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Jan Ehlert: ‚«Glauben» ist keine Verfilmung der Ereignisse in Worms‘

Zusammen mit Ferdinand von Schirach hat Ehlert zahlreiche fiktionale Stoffe entwickelt. Seit Donnerstagmorgen ist die neue Anthologie «Glauben» beim Streamingdienst RTL+ verfügbar.

Sie haben zahlreiche Werke von Ferdinand von Schirach verwirklicht und selbst mehrfach seine Werke in Drehbuchform gebracht. Welches Projekt hat Ihnen bislang am besten gefallen?
«VERBRECHEN nach Ferdinand von Schirach» haben wir bereits im Jahr 2011 produziert. Tatsächlich habe ich also das Glück, mich seit mehr als zehn Jahren mit Ferdinand von Schirachs Stoffen beschäftigen zu dürfen, vornehmlich mit seinen Kurzgeschichten. Eine Rangfolge der einzelnen Projekte habe ich aber nicht, einfach weil mir die Arbeit an der Marke im Ganzen den meisten Spaß macht. Bisher ist es uns immer wieder gelungen, etwas Neues vorzustellen, zu überraschen. Das gefällt mir am besten.

«Schuld nach Ferdinand von Schirach», das Sie auch produzierten, basierte auf dem gleichnamigen Buch von Herrn Schirach. «Gott von Ferdinand von Schirach», das vor knapp einem Jahr lief, stattdessen auf einem Theaterstück. Gibt es einen Unterschied für Sie als Drehbuchautor?
Ja, das sind massive Unterschiede. Ferdinand von Schirachs Kurzgeschichten leben von der Reduktion, der Auslassung. Dadurch, dass nur das Wesentliche stehen bleibt, füllt der Leser die ausgelassenen Stellen permanent selber aus und weiß dann meist gar nicht mehr, was wirklich in der Geschichte steht und was nicht. Das passiert einem bei der Arbeit an den Stoffen wirklich laufend. Wenn man ein Drehbuch daraus macht, füllt man die Auslassungen natürlich auf, dabei versucht man sie zu dechiffrieren. Das macht übrigens total Spaß, gerade weil wir gleichzeitig bemüht sind, nicht zu sehr zu spekulieren, wie etwas gemeint sein könnte.

Was die Theaterstücke «GOTT» und auch «TERROR» angeht, habe ich am Drehbuch selbst nicht gearbeitet. Allerdings kann man im direkten Vergleich des Theatertextes und unserer Verfilmungen sehen, dass die Bearbeitung den Text inhaltlich kaum berührt. Da ging es fast ausschließlich um die Einbindung des Fernsehpublikums.

Lesen Sie eigentlich die Romane von Ferdinand von Schirach gerne? Er fasst sich doch recht kurz, andere Autoren beschreiben gerne mal eine Seite über die Landschaft. Haben Sie diesbezüglich gewisse Vorlieben?
Ich habe mich mit seinem literarischem Werk sicher mehr und intensiver auseinandergesetzt als mit sonst irgendetwas. Dazu zwingt mich keiner, darum wäre es stark untertrieben zu sagen, dass ich die Texte gerne lese. In den Romanen – also in «DER FALL COLLINI» und «TABU» – funktioniert das mit dem Kurzfassen übrigens ganz anders und in «KAFFEE UND ZIGARETTEN» erst recht. Da gibt es sehr eindrückliche und auch umfangreiche Beschreibungen, literarische Bilder für Gemütszustände, alles das.

Bei einer Kurzgeschichte wären opulente Beschreibungen der eigentlichen Idee abträglich, zumindest für mein Empfinden. Ich persönlich liebe einfach Geschichten. Und wie das eben ist: Es gibt Geschichten, die berühren einen und es gibt welche, die sind einem eher wurscht. Ersteres ist das Beste, was einem passieren kann. Als Erzähler und als der, der etwas erzählt bekommt.

Beruflich nehmen Sie viel literarische Kost zu sich, was lesen Sie denn überhaupt noch privat?
Ich kann das nicht scharf trennen. Und es gibt sicher Leute, die mehr lesen als ich. Aber mein Leben – beruflich wie privat – dreht sich fast ausschließlich um Geschichten. Wenn ich ein Buch lese, wie Anika Deckers „Wir von der anderen Seite“, berührt mich das zutiefst als Mensch. Was das mit mir macht ist sehr privat. Aber natürlich kann ich mir einen Film dazu vorstellen und auch, wie man den aufbauen könnte. Und literarische Ideen wie Ian McEwans „Maschinen wie ich“ setzen mich als Menschen ähnlich mit dem Fortbestand der eigenen Art auseinander wie die eher wissenschaftlich betrachteten Bücher Yuval Hararis. Kann ich mir alles auch filmisch umgesetzt vorstellen.

