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Sebastian Blomberg: ‚Die Geschichte war einfach zu peinlich‘

Die Story um die Verfilmung des Falls in «Curveball» ist so bizarr, dass dies auch ein Spielfilm der Coen-Brüder sein könnte, meint Schauspieler Blomberg.

Am Anfang seiner Filmkarriere stand der Horror. Sebastian Blomberg (49) gehörte zum Ensemble des deutschen Thrillers «Anatomie», danach ging es dann Schlag auf Schlag: «Was tun, wenn’s brennt» mit Til Schweiger, «Väter» unter der Regie von Dani Levy, der ihn ein weiteres Mal für seine Erfolgskomödie «Alles auf Zucker» besetzte. In «Der Baader Meinhof Komplex» verkörperte er Rudi Dutschke, in «Der Staat gegen Fritz Bauer» einen karrieregeilen Oberstaatsanwalt. In seinem Film «Curveball - Wir machen die Wahrheit» (demnächst per Stream und Blu-Ray) spielt Blomberg einen BND-Biowaffenexperten, der auf einen irakischen Asylbewerber trifft, der seine Thesen stützen kann, dass Saddam Hussein heimlich Biowaffen produziert. Sensation oder Lüge? Eine zynische Satire ganz nach dem Geschmack des Schauspielers aus Bergisch Gladbach, der ja nun schon öfters in Filmen mit politischem Background mitgewirkt hat.

Was ist mit dem Titel «Curveball» gemeint?
Curveball ist der Quellenname eines irakischen Flüchtlings, der Ende der Neunzigerjahre beim BND aufgeschlagen ist. Er hat behauptet, Teil des Biowaffenprogramms unter Saddam Hussein gewesen zu sein. War er aber nicht. Er wollte einen deutschen Pass und ein beschleunigtes Einbürgerungsverfahren. Die Amerikaner gaben ihm diesen Namen, er bezieht sich auf einen Pitch im Baseball und meint einen Ball, der so stark angeschnitten ist, dass er vom Schlagmann nicht erwischt werden kann.

Es handelt sich also um eine wahre Geschichte?
Der Film hat natürlich fiktionale Anteile, aber die Erzählung basiert maßgeblich auf Erkenntnissen aus Geheimdienstdokumenten und journalistischen Recherchen. Der Fall an sich ist ziemlich ausführlich aufgearbeitet worden. Da es aber eine Geheimdienstangelegenheit ist, gibt es immer noch viele blinde Flecken.

Wie sehr gelang der Fall in die Öffentlichkeit?
Der BND hat alles unternommen, um Rafid Alwan, den Iraker, in der Versenkung verschwinden zu lassen. Die Geschichte war einfach zu peinlich. Sie haben ihm einen deutschen Pass, eine neue Identität, einen Job und eine Unterkunft gestellt und ihn eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschreiben lassen. Hat aber nichts genützt. Als ihm Investigativjournalisten auf den Fersen waren, wollte er seine Version der Geschichte loswerden.

«Curveball» wurde bereits auf der Berlinale 2020 vorgestellt, kam aber erst im September 2021 ganz offiziell ins Kino…
Es gab wegen Corona und den Kinoschließungen mindestens vier Anläufe, den Film zu starten. Das war ein ziemlicher Nervenkrieg für alle Beteiligten. Aber mir ist es lieber, dass der Film nun zu einem Zeitpunkt anläuft, wo die Leute wieder ins Kino gehen. Deswegen war ich um jede Verschiebung dankbar und bin auch froh, dass der Film nicht auf irgendeine Streaming-Plattform verschoben worden ist.

Das heißt, Sie schauen Filme lieber im Kino als Zuhause?
Selbstverständlich! Wir brauchen das Kino, da können die Leute erzählen, was sie wollen. Die Bilder haben auf der Leinwand laufen gelernt, nicht in der Glotze, nicht auf dem Laptop. Ich bin absolut überzeugt, dass das Kino überleben wird. Dafür liefern neue Filme wie «The Father», «Der Rausch» oder eben «Curveball» hoffentlich die nächsten Argumente. Weg mit dem Zweifel, her mit der Kohle.

Konnten Sie denn während des Lockdowns arbeiten?
Ende April habe ich für dreieinhalb Monate vor der Kamera gestanden. Ein Fernsehmehrteiler mit dem Titel «Bonn», der vom Aufbau und Kräfteverhältnis der Geheimdienste in der frühen Bundesrepublik handelt. Ich spiele Otto John, den ersten Chef des Bundesverfassungsschutzes und Nemesis seines Widersachers Reinhard Gehlen vom BND – also wieder eine Geheimdienstgeschichte, nur dass es in «Bonn» um alte rechte Seilschaften Anfang der Fünfzigerjahre geht.

