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‚Schwarze GIs hatten die Möglichkeit, sich mit weißen Frauen sehen zu lassen‘

Das Erste startet die Miniserie «Ein Hauch von Amerika» und Quotenmeter sprach mit den Produzenten Simone Höller, Greta Gilles und Michael Smeaton über das anspruchsvolle Projekt.

Hallo Frau Simone Höller, hallo Frau Greta Gilles, hallo Herr Michael Smeaton, vielen Dank für das Interview mit Quotenmeter. Sie starten die sechsteilige Miniserie «Ein Hauch von Amerika» im Ersten. Worauf können sich die Zuschauer freuen?
Smeaton: Auf ein tolles Ensemble, eine Geschichte mit großer Emotion und hoher Spannungsdichte, bei der niemand abschalten kann.

Höller: …und auf ein ganz besonderes Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte, das noch nie fiktional erzählt wurde!

In Ihrer Serie kommen hunderttausende US-Soldaten Anfang der 50er Jahre in die Pfalz. Doch nicht nur dort, sondern über das gesamte Land wurden Kasernen gebaut. Wie haben Sie diese Stützpunkte erlebt?
Smeaton: Ich habe verwandtschaftliche Beziehungen in die Pfalz. Aus Erzählungen weiß ich, dass auf Einladung der Armeeangehörigen Besuche auf den Stützpunkten möglich waren, z.B. der Familientag im Rod and Gun Club in Baumholder. Dort bekam man natürlich das Getränk Dr. Pepper, die beliebten Sportsocken sowie die Rugby-Ausrüstung. Einladungen zum Sonntags-Barbecue mit amerikanischen Soldaten in kleinen Parks in ihren Wohnsiedlungen waren sehr beliebt.

Ihre Serie handelt von einer Liebesgeschichte zwischen einer Bauerntochter und einem schwarzen Soldaten. Eine Geschichte, die gar nicht so selten vorkam?
Höller: Unverheiratete deutsch-amerikanische Beziehungen waren in der Region ein sehr häufiges, jedoch nicht gern gesehenes Phänomen – vor allem nicht die „wilden Ehen“ zwischen deutschen Frauen und schwarzen GIs. Aber in Deutschland hatten schwarze Amerikaner überhaupt erst die Möglichkeit, sich mit weißen Frauen auf der Straße blicken zu lassen. In den USA, vor allem den Südstaaten, wären sie dafür verhaftet worden. Rassistische Ressentiments waren jedoch natürlich auch im Mindset der Deutschen tief verwurzelt, und eine ‚schwarz-weiße‘ Liebe hatte es auch hierzulande nicht leicht…

Unsere Familie war stets mit den Amerikanern befreundet. Meine Großmutter hatte einen US-amerikanischen Freund und meine Großtanten gingen mit ihren Partnern schließlich nach Alaska und Missouri. Das hat die Familie zwar zerrissen, aber auch geprägt.
Gilles: Die Liebesgeschichte zwischen George und Marie erscheint zunächst als klassische Boy meets Girl-Erzählung, die keine großen gesellschaftlichen Hürden zu nehmen hat. Es sind eher die inneren Zweifel der bescheidenen Marie, ob sie die Richtige für den smarten Amerikaner ist. Doch schon bald spürt sie wie aufrichtig Georges Interesse an ihr ist und dass sie beide – „two of a kind“ – eine Menge verbindet: ihre ‚einfache‘ Herkunft und die Art, wie man mit ihnen umgeht, obwohl sie als Individuen wie auch als Paar großes Potenzial haben. Als Maries Verlobter aus der Kriegsgefangen¬schaft heimkehrt, sind die Stunden der Leichtigkeit für Marie und George gezählt. Der Druck wächst, und Marie muss sich entscheiden zwischen Liebe und Treue, Freiheit und Verantwortung. ‚Kein Ort zum Leben‘, der Titel der letzten Episode, könnte bezogen auf Marie und George auch ‚Kein Ort zum Lieben‘ heißen.