Anfang des Jahres haben wir den Zweiteiler «Feinde» gesehen, in dem das Thema Folter behandelt wurde. Wie schafft man es, ein solch schwieriges Thema so „unterhaltsam“ umzusetzen?
Ich weiß nicht, wie man Folter unterhaltsam erzählt. Uns lag allerdings auch nichts ferner als das. Das Konzept des Films bzw. der Filme war, dass der Blick auf die Dinge, den wir uns gestatten, immer nur ein Ausschnitt ist und wir mit dem, was wir zu wissen glauben die Dinge bewerten. Das sollte so konsequent wie möglich passieren, das heißt, dass man egal in welcher der beiden Perspektiven möglichst stark mit der Hauptfigur und deren Haltung geht. Dafür wurden die Figuren dann auch geschrieben und besetzt – für mich als Produzenten wiederum ein absoluter Glücksfall und eine Ehre, das mit Bjarne Mädel und Klaus Maria Brandauer machen zu dürfen.

Das war vor allem – wie übrigens auch die an Besessenheit grenzende Genauigkeit in der Umsetzung – dem Regisseur Nils Willbrandt zu verdanken, mit dem ich auch die Drehbücher geschrieben habe, basierend auf der Idee Ferdinand von Schirachs und um die Gerichtsszene herum, die dieser selbst bereits geschrieben hatte.

Nun steht also «Ferdinand von Schirach - Glauben» an. Gibt es eine andere Herangehensweise, wenn die Projekte nicht mehr für die ARD und ZDF produziert werden, sondern für RTL+?
Nein, das würde ich nicht sagen. Es gibt natürlich Unterschiede zwischen den Partnern, zum Beispiel in der Arbeitsweise oder in den Möglichkeiten der Auswertung. Beides passt bei «GLAUBEN» hervorragend mit RTL+ zusammen. Aber eine gute Show ist ja hoffentlich objektiv eine gute Show, nicht weil sie hier, da oder dort läuft. Das bedeutet übrigens auch nicht, dass alle dasselbe machen. Es bedeutet nur, dass wir ein stetig größer werdendes Qualitätsbewusstsein speziell im Bereich der High-End-Serien haben und zwar über das gesamte Spektrum der Plattformen und Sender.

In unserem Fall war ein wesentlicher Punkt, dass alle Beteiligten mitgezogen haben als es um die Frage der Regie ging. Daniel Prochaska hatte vor «GLAUBEN» in Deutschland nicht gearbeitet, von seiner letzten Arbeit, die er wie bei uns mit Matthias Pötsch als Kameramann realisiert hatte, konnten wir uns nur in einer Vorab-Fassung überzeugen. Die Pandemie brachte die Schwierigkeit mit sich, dass man sich erst mal nur virtuell kennen lernen kann – und das bis kurz vor Dreh.

Aber beide haben ein wahnsinnig großes Talent und Daniel ist ein so irre guter Erzähler, dass es einfach eine Schande gewesen wäre, wenn wir diese Möglichkeit zur Zusammenarbeit nicht bekommen hätten. Das war nur mit großem Vertrauen möglich, einmal ins eigene Bauchgefühl aber auch seitens des Senders in uns.

Die neue Serie ist frei nach den Wormser Prozessen nachempfunden. Können Sie unseren Lesern diese gesamte Thematik inklusive der Freisprüche aller Beteiligten kurz erklären?
Das kann ich nur stark vereinfacht sagen: In den 1990er Jahren wurde in drei Prozessen vor dem Landgericht in Mainz der größte Missbrauchsfall der deutschen Rechtsgeschichte verhandelt. Es sollte einer der größten Justizskandale der Nachkriegsgeschichte werden. 25 Personen waren des Kindesmissbrauchs und des Betreibens eines Pornorings beschuldigt. Die mediale Aufmerksamkeit war unglaublich groß und – das ist der Knackpunkt – die Mehrheit der Medien, damals vor allem Print aber auch praktisch alle Fernsehsender, waren von Anfang an von der Schuld der Angeklagten überzeugt und haben auch dementsprechend berichtet. „Trial by media“ würde man heute sagen. Am Ende der Prozesse – für einige der Beschuldigten hieß das: nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft – wurden alle Angeklagten freigesprochen.

