Die Streifenpolizist Ida Sörensen macht einen fürchterlichen Fehler, wodurch eine Frau in die Fänge eines Serienmörders gerät. Der Mörder tötet seine Opfer nie direkt. Er lässt sie verdursten. So ergibt sich für Ida zumindest eine kleine Chance, ihren fürchterlichen Fehler vielleicht doch noch ausmerzen zu können.
Stab
DARSTELLER: Marlene Morreis, Nicki von Tempelhoff, Janek Rieke, Tim Bergmann, Katharina Heyer, Anne Kanis, Simon Licht, Max Herbrechter, Katinka Auberger, David Mullikas
REGIE: Christian Theede
BUCH: Timo Berndt
KAMERA: Simon Schmejkal
MUSIK: Florian Riedl, Dominik Giesriegl
Und wieder einmal wird regional im deutschen Fernsehen gemordet. Nach der Bretagne, Istanbul, Bozen und vielen anderen, landschaftlich reizvollen Orten, an denen fürs deutsche Publikum gemetzelt und gemeuchelt werden darf, ist es nun die kleine Stadt Ribe an Nordseeküste in der Region Syddanmark, in welche Mord und Totschlag zum Gefallen der Fernsehnation Einzug halten darf. Marlene Morreis («Schwarzach 23»), ist Isa Sörensen. Ida ist keine Kriminalistin. Als Streifenpolizistin ist sie in dem beschaulichen Örtchen eher für Alltäglichkeiten zuständig. Dazu kann auch schon einmal das Aufspüren einer entlaufenden Katze gehören. Im Privatleben läuft es eher mäßig. Ihr Freund Jannik, ein Autor (oder Journalist, genau wird dies nie gesagt) hadert mir ihrem Umzug aus einer größeren Stadt in die Provinz. Die Gründe für diesen Umzug werden in dieser Episode nicht weiter thematisiert. Es ist jedoch eine Meinungsverschiedenheit zwischen Jannik und Ida, die sich aus einem Gespräch über den Umzug ergibt, mit der das Unglück seinen Lauf nimmt. Eigentlich möchte Ida den Abend mit Jannik verbringen. Es soll ein romantischer Abend werden. Offenbar haben sie sich schon vorher gestritten. Nun ist die Versöhnung angesagt. Doch es klappt nicht und so verlässt Ida die gemeinsame Wohnung und tauscht mit ihrem Vorgesetzten Magnus Vinter die Schicht. Es ist der Abend der Rauhnacht, einem alten Wikingerfest, das in der kleinen Stadt ausgiebig (auch mit viel Alkohol) gefeiert wird. Magnus möchte mit Freunden an dem Fest teilnehmen, hätte aber Dienst. Nach dem Streit mit Jannik braucht Ida etwas von ihrer Beziehung und besetzt Magnus' Schicht.
Einer Stressschicht.
Der Alkohol fließt und nicht wenige junge Feiernde verhalten sich daneben. Sie trinken zu viel und gegenüber der Polizei lässt der Respekt zu wünschen übrig. So kommt es auf der Wache zu tumultartigen Szenen als sich ein junger Mann, der offenbar nicht nur Alkohol getrunken hat, sich gegenüber den Polizisten schlichtweg daneben benimmt. Andere junge Menschen stimmen ins Grölen ein, die Situation eskaliert. Es herrscht Chaos. Und in diesem Chaos faucht Ida eine Frau an, die sich taumelnd an ihre Tresen schleicht und ein Gespräch mit Ida aufnehmen will. Die Frau wirkt verwirrt. Ida faucht sie an. Sie solle nicht so viel Alkohol trinken, raunt sie, und dann nach Hause gehen. So!
In diesem Moment werden die jungen Partyfeiernden von Idas Kollegen aus der Wache geschmissen. Eine regelrechte Menschenwelle ergießt sich auf die Straße, von der auch die Frau, die mit Ida sprechen wollte, mitgerissen wird.