Sind wir dem amerikanischen Lifestyle vielleicht auch deshalb so nahe, weil uns die Amerikaner Jeans, Pepsi und «Dallas» brachten?
Smeaton:
Ich weiß nicht, ob man es nur an den Konsumgütern aufhängen sollte, aber klar: Für viele Menschen, die in den 50er Jahren jung waren, trugen Cola und Kaugummi ganz maßgeblich dazu bei, dass die Amerikaner willkommen waren und von den meisten eben nicht als Besetzer, sondern als Befreier wahrgenommen wurden. Der starke Dollar und die wirtschaftlichen Ambitionen der Amerikaner brachten Aufschwung in die verarmten ländlichen Regionen – und eben auch den Kapitalismus nach Westdeutschland und Europa. Unser Kaltenstein wird sozusagen ‚Klein-Dallas‘.

Wie wird der Einfluss der amerikanischen Besatzung in ihrem fiktiven Ort Kaltenstein eigentlich wahrgenommen? Sehen die Einwohner das Militär als Freund und Helfer?
Smeaton:
Die Kaltensteiner nehmen die Präsenz der Amerikaner sehr ambivalent wahr. Dies zeigt sich etwa anhand der beiden Protagonisten-Familien: Da gibt es einerseits die Bauernfamilie Kastner, deren Land für den Bau eines Militärkrankenhauses annektiert wird, und andererseits die Bürgermeisterfamilie Strumm, die mit ihrem Baustoffhandel von den Baumaßnahmen der Amerikaner profitiert und sogar aktiv daran mitwirkt. So ist der Bürgermeister, einst strammer Nationalsozialist, nun ein enger Verbündeter des Colonel McCoy auf der Base, während Bauer Kastner die Amerikaner von seinem Hof jagt.

Gilles: Bei den weiblichen Protagonistinnen zeichnet sich zunächst ein ähnliches Bild: Marie Kastner ist abweisend gegenüber dem GI, der sie umwirbt, während Erika, Tochter des Bürgermeisters, die Amerikaner mit offenen Armen empfängt und sich im neu aufkommenden Kaltensteiner Nachtleben mit den Soldaten amüsiert. Nach und nach öffnet sich Marie mehr und mehr dem American Way of Life, befreundet sich mit der Gattin des Colonel und gibt ihrer Zuneigung zu George freien Lauf. Erika hingegen muss im Verlauf der Geschichte erkennen, dass die ‚American Boys‘ nicht ihre wahren Freunde sind, und ihr Traum von Freiheit platzt.

Höller: Insgesamt eröffnet sich den Kaltensteiner Bürgern durch den Einfluss der Amerikaner die Chance des Aufbruchs – verbunden mit Wohlstand und kulturellen Errungenschaften. Allgegenwärtig ist aber auch die Angst vor der Fremde und dem Verlust von Heimat und Identität sowie der traditionellen Werte- und Moralvorstellungen – vor allem bei den älteren Figuren und konservativen Kräften von Kirche und Gesellschaft.

So eine Serie schreibt sich ja nicht von selbst. Mit wem haben Sie zusammengearbeitet und hatten Sie für die Recherche auch Historiker an Bord?
Höller: Eine anspruchsvolle historische Miniserie zu entwickeln, stellt jeden Produzenten vor eine Herausforderung. Heute ist es bei seriellen Erzählungen üblich, mehrere Autoren oder gar einen Writers Room zu beauftragen. Die unterschiedlichen Sichtweisen sind oftmals bereichernd. Wir haben bei «Ein Hauch von Amerika» mit einem Team aus Autoren verschiedener Generationen gearbeitet, wobei der sehr erfahrene Jo Baier das Grundgerüst der Handlung und Figuren gelegt und auch vor Ort recherchiert hat. Mit Christoph Mathieu und Ben von Rönne kamen dann zwei junge Autoren hinzu, denen es wichtig war, auch die aktuellen Bezüge zur Gegenwart einzufangen. An den finalen Büchern haben aber auch Johannes Rotter und unser Regisseur Dror Zahavi großen Anteil, der mit seinem starken dramaturgischen Verständnis die Bücher zur Drehreife gebracht hat. Wir denken, dass die verschiedenen Schritte dieser Entwicklungsphase notwendig waren, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Insgesamt haben Entwicklung, Recherche und Finanzierung dieser Serie fast zehn Jahre in Anspruch genommen. Aber am Ende hat es sich für uns alle gelohnt.

