In diesen Tagen feiert «Der große Fake – Die Wirecard-Story» bei TV Now Premiere. Quotenmeter sprach mit dem Produzent Lepetit über die Dreharbeiten und den Wirtschaftsfall.
Sehr geehrter Herr Marc Lepetit, vielen Dank für Ihre Zeit für das Gespräch. Wo waren Sie, als sie davon hörten, dass Wirecard Insolvenz anmelden musste?
Gute Frage! Ich saß – coronakonform – in einem Meeting und habe mich mit der Kampagne #sicherheim gegen häusliche Gewalt beschäftigt. Und plötzlich bekam ich eine Push-Nachricht auf mein Handy… Ich hatte die Geschehnisse rund um Wirecard schon eine ganze Zeit beobachtet und bei den ganzen Schlagzeilen der großen Wirtschaftszeitungen davor, hat es mich dann nicht mehr wirklich überrascht.
Bereits vor drei Jahren enthüllte die Financial Times, dass einige Geschäfte der Firma Wirecard recht zweifelhaft waren. Ein Freund von mir hat dort Geld investiert, obwohl ich ihm nach mehreren Berichten abgeraten habe. Haben Sie auf Wirecard spekuliert?
Ich bin ein eher vorsichtiger Typ und habe Spekulationen immer vermieden. So auch bei Wirecard. Rund um unsere Produktion hat man mit vielen Finanzexperten über das Thema der Finanz-Ethik gesprochen. Und die verbreitete Annahme, dass man ohne großes Risiko reich werden kann, ist eine seltsam deutsche Einstellung, sagten uns auch viele international tätige Experten. So sind wir irgendwie erzogen worden: Wenn die Bank mein Geld auch in großem Umfang vermehrt, wird es schon „okay“ sein und mit rechten Dingen zugehen. Ich persönlich habe da meine Zweifel und bin da sehr konservativ – aber ich kann die Verlockung verstehen. In Gesprächen haben wir auch bemerkt, dass Anleger stolz waren, dass ein deutsches FinTech-Unternehmen im internationalen Markt mitspielte – auch das reizte mich weder damals noch heute. Aus solchen Gesprächen mit Anlegern, die viel Geld verloren haben, wurde noch klarer: Wir möchten mehr über die Geschichte, die Protagonisten, die Vorgänge wissen.
Eine der größten Bankfirmen der Bundesrepublik Deutschland sitzt nicht in Frankfurt am Main. Das wäre doch genauso seltsam, wenn TV Now in Bayreuth sitzen würde? In einigen Berichten hieß es ja schon, dass da immer ein paar zweifelhafte Leute die Firma leiten.
Ich hoffe, Sie meinen nicht TVNOW! Die Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen in Köln, Berlin und München rund um TVNOW und RTL war hervorragend! Die Charakterisierung von Wirecard Mitarbeiter:innen würde ich mir nicht anmaßen. Wenn man mit Kreativen wie Hannah und Raymond Ley auf das Thema zugeht, nimmt man die Figuren erst einmal, wie man sie kennenlernt und so interpretieren kann. Wir haben uns vor allem von Dr. Markus Braun Interviews und Auftritte angesehen – und seine Visionen versucht zu verstehen. Dann geht die Recherche weiter – Mitarbeiter:innen und Gesprächs- oder Geschäftspartner:innen, die mit ihm oder Jan Marsalek gearbeitet haben oder privat kannten, charakterisieren die beiden. Ein Bild formt sich. Und ja, ab und an wundert man sich über die Berichte, die man hört. Diese Welt ist einem fremd – und vielleicht braucht es auch einen gewissen Charakter, um diese Wege zu gehen oder zumindest Vorgänge zu akzeptieren, wenn man sie mitbekommt. Oder wegschaut. Man kann sich juristisch zum jetzigen Zeitpunkt noch gar keine genaue Wertung erlauben. Aber unsere seriöse Recherche zeichnet schon ein besonderes Bild der handelnden Personen.
In dem Buch „Bad Company: Meine denkwürdige Karriere bei der Wirecard AG“ schreibt der ehemalige Mitarbeiter Jörn Leogrande zahlreiche interessante Fakten. Der Finanzchef, der dieses Kuddelmuddel an Firmenbeteiligungen aufsetzte, war einst schon für das Chaos der Kirch-Gruppe verantwortlich. Großen Unternehmen kann man viel vorwerfen, aber bei den Bilanzen habe ich noch nie von Schwierigkeiten gehört.