Besonders tragisch ist, dass die Familien, deren Kinder über die Dauer der Prozesse in Obhut genommen wurden, nicht nur irreversibel zerstört wurden, sondern dass einige der betroffenen Kinder in der Obhut dann tatsächlich Opfer sexuellen Missbrauchs durch einen Heimleiter geworden sind.

Können Sie uns auch verraten, inwieweit sich die Serie von den tatsächlichen Wormser Prozessen zwischen 1994 und 1997 unterscheiden?
«Ferdinand von Schirach – GLAUBEN» ist bewusst keine Verfilmung der Ereignisse in Worms, das unterscheidet sich also komplett – unter anderem liegt die Handlung in der Jetztzeit. Man kann aber sagen was die Gemeinsamkeiten sind.

Die allgemein vorherrschende Meinung hat zu einer Vorverurteilung und zu einer gewissen Blindwut geführt, von der auch die Prozessbeteiligten mitgerissen wurden. Tragisch daran ist, dass niemandem böse Absicht unterstellt werden kann, was es aber auch nicht besser macht: Wer hat am Ende Schuld an so einem Scherbenhaufen? Wir leben in einer Zeit, in der sich besonders im Bereich von Social Media oder zumindest dadurch verstärkt etwas ähnliches abspielt, wodurch unserer Auffassung nach eben auch wieder die Voraussetzung für ähnlich gelagerte Fälle gegeben ist. In einem Rechtsstaat müssen die Dinge aber vor ordentlichen Gerichten verhandelt werden. Vernünftig, entschleunigt, nach den geltenden Gesetzen. Unsere Demokratie baut darauf auf.

Im gleichen Atemzug hat sich RTL auch die Serie zum Buch «Strafe» gesichert, das die Trilogie aus «Verbrechen» und «Schuld» (beide ZDF) komplettiert. Können Sie schon etwas zur Serie verraten?
Dreharbeiten laufen noch, aber ich habe schon ein paar Folgen in unterschiedlichen Stadien sehen dürfen. Ich kann verraten, dass «STRAFE» – wie auch die literarische Vorlage – eine echte Anthologie wird. Jede der sechs Folgen ist ein eigener Film, der auch von einer eigenen Regie umgesetzt wird, die sich jeweils dezidiert diesen Stoff ausgesucht und ihn auch entwickelt respektive geschrieben hat. Die Riege an Erzählerinnen und Erzählern, die wir für dieses Unterfangen gewinnen konnten, gehört zu den spannendsten deutschsprachigen Kreativen überhaupt.

Dementsprechend hoch ist auch die sonstige Besetzung vor und hinter der Kamera. Es wird bald mehr Details dazu geben, aber ich kann schon eins versprechen: Eine solche Show, ein solches Portfolio an geballter kreativer Energie gibt es im deutschen Fernsehen bis dato nicht. Und die einzelnen Filme würde es in dieser Konsequenz außerhalb dieser Show nicht geben können. Das Prinzip ist fortsetzbar und ich würde das auch wahnsinnig gerne tun.

Wie eng ist eigentlich Ihre Zusammenarbeit mit Herrn von Schirach. Sie haben zahlreiche Projekte betreut, überlegt und diskutiert man inzwischen gemeinsame Ratschläge?
Die Zusammenarbeit bei einem Projekt wie «Ferdinand von Schirach – GLAUBEN», bei dem die Drehbücher erstmalig allein von ihm verfasst wurden, ist schon sehr eng, das geht gar nicht anders. Wie alle seiner Arbeiten sind auch seine Drehbücher äußerst genau, das muss in der Umsetzung berücksichtigt werden. Als Produzent war das – gemeinsam mit der Producerin Sandra Gürtler – genau mein Job. Dass ich zuvor schon mal als Autor an Schirach-Stoffen gearbeitet habe, hat vermutlich auch nicht geschadet.

Können Sie sich weitere Projekte mit dem Schriftsteller vorstellen? Er war ja früher auch als Anwalt tätig, da würde doch eine Sendung mit seinem Gesicht über Straftaten passen?
Meine Vorstellungskraft ist da glücklicherweise nicht sehr stark gefordert, weil wir bereits an weiteren Projekten gemeinsam arbeiten. Was und wie genau, dazu möchte ich nur eines sagen: bisher ist es uns gelungen, uns weder zu wiederholen noch etwas absolut Vorhersehbares abzuliefern. Wir haben uns fest vorgenommen, das auch weiterhin zu versuchen.

Vielen Dank!
04.11.2021 12:34 Uhr Kurz-URL: qmde.de/130500
Fabian Riedner

super
schade


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