Sie haben schon öfters in Filmen mit politischer Brisanz mitgespielt, denkt man etwa auch an «Der Baader Meinhof Komplex» oder «Zeit der Kannibalen». Woher kommt dieses Interesse?
Diese Frage stellt sich mir nicht. Bei «Curveball» sind es die menschlichen Begrenztheiten und Unzulänglichkeiten mit nuklearem Ausgang. Das ist komisch und tieftraurig zugleich. Die Geschichte hinter «Curveball» hätten sich auch die Coen-Brüder ausdenken können. Eine der mir liebsten Erzählverläufe ist, wenn es heiter und beschwingt in den Untergang geht.

Nichtsdestotrotz: haben Sie je überlegt, in die Politik zu gehen?
Ich? Niemals! Das wäre ein Alptraum. Niemand ist zu beneiden, der das tut, und ich finde, es ist auch so wahnsinnig vergeblich geworden, als Politiker wirkungsvoll zu sein. Es ergeben sich immer größere Spielräume zwischen dem, was Menschen wollen und dem, was dann in die Tat umgesetzt wird. Das macht ja dieses Gefühl der Ohnmacht aus, wenn wir über Politik sprechen. Politiker würden aber genauso darüber reden, wenn sie dürften.

Was meinen Sie damit?
Viele Politiker würden bestimmt gerne mal sagen: ‚Ihr verdammten Arschgeigen, ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie oft ich dagesessen und gesagt habe, ich würde gern, aber ich darf nicht.‘ Der Frust muss so unsagbar groß sein, dass man dankbar sein muss über jeden, der bereit ist, das zu tun (lacht).

Gibt es auch in Ihrem Beruf manchmal Frust?
Natürlich, ähnlich wie in der Politik über fehlenden Wagemut, zu viel Hasenfüssigkeit und Zögerlichkeit. Rätselhaft ist, warum sich beim Deutschen Film nicht mehr getraut und warum oft wie von der Stange erzählt wird. Die großen dramatischen Erzählungen sollen sich gerne auf wahre historische Begebenheiten beziehen. Sonst traut man ihnen nicht über den Weg. Rein fiktionale und originelle Erzählungen sind rar. Daher ist es bei mir vor allem inhaltlicher Frust, unter dem ich oft leide.

Weil die passenden Angebote fehlen?
Ich sitze nicht da und lehne jeden Tag 40 Drehbücher ab. Es gibt etwa drei bis vier Filme, die mir im Jahr angeboten werden, wovon ich zwei gern machen möchte und einen machen darf. Der Rest ist irgendwie Geld verdienen, damit wir als Familie gut durchkommen. Darin besteht aber kein Frust, ich bekomme nur zu selten Geschichten zu lesen, für die ich mein letztes Hemd geben würde, die mich in Erregung versetzen.

Die Schauspielerei war es ja auch, die Sie nach Berlin führte?
Nach der Schauspielschule war ich zuerst in Wien am Theater. Dann hörte ich auf ohne zu wissen wie es weitergeht und ging für ein Dreivierteljahr nach Berlin. Zwischendurch ging es dann wieder fürs Theater nach Basel, aber ich war an so einem Scheideweg, drehte schon viele Filme und dachte, jetzt werde ich Filmstar (lacht). Aber ich bin dem Theater trotzdem treu geblieben, was auch gut ist. Ich kenne viele Filmschauspieler, die lange Leerläufe haben und darauf warten, zum Tanz aufgefordert zu werden. Ich kann mich ans Theater verzupfen, wenn die Luft zu dünn wird. Das brauche ich ab und an.

Berlin sind Sie aber auch treu geblieben…
Wie in einer guten Beziehung gibt es alle Zustände, auch Verzweiflung und Wutanfälle sind darunter. Aber nie so groß wie der Wunsch hier zu bleiben. Obwohl doch einiges in Berlin verloren gegangen ist.

Was wäre das?
Eine gewisse Lässigkeit. Es ist ganz schön verspannt geworden und viele Leute scheinen im Nahkampfmodus zu sein. Alle sind getrieben von Zielen, und wollen irgendwo hin. Oder spreche ich gerade von mir? Es tut mir leid, ich neige zu Verwechslungen.

Danke für das Gespräch.

«Curveball» kann bei vielen Anbietern geliehen oder gekauft werden.
08.12.2022 12:47 Uhr Kurz-URL: qmde.de/130560
Markus Tschiedert

super
schade


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Anatomie Was tun wenn’s brennt Väter Alles auf Zucker Der Baader Meinhof Komplex Der Staat gegen Fritz Bauer Curveball - Wir machen die Wahrheit Curveball The Father Der Rausch Bonn Zeit der Kannibalen

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