Am folgenden Tag wird Ida von der aus der Kreisstadt angereisten Kriminalpolizistin Frida Olsen zu einem alles andere als freundlichen Gespräch vorgeladen und mit einem fürchterlichen Fehler konfrontiert. Die Frau, die sie quasi aus der Wache geschmissen hat, ist Smilla Vestergaad, eine seit über einer Woche verschollene Frau (deren Fotos überall in der Wache hängen!). Diese Smilla Vestergaad wurde, darauf deuten alle Indizien hin, von einem Serienmörder entführt, der seine Opfer verdursten lässt. Sie war demnach nicht betrunken. Sie war dehydriert. Dennoch ist sie offenbar den Fängen dieses mehrfachen Mörders entkommen und hat, obwohl orientierungslos und vollkommen entkräftet, irgendwie den Weg bis in die Polizeiwache gefunden – um aus dieser de facto von Ida hinausgeworfen zu werden.
So beginnt eine Suche im Umland von Ribe, in den Wäldern: Der Killer kettet seine Opfer in Wäldern an Pfähle an, an denen sie langsam verhungern und verdursten. Offenbar hat sich Smilla von einem solchen Pfahl befreien können. Die Suche in dem weitläufigen Waldgebiet jedoch, an der auch Ida teilnimmt, verläuft ergebnislos. Was ihren Kollegen Magnus nicht verwundert. Als man vor zwei Jahren einmal eine Leiche entdeckt hat, die mindestens 20 Jahre in den Wäldern gelegen haben muss, war dies ein reiner Zufallsfund. Diese Leiche, erzählt er Ida, konnte nie identifiziert werden. Ganz so, als habe niemand diesen Menschen vermisst.
Zurück auf der Wache checkt Ida, wann der Serienmörder das erste Mal in Erscheinung getreten ist. Das Ergebnis lässt sie aufhorchen: Die Morde begannen nach dem Leichenfund vor zwei Jahren. Ida ahnt, dass es da einen Zusammenhang gibt. Sie muss die Identität der unbekannten Toten lüften – während Smillas Todesuhr tickt.
«Der Dänemark-Krimi: Raunächte» ist ein durchwachsenes Vergnügen. Was nicht dem Kriminalfall anzulasten ist. Regisseur Christian Theede, der zuletzt mit dem Actionthriller
«Sarah Kohr: Stiller Tod» Hauptdarstellerin Lisa Maria Potthoff auf eine Tour de Force durch Hamburg hetzte, weiß auch die Spannungsmomente dieses Filmes in packende Bilder zu verwandeln. Wenn Smilla Vestergaad etwa auf der Polizeiwache um ihr Leben kämpft, vollkommen dehydriert, unfähig, die richtigen Worte zu finden, um ungehört vor der Tür zu landen, wo ihr Peiniger bereits auf sie wartet, ist das von einer regelrecht die Kehle einschnürenden Intensität. Es ist ein Moment voller Tragik, getragen von unterschwelliger Wut. Wut auf die Feiernden, die sich unmöglich, respektlos, überheblich, herablassend gegenüber den Polizisten verhalten und somit zum Chaos beitragen (de facto sind sie das Chaos). Aber auch auf Ida Sörensen, die vollkommen überfordert nur noch die Wache vom Feiervolk befreien will und nicht einmal den Versuch unternimmt, der Frau am Tresen wirklich zuzuhören oder ihr einen zweiten Blick zu gönnen.
So ist auch der Auftritt der Kommissarin Frida Olsen packend. Olsen wird als eine kühle, karrierebewusste Ermittlerin dargestellt. Sonderlich sympathisch wirkt sie nicht. Und doch ist ihr Auftritt von ungeheurer Wucht, denn jede Silbe ihrer Wut auf Ida ist gerechtfertigt. Was wiederum Ida anstachelt, ihren Fehler auszubügeln – bevor dieser für Smilla tödlich endet. Sie kämpft gegen die Zeit und muss ganz nebenbei regelrecht hoffen, dass der Killer seinem Tötungsschema treu bleibt. Sonst gibt es für Smilla keine Rettung.
