mordermittler Sven Hjerson aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Nach dem Tod seiner Mutter begibt er sich auf die Reise in die ihm fremd gewordene Heimat Åland. Ausgerechnet auf seiner Fähre ereignet sich ein Mord, der die alten Ermittlerinstinkte in ihm wiedererweckt.
Stab
DARSTELLER: Johan Rheborg, Hanna Alström, David Fukamachi Regnfors, Alida Morberg, Evelyn Mok, Pia Halvorsen, Jeff Lindström
STOFFENTWICKLUNG: Patrik Gyllström
REGIE: Lisa Farzahneh, Lisa James Larsson
EXECUTIVE PRODUCERS: Basi Akpabio, Leo Dezoysa, Robert Franke, Fredrik Heinig, Sebastian Krekeler, Peter Nadermann, Pelle Nilsson, Maik Platzen, James Prichard
MUSIK: Joel Danell
KAMERA: Jo Eken Torp, Frida Wendel
SCHNITT: Sanna Rapp, Sebastian Amundsen
«Agatha Christies Hjerson»? Wer ist Sven Hjerson? Das ist doch keine Figur aus dem Kosmos der Agatha Christie, oder? «Agatha Christies Hjerson» ist doch niemand anderes als Hercule Poirot auf skandinavisch! Die französische Serie «Agatha Christie: Kleine Morde» beziehungsweise ihre zweite Staffel, die hierzulande unter dem Titel «Mörderische Spiele» ausgestrahlt worden ist, hat es vorgemacht. Mit zwei Ausnahmen basieren zwar alle 38 Episoden der ersten beiden Staffeln auf Romanen und Kurzgeschichten von Agatha Christie. Sämtliche Geschichten wurden jedoch in ein französisches Setting der 1920er beziehungsweise 1950er Jahre überführt. Für diese Erzählwelten haben sich die Autorinnen und Autoren dann neue Figuren ausgedacht, die mal nach Vorlage eines Miss Marple-Roman ermitteln, um eine Episode später auf Grundlage einer Tommy und Tuppence-Kurzgeschichte auf Mörderjagd zu gehen. Neu ist dieses „Story-Switching“ nicht. Legendär sind die vier Miss Marple-Spielfilme der Jahre 1961 bis 1964, in denen Margret Rutherford Miss Marple als resolute Hobby-Detektivin darstellte. Dass Margret Rutherfords Darstellung der Miss Marple mit der literarischen Figur nicht allzu viele Gemeinsamkeiten aufweist, gehört heute quasi zum Allgemeinwissen. Ist Miss Marple in den Romanen eine eher zurückhaltende, ältere Lady, die ihren Spürsinn in erster Linie ihrer Beobachtungsgabe verdankt, stürzt Margret Rutherford doch eher mit der Tür ins Haus und ist schlichtweg unübersehbar. Weniger bekannt ist jedoch, dass von ihren vier Spielfilmen nur einer tatsächlich auf einem Miss Marple-Roman basiert, nämlich ihr Debüt «16 Uhr 50 ab Paddington» aus dem Jahre 1961. Sowohl «Der Wachsblumenstrauß» (1963) als auch «Vier Frauen und ein Mord» basieren in Wahrheit auf Hercule Poirot-Geschichten, «Mörder Ahoi!», der vierte Spielfilm, entstammt gar einem Originaldrehbuch ohne Vorlage.
Doch im Fall von Sven Hjerson sieht dies – anders aus! Um nicht zu sagen: Meta! Sven Hjerson ist tatsächlich eine Figur Agatha Christies. Das heißt, eigentlich ist Sven Hjerson eine Figur der von Agatha Christie erdachten Schriftstellerin Ariadne Oliver, einer Freundin des berühmten Meisterdetektivs Hercule Poirot, die in insgesamt sieben von Agatha Christie erdachten Thrillern auftritt. Spiegelt sich in Ariadne Oliver niemand anderes als Agatha Christie höchstselbst wieder, ist Sven Hjerson natürlich eine Variation von Hercule Poirot, denn Hjerson soll nicht weniger exzentrisch als der belgische Meisterdetektiv sein, allerdings verfügt er als Skandinavier über ein kühleres Temperament als der Wallone Poirot.
Hjerson ist also eine von einer Romanfigur erdachte Romanfigur!
Es war nur eine Frage der Zeit, bis findige Produzentinnen und Produzenten die Werke der Großmeisterin des Kriminalromans auf Nebenfiguren abklopfen würden, die sich in Solo-Werken vermarkten lassen, denn Agatha Christie erlebt seit einigen Jahren eine sagenhafte Renaissance auf dem Film- und Fernsehmarkt. Nicht, dass sie jemals wirklich fort gewesen wäre, die Budgets werden jedoch größer und die Projekte mutiger – wie etwa der britische Dreiteiler «Und dann gab es keines mehr». Der entpuppte sich 2015 weniger als klassischer Kriminalfilm, sondern kam als fast schon psychologischer Horrorfilm des Weges. Die bereits erwähnte französische Serie «Kleine Morde» bedient sich ausschließlich der Geschichten der Agatha Christie – um diese in ganz neuen Erzählwelten stattfinden zu lassen. Seit 2015 erlebt derweil das japanische Fernsehpublikum jedes Jahr einen Event-Mehrteiler oder Spielfilm, in deren/dessen Mittelpunkt der exzentrische Detektiv Takeru Sugoro steht – eine japanische Version des Hercule Poirot, Zwirbelbärtchen inklusive. 2015 startete die Reihe mit «Oriento kyuukou satsujin jiken», einer Adaption von «Mord im Orient-Express»; der bislang letzte Spielfilm, «Shi to no Yakusoku» aus dem Jahr 2021 basiert auf «Der Tod wartet». Eine libanesische TV-Serie mit dem Titel «Abriaa Wa Laken: Innocent... However» bietet derweil ein Mashup der Romane «Der Tod wartet» und «Tödlicher Irrtum» und lässt deren Handlung im Libanon der Gegenwart spielen. So wie auch die indische (westbengalische) Produktion «Chorbali» die Story des Hercule Poirot-Romans «Mit offenen Karten» ins Hier und Jetzt überträgt. Im Vergleich zu diesen sehr unterschiedlichen Interpretationen, fallen die Hochglanz-Produktionen eines Kenneth Branagh direkt bieder aus.
Und nun haben also auch die Skandinavier ihren Agatha Christie-Charakter entdeckt und lassen diesen, mit freundlicher Unterstützung von ZDF Enterprises, in skandinavischen Gewässern ermitteln.
Klara Sandberg ist TV-Produzentin. Ihr Metier sind Reality-Serien, in denen C-Promis C-Dinge tun. Während eines Brainstormings bezüglich neuer Projekte reicht es Klara schließlich. Sie hat von all dem Müll die Nase gestrichen voll. Nicht, dass sie etwas gegen Reality-TV als solches einzuwenden hätte. Aber der Qualitätsverfall, dieses Generieren von C-Promis für C-Produktionen mit einem C-Aufwand: Das will sie nicht mehr mitmachen. Mit dem Erfolg, dass ihr stante pede gekündigt wird. Allerdings bekommt sie eine Gnadenfrist eingeräumt, denn das Projekt, das sie während des Brainstormings (aus dem Hut) auf den Tisch ihres Chefs zaubert, stößt durchaus auf Interesse: Sie will den bekannten, aber zurückgezogen lebenden Ermittler Sven Hjerson für eine Show gewinnen. Wenn dieser Hjerson alte, ungelöste Fälle wieder aufnehmen würde: Das hätte doch was? Der Mann ist ein Profi, der über seine Behörde hinaus einen guten Namen besaß. Allerdings nur, bis er in Ungnade fiel.
Wenn es Klara gelingt, Hjerson für dieses Format zu gewinnen, dann bekommt sie ihre Serie.
Das Problem: Ungünstiger könnte der Zeitpunkt nicht ausfallen, um sich an Hjerson zu wenden. Hjerson wurde vorgeworfen, Beweise manipuliert zu haben. Darum hat er sich aus dem aktiven Polizeidienst zurückgezogen. Gut, das liegt Jahre zurück. Allerdings ist gerade seine Mutter gestorben, zu der er wenig Kontakt hatte. Seine Mutter besaß ein kleines Hotel und Hjerson ist noch unentschlossen, ob er dieses behalten oder ob er es verkaufen soll. Darüber will er auf der Fähre nach Åland nachdenken: Was gar nicht so einfach ist, hat sich Klara doch vorgenommen, die Zeit zu nutzen, um ihn von ihrer Serienidee zu begeistern. Verhält sich Hjerson zunächst abweisend und wenig interessiert, überschlagen sich bald die Ereignisse. Eine an Bord reisende Journalist wird ermordet und Klara vom Täter niedergeschlagen. Klara hat den Täter zwar nicht erkennen können – als sie jedoch wieder erwacht ist, hat sie kurzerhand die Notizen des Mordopfers gestohlen. Der Blick auf diese Notizen weckt in Hjerson alte Ermittlerinstinkte. Da der Sicherheitsdienst des Schiffes mit der Situation vollkommen überfordert ist, beginnt Hjerson also zu ermitteln. Dabei kommt er auch Klara etwas näher, deren Enthusiasmus, mit dem sie den Fall lösen will, ihn an die Zeiten erinnert, als er selbst noch aktiv im Polizeidienst tätig gewesen ist.
