Heile Welt in Dortmund? Mit dem dauerdepressiven Peter Faber (Jörg Hartmann) als Kommissar? Da kann doch was nicht stimmen im neuen «Tatort».
Stab
Darsteller: Jörg Hartmann, Anna Schudt, Stefanie Reinsperger, Rick Okon, Jürg Plüss, Franz Pätzold
Musik: Olaf Didolff
Kamera: Philipp Kirsamer
Drehbuch: Jürgen Werner
Regie: Sebastian Ko „Heile Welt“? Heil ist im Dortmunder «Tatort» doch noch nie was gewesen: mit einem Ermittler, der sich in den frühen Sendejahren fast jede Folge von einem Gebäude stürzen wollte, mit einer folgenübergreifenden Triebtätergeschichte und einem Spielort, der geradezu zum Synonym für jene Mischung aus Strukturwandel, Arbeitslosigkeit und postindustrieller Depression geworden ist.
Und jetzt mischen auch noch Nazis und linksextreme Spackos die Stadt auf und gefährden damit das Einzige, was zwischen den alten Zechen noch wirklich zählt: den Zusammenhalt. „Ein Kumpel is‘ im Ruhrpott viel mehr als ein Freund“, beschreibt Peter Faber (Jörg Hartmann) das stolz, nachdem er sich von besagtem Kumpel ein neues Auto zugelegt hat, in dem er jetzt seine Kollegin Martina Bönisch (Anna Schudt) durch die Stadt kutschiert, während aus dem alten Kassettendeck „Sunshine Reggae“ bollert. So viel Lebensfreude vor so steilen Abgründen.
Stein des Anstoßes ist ein Brand in einem dieser klobigen, heruntergekommenen Mietshausbunker, bei dem eine junge Frau zu Tode kommt. Ins Visier der Dortmunder Mordkommission gerät bald der Sohn eines Imams aus demselben Gebäude, der schon wegen Drogenhandels aufgefallen ist. Als er sich bei seiner ersten Begegnung mit Bönisch noch ordentlich danebenbenimmt, macht die kurzen Prozess und legt ihm Handschellen an, bevor sie ihn auf das Revier abführt. Die umstehenden Passanten aus dem Nahen Osten haben dabei natürlich schon lange ihre Handykameras gezückt, von wo aus das Videomaterial schnurstracks im Internet landet.
Während die Rechtsradikalen angesichts des harten Durchgreifens der blonden Dortmunder Polizistin jubeln und darin ein erwachendes Deutschland wittern, sehen die Redakteure der linken Zeitschrift „Freytag“ und ihre Sympathisanten darin nur ein weiteres Beispiel für die allgemeine rassistische Polizeigewalt in Deutschland. Bönisch bekommt nicht nur Applaus von der völlig falschen Seite, sondern wird nun auch von Antifa-ähnlichen Gruppierungen drangsaliert.
Links- und Rechtsextremisten in trauter Gegenüberstellung? Diese Hufeisentheorie von gestern verbitten sich öffentlich-rechtliche Medien in ihren journalistischen Formaten mittlerweile grundsätzlich. Im Dortmunder «Tatort» hingegen ist sie diese Woche der Ausgangspunkt für die politische Unterfütterung des aktuellen Mordfalls, dessen Spannungsbogen die lange Lunte einer Zündschnur abbrennt, an deren Schluss ein Pulverfass in die Luft fliegen muss. Im abgebrannten Wohnbunker wohnen zwar Juden, Muslime, Atheisten, Deutsche, Araber, Russen, Weiße, Schwarze und Ostasiaten Tür an Tür, doch außerhalb der eigenen Gruppe geht man sich aus dem Weg – in der Denke von «Heile Welt» sind das ideale Bedingungen für Ausschreitungen, die ihre eigentliche Tragik aber erst dann entfalten, wenn nicht mehr nur das Prekariat davon betroffen ist, sondern auch die bürgerlichen Polizisten von der Mordkommission mitten in den Strudel der Armutsverelendung geraten. Das müsste aber differenzierter und mit einem schärferen Blick für die tatsächlichen gesellschaftlichen Hintergründe erzählt werden, um wirklich auch als Kommentar auf die Verhältnisse im Schmelztiegel Dortmund zu funktionieren.
Im Ersten läuft «Tatort – Heile Welt» am Sonntag, den 21. Februar um 20.15 Uhr.
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20.02.2021 14:27 Uhr 1
20.02.2021 15:16 Uhr 2