Der Kriminalfall als solches treibt die Handlung voran. Bis hin zu einem recht spannenden Showdown. Regisseur Theede gleicht das eher übersichtliche Degeto-Budget dadurch aus, dass er in den Spannungsmomenten mit der Kamera stets nah an Ida bleibt und allein durch das Bild der Handlung Dynamik verleiht. Auch gelingt es Kameramann Simon Schmeijkal die recht spröde Landschaft in packende Bilder zu tauchen. Ein Grauschleier, der über all diesen Bildern hängt, lässt die Landschaft surreal wirken. Wer in diesen Wäldern verloren geht – ist verloren, obwohl sie in ihrem Wuchs weit weniger bedrohlich erscheinen als etwa Alpen- oder Mittelgebirgswälder. Die Kamera aber lässt seinen Zweifel daran aufkommen, dass dieser Schein trügt.
Das alles ist ohne Fehl und Tadel inszeniert.
Woran die Story aber krankt: «Raunächte» wirkt wie der dritte, vierte Teil einer Spielfilmreihe. Die Hauptfiguren, Ida, Magnus, Jannick verkehren in einer Art und Weise miteinander, die suggeriert, dass sie bekannte Figuren seien. Charaktere, die aus früheren Filmen bekannt sind und die keiner weiteren Einführung bedürfen. So bleibt Jannicks Tätigkeit seltsam schwammig. Er hat ein Buch geschrieben, das ein Bestseller geworden ist und das offensichtlich viele Menschen berührt hat. Offenbar ist es ein Sachbuch über den Ausweg aus schwierigen Lebenssituationen, basierend auf eigenen Erfahrungen. Aber um was es genau in diesem Buch geht, das bleibt im Dunkeln, obwohl es in einigen Szenen eine wichtige Rolle spielt. Auch der Konflikt zwischen Jannick und Ida, der offenbar aus dem Umzug in die Provinz herrührt, bleibt behauptet, denn in nicht einer Szene wird erklärt, warum Jannick etwa Ida gefolgt ist, auch wenn er sich in dieser Region Dänemarks offensichtlich nicht wohl fühlt (und dies bereits vorher gewusst haben muss). Magnus wiederum wird als ehrlicher Typ eingeführt, der offenbar ein sehr enges Verhältnis zu Ida pflegt.
Ein platonisches, freundschaftliches Verhältnis. Dieses Verhältnis ist so eng, dass er sie beschützt, dass er ihr Rückendeckung gibt, dass er die Autoritäten in Frage stellt. Aber all das geschieht, weil die Drehbuch dies so behauptet. Was ihrem Verhältnis jedoch vollkommen fehlt, das ist eine Vorgeschichte, die ihre Beziehung wirklich greifbar machen würde. Wo andere Spielfilmreihen nach und nach die Beziehungen ihrer Protagonisten zueinander aufbauen und mit Futter unterlegen, präsentiert «Raunächte» seine Protagonisten als alte Bekannte → die sie jedoch nicht sind. Zumindest nicht für das Publikum. Das ist bedauerlich, da gerade Marlene Morreis eine charmante Natürlichkeit in ihre Rolle einfließen lässt. Ida Sörensen ist keine verhinderte Top-Ermittlerin, die nur darauf wartet, den großen Fall lösen zu dürfen (nicht umsonst ist ihre erste Ermittlungsarbeit in diesen Film ein Gespräch mit einem kleinen Mädchen, dessen Kätzchen davongelaufen ist). Ida verfügt nicht über eine für deutsche TV-Ermttlerinnen typische Sozial- und Empathieallergie, sie ist keine einsame Wölfin in einer Welt, die nicht in der Lage ist, ihr zu folgen. Ida ist gar eine sehr empathische Figur, was ihr Versagen in der Nacht auf der Wache um so tragischer erscheinen lässt. Es würde jedoch noch dramatischer wirken, wäre diese Ida bereits eine Bekannte oder würde ihre Beziehung zu Jannick nicht nur ein Fragment bestehen, sondern eine greifbare Vorgeschichte aufweisen können.
Am Donnerstag, 14. Oktober 2021, 20.15 Uhr, Das Erste
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel