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Die Kritiker: «Ware Tier»


Story
Teil 1: Auf der Suche nach dem glücklichen Huhn
Im ersten Teil der dreiteiligen NDR-Dokumentation «Ware Tier» geht es um das Ei, das Huhn und darum, wo beides herkommt. Das Kamerateam konnte nach langer Überzeugungsarbeit hinter die gut verborgenen Kulissen der Hühner- und Eierproduktion schauen. Der Film zeigt das Leben deutscher Hühner: Fast nackte Legehennen in Bodenhaltung, die wegen der angezüchteten Legeleistung ihr Federkleid abgeworfen haben und die sich tot hacken würden, schnitten ihre Halter ihnen nicht die Schnäbel, wobei aber alles nach Gesetz abläuft. „Landidylle kann ich mir nicht leisten und Hühner sind glücklich, wenn sie Leistung bringen“, sagen die Hühnerfarmer. Das Kuriose ist: Der Verbraucher hält trotzdem weiter fest am Bild der bäuerlichen Idylle, hat offensichtlich vergessen oder verdrängt, wie und woher sein Essen auf den Tisch kommt. Auf seiner Reise nach der Wahrheit hat das Kamerateam „radikale“ Tierschützer begleitet. Und sie dabei beobachtet, wie sie regelmäßig Legehennen aus „Batteriekästen“ - wie sie es nennen - befreien.

Teil 2: Auf der Suche nach glücklichen Kühen und Schweinen
Das Team von Autor Christian Rohde hat eine Reise durch die Republik unternommen und gefilmt, wie Schweine leben, bevor sie zu Schnitzel werden. Die Kamera war im Schweinekreißsaal genauso dabei, wie im Schlachthof, wo die Tiere heute in einen Paternoster gehen, bevor sie sterben. Alles vom Schwein wird verwertet, im Akkord zerteilen Schlachter und Maschinen das, was wir nur als paniertes Schnitzel kennen. Die Bilder ziehen den Zuschauer hinein in die Welt der modernen Lebensmittelproduktion. Zu Wort kommen Milchbauern, Schweinezüchter und Tierärzte genauso wie Fleischfabrikanten und Molkereimanager.

Teil 3: Auf der Suche nach dem frischen Fisch
Von der Ostsee bis an die Ostküste der USA, um Antworten zu finden auf die Frage, woher der frische Fisch kommt. Die Kamera begleitet den Ostseefischer Dieter Pahlke auf seinem kleinen Kutter bei der Jagd. Romantisch und abenteuerlich stellt sich die Landratte Pahlkes Arbeit vor. Man kennt es ja nicht anders aus der Werbung. Dabei fängt die Crew um Pahlke immer weniger Fisch mit immer mehr Aufwand, holt manchen Tag bis zu 50 Prozent Beifang an Deck. Das große Geschäft mit dem Fisch läuft längst woanders. Zum Beispiel in Frankfurt am Main, auf dem Frachtterminal des Flughafens. Dort wird „Flugfisch“ angelandet. Flugfisch heißt jener Fisch, der irgendwo auf den sieben Meeren gefangen wird und dann per Flugzeug nach Frankfurt fliegt. Die Reise geht weiter nach Norwegen und dort zu den riesigen Lachsfarmen in den Fjorden, eine Reise ins Land der „blauen Revolution“, der Aquakultur. 40 Kilometer von Stavanger konnte das Team filmen, was mit blauer Revolution und moderner Fischerei gemeint ist. Der Fischer von heute sitzt vor einem Überwachungsbildschirm und füttert seine Tiere per Knopfdruck Der Fisch wird zum Mastvieh aus dem Meer. Eindrucksvolle Unterwasseraufnahmen nehmen den Zuschauer mit auf die Jagd nach dem Sprinter der Meere, dem Thunfisch. Die riesigen Tiere werden aber nicht mehr nur traditionell gefangen und nach der Jagd geschlachtet. Heutzutage läuft das Geschäft mit dem frischen Thunfisch anders. Abertausende Jungfische werden aus dem Meer in Käfige an der Küste geschleppt, um sie dort zu mästen. Doch das Geschäft mit dem frischen Fisch läuft auch in eisigen, präzise abgemessenen Blöcken ab. Aktenkofferfisch heißt der in Fachkreisen. Jugendliche Verbraucher lieben ihn als Fischstäbchen. Der Film beleuchtet die Wirklichkeit von Käpt'n Iglo im Unterdeck eines norwegischen Fabrikschiffs.