Gilles: Als historische Fachberaterin unterstützte uns Dr. Maria Höhn, gebürtige Pfälzerin und Professorin für deutsche Geschichte am Vassar College New York. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die amerikanische Militärgeschichte in Deutschland. Ihr Buch „Amis, Cadillacs und ‚Negerliebchen‘: GIs im Nachkriegs-deutschland“ (Originaltitel: „GIs and Fräuleins: The German-American Encounter in 1950s West Germany“, 2002) gilt als die erste Publikation, die sich auch mit den Erfahrungen der afroamerikanischen Soldaten in Deutschland beschäftigt. Dieses Buch war quasi die ‚Bibel‘ unserer Recherche- und Entwicklungsarbeit.

Die Dreharbeiten starteten zu Beginn der Corona-Pandemie. Mit welchen Problemen hatten Sie zu kämpfen?
Höller:
Wir hatten gerade mit den Dreharbeiten begonnen, als die steigenden Fallzahlen und der erste Lockdown uns kalt erwischt haben und überhaupt nicht mehr klar war, wie und ob es überhaupt weitergehen würde. Es wurden keine Drehgenehmigungen mehr erteilt, und Angst vor einer möglichen Ansteckung durch die tägliche Arbeit mit vielen Menschen machte sich breit.

Smeaton: Das war eine sehr schwierige Situation für uns. Mit viel Verständnis unseres tollen Teams haben wir aber wenigstens unser erstes Hauptmotiv abdrehen können. Mit Hilfe von Kurzarbeit und eines ausgeklügelten Hygienekonzepts konnten wir die Dreharbeiten nach drei Monaten wieder aufnehmen und Team und Cast behalten. Glücklicherweise hatten wir in dieser Produktion keinen einzigen Corona-Fall.

Haben Sie Quotenziele? Die Mini-Serie «Tina Mobil» lief mit etwa 3,8 Millionen Zuschauern zwar passabel, aber kam nicht an die Krimis am Sonntag und Donnerstag heran.
Smeaton:
Konkrete Quotenziele haben wir nicht, aber natürlich erwarten und erhoffen wir uns bei einer derart aufwändigen Produktion eine positive Resonanz – sowohl was die Zahlen der linearen TV-Zuschauer, die Abrufzahlen in der ARD-Mediathek wie auch die Kritiken der Presse angeht. Wir sind auf jeden Fall sehr gespannt wie «Ein Hauch von Amerika» angenommen wird!

Profitiert die deutsche Fiktion derzeit, weil die privaten Fernsehsender ihre Hauptsendezeiten fast nur noch mit Reality, Show und Doku-Soaps füllen?
Höller:
Für das lineare Fernsehen mag das stimmen, aber die Zukunft (und Gegenwart) des deutschen TV liegt ja vor allem bei digitalen Streaming-Plattformen. Die Mediatheken von ARD und ZDF werden immer besser, aber hier gibt es gegenüber den privaten Anbietern noch Aufholbedarf. Wir können jedoch froh sein, dass das lineare öffentlich-rechtliche Fernsehen, das auch Programme ohne Quotendruck bietet, in Deutschland noch so gut angenommen wird.

Hat ihre Serie auch die Chance, dass Sie von Netflix ins Programmpaket aufgenommen wird? Dann hätten Sie mit Sicherheit sehr gute Abrufzahlen.
Smeaton:
Das liegt in erster Linie in der Hand des Senders, aber ich denke schon, dass unsere Serie, die übrigens international unter dem Titel «Between Two Worlds» vertrieben wird, sehr gut zu Netflix passen würde: das Transatlantische Thema, verschiedene Genres, die bedient werden, junge Protagonist:innen, moderner Look. Wir würden uns jedenfalls freuen, wenn «Ein Hauch von Amerika» nach erfolgreicher Auswertung durch die ARD eine weitere Verbreitung über Netflix finden würde.

Danke für Ihre Zeit!
«Ein Hauch von Amerika» wird am Mittwoch, den 1. Dezember, um 20.15 Uhr im Ersten gezeigt. Die Teile drei und vier laufen am Samstag, den 4. Dezember, ehe am Mittwoch, den 8. Dezember, das Finale kommt.
30.11.2021 12:06 Uhr Kurz-URL: qmde.de/130955
Fabian Riedner

super
schade


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Ein Hauch von Amerika Dallas Tina Mobil Between Two Worlds

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