Ein Film mit Problemen
Das Problem dieses erste Filmes (der in Schweden als Zweiteiler ausgestrahlt worden ist) beginnt schon damit, dass der Fall vergleichsweise simpel des Weges kommt. Die Tote besuchte eine Präsentation auf dem Schiff, auf dem ein schwedisches Start-Up-Unternehmen Pressevertretern einen neuen Batterietypus präsentiert hat. Warum auf dem Schiff? Um den Pressevertretern ein angenehmes Umfeld zu erschaffen (und damit eine positive Berichterstattung zu erhalten). In Ermangelung einer persönlichen Hintergrundgeschichte ist somit von Anfang an klar, dass ihr Tod wohl mit dieser Veranstaltung in Zusammenhang stehen muss: Was die Spannung nicht gerade kochen lässt.
Der Spielort als solcher ist gar nicht schlecht für einen Pilotfilm gewählt. Der Raum ist übersichtlich, niemand kann von Bord, es bleibt Hjerson etwa ein Tag Zeit, um den Fall aufzuklären, bevor die Fähre in Åland anlegt. Dieser äußere Rahmen ist also durchaus mit Bedacht gewählt. Auch die Atmosphäre zwischen Klara und Sven Hjerson stimmt. Die Pressemappe des ZDF beschreibt Hjerson als einen Exzentriker. Misanthrop trifft sein Verhalten allerdings besser. Hjerson mag Menschen nicht sonderlich. Was aber für diesen Pilotfilm durchaus nicht ohne Reiz ist, denn tritt er Klara anfangs wenig freundlich gegenüber, gelingt es ihr doch nach und nach unter seine raue Oberfläche vorzudringen und ihn tatsächlich weniger menschenfeindlich als vielmehr kauzig dastehen zu lassen. Auf jeden Fall weckt sie in Hjerson alte Instinkte und irgendwie kann Hjerson nicht ganz abstreiten, dass er Sympathie für Klara empfindet: womit die Inszenierung allerdings mit Volldampf gegen die nächstgelegene Kaimauer schippert. Indem sich Hjerson und Klara durchaus etwas näher kommen, entstehen einige Screwball-Momente zwischen den beiden. Die sind zwar noch sehr zurückhaltend inszeniert, aber sie legen ein Potenzial offen, das ausbaufähig ist und einen eher lockeren Inszenierungsstil vorgaukelt. Vorgaukelt trifft es, da über diesem lockeren Stil nämlich eine für skandinavische Dramen typische Schwere liegt: Klara ist nämlich frisch verheiratet. Sie ist Mutter einer Tochter aus einer früheren Beziehung: Und ihr neuer Ehemann Niklas wird als ein sympathischer Typ in die Serie eingeführt, der seine Frau liebt und der Klaras Tochter ein guter Freund (vielleicht Vater) sein will. Dennoch wirkt die Ehe der beiden von Anfang an belastet, wobei die negativen Schwingungen in dieser Beziehung in erster Linie von Klara ausgehen, die Niklas nie auf Augenhöhe begegnet, sondern unschwer erkennen lässt, dass sie in dieser Beziehung die Hosen anhat, wie man früher zu sagen pflegte. Die Inszenierung lässt nie das Gefühl einer Gleichwertigkeit aufkommen. Anders ist ihr Auftreten gegenüber Hjerson. Es ist ein selbstbewusstes Auftreten, das schließlich auf Augenhöhe stattfindet.
«Agatha Christies Hjerson» ist ein Mix, der einfach nicht zünden will. Auf der einen Seite soll die Serie eher humorvoll ihre Geschichten präsentieren. Der kauzige Detektiv und eine taffe Partnerin, die gemeinsam böse Buben zur Strecke bringen: Das ist nicht originell, aber es ist ein Konzept, das seit Jahrzehnten funktioniert. Doch diese Serie kommt aus Skandinavien und dort scheinen TV-Macher bei dem Begriff „locker“ Panikattacken zu erleiden und sie schaffen es nicht, sich aus dem Korsett des Dramas zu befreien. Da ist also auf der einen Seite die Ehe von Klara, die offenbar nicht so verläuft, wie sie sich das vorstellt. Und dann ist da auf der anderen Seite die Geschichte, wegen der Hjerson aus dem Dienst ausgeschieden ist. Er soll Beweise manipuliert haben und der Polizist, der ihn seinerzeit überführt hat, ist nach wie vor im Dienst: Er ist eine große Nummer und es ist offensichtlich, dass Hjerson mit diesem noch eine sehr große Rechnung zu begleichen hat. Was wiederum das oft direkt menschenfeindliche Verhalten Hjersons in den Fokus rückt. Selbst wenn er in den Momenten mit Klara irgendwann tatsächlich kauzig wirkt: Jenseits ihrer gemeinsamen Szenen liegt über seinem Verhalten eine große Verbitterung.
Sicher, dies ist nur der Pilotfilm. Das alles kann sich ja noch entwickeln. Wirklich Lust auf weitere Episoden macht dieser schwach erzählte Pilotfilm allerdings nicht.
ZDF, Sonntag, 30. Januar 2022, 22.15 Uhr
27.01.2022 11:15 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/132086
Christian Lukas
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
31.01.2022 10:31 Uhr 1