Stab
Autor: Christian Rohde
Kamera: Thomas Hammelmann
Produzent: Reginald Puhl / Nova Entertaiment

Kritik
Die drei Teile zeigen auf sehr ansprechende Weise, wie es hinter den Kulissen in der Fleisch- und Fischproduktion ausschaut. Laut Statistik werden rund sieben Milliarden Eier in Deutschland verbraucht, doch kaum einer macht sich Gedanken darüber, wie sie eigentlich produziert werden. Der erste Teil zeigt noch nie gesendete Aufnahmen und öffnet für den Zuschauer ein schrecklich-eindruckvolles Bild. Für den gemeinen Deutschen könnten diese Bilder fast schon erschreckend wirken, denn es wird deutlich, wie teils mit Lebewesen umgegangen wird. Wer nach diesem ersten Teil noch denkt, dass Hühner auf idyllischen Bauernhöfen gezüchtet werden, sollte seine Denkweise schleunigst ändern. Weichgesottenen Zuschauer empfehlen wir, sich bei manchen Szenen lieber die Augen zuzuhalten.

Wenig seichter geht es auch im zweiten Teil weiter. Die Dokumentation zeigt auf, wie eigentlich das Fleisch, was man jeden Tag verzehrt, auf brutale Art produziert wird. Insgesamt kommt das Gefühl auf, als ob die Halter vergessen haben, dass sie Lebewesen unter sich haben, sie aber trotz dessen wie materielle Produkte behandeln. Schweine werden in Stallungen ohne Licht gehalten und die Kühe sind schon so verbraucht, dass ihre Euter zu Boden hängen. Doch nichtsdestotrotz sollte sich der Zuschauer klar werden, dass dies die neue moderne Lebensmittelproduktion ist, auch wenn es schwer fallen wird. Erstaunlich ist des Weiteren auch die immense Größe an den Produktionsstätten. Schlussendlich weist die Reportage aber auf, dass nicht die Züchter und Produzenten an der Misere schuld seien, sondern allein der Verbraucher, denn Geiz ist bekanntlich geil.

Der dritte Teil dürfte noch einer der am wenigsten erschreckenden sein, obwohl die globale Fischproduktion anschaulich vorgetragen wird. Auch hier wird der Zuschauer über so manche eigene Fehlinterpretationen aufgeklärt. Fisch allein wird nicht mehr nur im Meer gefangen. Vielmehr wird er in großen Produktionsstätten gemästet. Beeindruckende Unterwasseraufnahmen zeigen dabei die Massenfütterung der Fische. Erschreckend sind im Übrigen die Bilder über den so genannten „Beifang“. Fisch, der irrtümlich mit gefangen wurde, doch schon an der kuttereigenen Schlachterei teilnimmt, wird dann tot zurück ins Meer geworfen, denn an ihn besteht kein Interesse. Insgesamt kommt im dritten Teil ein Gefühl der Verwunderung, aber auch des Entsetzen, auf. In Massen werden Fische allein wieder für den Menschen mundgerecht geformt – die typischen Fischstäbchen. Allein Edelrestaurants, wie das in Frankreich, können sich von diesem Markt absetzen, doch lauern mit Spitzenpreisen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die drei Teile einen ansprechenden Rahmen bieten, um eben jenes, noch fast geheim gehaltenes Thema, offen zu legen. Der Zuschauer wird mit schnellen Szenenwechseln regelrecht in das Schicksal der Tiere miteinbezogen, sodass diese Dokumentation durchaus zum Nachdenken anregen kann. Pro- und Contra-Argumente über Massentierhaltung lassen teils sogar Verständnis aufkommen. Kleiner negativer Kritikpunkt sind die Interviews, die teilweise sehr lang und vom Aussagegehalt eher unbefriedigend sind. Doch insgesamt punktet die sehr gut durchdachte Dokumentation mit 92 Prozent.

Der NDR zeigt montags, ab 30. Januar 2006, um 23.00 Uhr jeweils einen Teil der Reihe «Ware Tier».
25.01.2006 21:53 Uhr Kurz-URL: qmde.de/12971
Steffen Seel

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Tags

Ware Tier

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