Ja, bei Bilanzen gilt erst einmal der Grundsatz des ehrbaren Kaufmanns. Umso erschütternder ist es natürlich für Bilanzprüfer und Behörden, wenn sie getäuscht werden. Oder für Anleger, wenn Bilanzen und deren Aussagen auf sie zurückschlagen! Das „Gute“ an einem solchen Skandal für Anleger und den Markt ist ja: Alle sind nun deutlich aufmerksamer. Und Sie sehen es ja jetzt schon, dass weitere Geschäftsmodelle aufgedeckt werden und dass darüber diskutiert wird, wie man das System sicherer machen kann. Ob und wie das in Zukunft ausgesteuert wird, kann niemand sagen – aber gut ist, darüber zu informieren. Und Projekte wie «Der große Fake – Die Wirecard-Story» tragen dazu bei.
Der Fall Wirecard wird immer skurriler, umso mehr Mitarbeiter auspacken. Das ist ja schon fast eine Satire wie «Inside Job», «Wolf of Wall Street» oder gar «Stromberg».
Ja, das stimmt. Aber als Filmemacher:in muss man natürlich sehr aufpassen. So fragen wir uns bei jedem Gespräch, das wir geführt haben, wie wir damit umgehen. Nur weil es „skurril“ genannt wird, muss es noch lange nicht skurril sein. Das ist auch die Verantwortung, die man im Dokumentarischen oder bei der Doku-Fiktion hat – nicht in die reine Vermutung zu gehen. Da achten unsere Autoren Hannah und Raymond Ley sehr drauf – und mit einem Team von Rechercheur:innen aus dem Bertelsmann Umfeld und einer starken juristischen Begleitung haben wir alles getan, nicht in die Vermutung abzurutschen, sondern die Tatsachen abzubilden. Die sind auch schon spannend genug! Aber ja, grundsätzlich haben Sie Recht, während der Recherche eines solchen Stoffes verfällt man oft in tiefes Erstaunen. Irgendwo zwischen «Wolf of Wall Street», «Margin Call» und manchmal auch ein bisschen «James Bond».
Apropos «Stromberg»: Sie haben Christoph Maria Herbst als Hauptdarsteller des Films gewinnen können. Passt der Schauspieler in diese verrückte Rolle auf Wirecard-Chef Markus Braun?
Christoph Maria Herbst als Markus Braun ist für uns eine großartige Besetzungsidee, die uns die UFA-Fiction-Casterin Nina Haun mit ihrem Team vorgeschlagen hat. Mit ihm eben jenseits der Rollen zu sprechen, die er normalerweise gerne spielt, war ein Erlebnis. Und dann zu sehen, wie er sich dieser Rolle genähert hat und wie er mit Raymond Ley, unserem Regisseur, an der Figur gearbeitet hat, war ebenfalls sehr spannend zu beobachten. Ich halte übrigens Markus Braun nicht für „verrückt“ – in unserer Recherche sind seine Visionen, seine Sicht auf den Markt und seine Aussagen für das Unternehmen, mit Verlaub, visionär. Welche Mittel dann ein Unternehmen wählt, um diese Ziele zu erreichen, welche Rolle er da spielt, was er wusste, was nicht… – das ist nun auch Teil der Ermittlung, in der er sich gerade befindet. Aber grundsätzlich hat ja nun auch dieses Visionäre den Anlegern und Geschäftspartnern gefallen. Dass Christoph Maria Herbst nun für uns dieses Getriebene vor die Kamera bringt, ist toll anzuschauen. Und dass er mit Franz Hartwig hier natürlich einen genialen Mitspieler in der Rolle des Jan Marsalek gefunden hat macht klar, dass wir dieser komplexen Aufgabe mit außerordentlichen Schauspielern begegnen wollen.
Für Ihren Film arbeiteten Sie auch mit Shortsellern zusammen. Gerade Menschen, die Zweifel an der Wirecard-Praxis übten, verdienten viel Geld mit Leerverkäufen. War das nicht ein riesiges Problem, dass die Machenschaften nicht aufflogen?
Das ist eine Frage, die Sie besser auch Shortseller:innen stellen sollten. Shortseller:innen wie Fahmi Quadir haben sehr früh darauf hingewiesen und waren mit der Presse in Kontakt, dass hier wohl etwas nicht stimmen kann. Außerdem können sie auch sehr gut erklären, warum sie davon überzeugt waren. Das ist als Warnsystem erst einmal nichts Schlechtes. Ob dann die Wette auf die geschäftlichen Gebaren solcher Unternehmen verwerflich ist oder nicht – das muss jede:r Shortseller:in für sich entscheiden. Da sind wir wieder bei der ethisch-moralischen Frage. Schon bei «The Big Short» hat man sich gefragt, wie das alles sein kann. Ist der, der darauf wettet, anzuklagen? Oder das System, das solche Wetten zulässt? Wirecard ist gegen Shortseller:innen vorgegangen – aber sind sie gegen sie vorgegangen, weil sie gewettet haben? Oder weil sie auf das System hingewiesen haben?
Wie ergeht es Ihnen als Produzent eigentlich, wenn Sie von solchen Wirtschaftsfällen hören? Das klingt zwar immer erst schlimm, aber Sie machen ein Geschäft mit der Produktion eines Filmes. Quotenmeter erwirtschaftet Umsatz mit diesem Interview. Eine Art Tragik, mit der man Geld verdienen muss?
Das Genre der Dokumentation an sich spiegelt immer wieder solche Themen. Als wir «Tod einer Kadettin» produziert haben, standen wir mit der Familie in Kontakt. Das hat mich als Produzent tief berührt. Und auch jetzt die Gespräche, die Raymond Ley mit Anleger:innen oder Mitstreiter:innen führt, lassen mich nicht kalt. Von Film zu Film bin ich davon überzeugt, dass wir eine Verantwortung haben, solche Themen – ob als Dokumentation oder mit Hybridformaten – aufzubereiten. Und der derzeitige Boom von Dokumentationen wie «Filthy rich», «Rohwedder» oder «Tiger King» zeigt: Man muss hinter Fassaden und in Geschichten genauer reinschauen. Und manchmal ist die Realität spannender als die Fiktion. In jedem Fall zeigen solche Themen und die Arbeit am Wirecard Doku-Thriller, wie wichtig diese Aufbereitungen sind und dass sie auf großes Interesse stoßen. Dem Dokumentar-Bereich sollten wir zukünftig mehr Aufmerksamkeit widmen. Dass wir alle am Ende Geld damit verdienen erscheint mir weniger zynisch. Journalismus, faktenbasiertes Storytelling.
Mussten Sie «Der große Fake – Die Wirecard-Story» oft umschreiben? Immerhin kamen öfters neue Fakten ans Tageslicht.
Von Seiten der UFA haben sich Nico Hofmann, Thomas Laue als Dramaturg und ich schon sehr früh mit Bettina Weiguny, Hannah Ley, Georg Meck und Raymond Ley auf den Kern unserer Geschichte geeinigt. Die Vorgänge von Wirecard bis in den Sommer 2020. Und mit unserer umfangreichen Recherche und den großartigen Rechercheteams bei G+J und RTL sind wir hier sehr tief eingestiegen. Da kamen die Erkenntnisse der vergangenen Monate eher immer wieder als Bestätigung. Die Geschichte hat sich ja nicht geändert, sondern eher immer weiter konkretisiert. Und natürlich haben wir bis zum Drehbeginn im Januar immer wieder die Storylines kontrolliert – und ergänzt, wenn wir einen neuen Kenntnisstand hatten. Dazu waren diese umfangreichen Recherchen, Interviews und Hintergrundgespräche eben da. Und durch die Kombination von Interviews, die wir noch bis vor 14 Tagen geführt haben, mit fiktionalisierten Momenten, sind wir sehr dicht und arbeiten uns an den Fakten ab. Am Ende hoffen wir, dass die, die den Fall kennen, danach eine noch bessere Übersicht haben. Und die, die mit WIRECARD bis jetzt noch nichts zu tun hatten, vielleicht nach dem Film sagen „damit hab´ ich in Deutschland nicht gerechnet“. Die Ereignisse sind filmisch – und wir hoffen, dass wir einen Weg gefunden haben, etwas Ordnung in die Geschichte gebracht zu haben.
Danke für das Gespräch! Wir sind gespannt auf den Film!
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