Die Kino-Kritiker: «The Trial of the Chicago Seven»
Sie wollten gegen den Vietnamkrieg demonstrieren, nutzen ihr verfassungsmäßig garantiertes Demonstrationsrecht und fanden sich auf der Anklagebank wegen Verschwörung gegen die Vereinigten Staaten von Amerika wieder. Die Geschichte der Chicago Sieben gehört in den USA zum historischen Allgemeinwissen. Aaron Sorkin hat aus ihrem Fall ein Gerichtsdrama inszeniert, das sich Oscar-Chancen ausrechnen darf, obwohl der Film hierzulande nur auf Netflix zu sehen ist.
Stab
REGIE und DREHBUCH: Aaron Sorkin
DARSTELLER: Eddie Redmayne, Alex Sharp, Sacha Baron Cohen, Jeremy Strong, John Carol Lynch, Frank Langella, Yahya Abdul-Mateen II, Mark Pylance, Joseph Gordon-Levitt, Danny Flaherty, J.C. MacKenzie, Michael Keaton
PRODUCER: Matt Jackson
MUSIK: Daniel Pemberton
SCHNITT: Alan Baumgarten
KAMERA: Phedon Papamichael
DESIGN: Shane Valentini
ART DIRECTION: Nick Francone, Julia Heymans, Ernesto Solo
«The Trial of the Chicago Seven» gehört zu jenen Filmen, die 2020 Opfer der Corona-Pandemie geworden sind. Sollte der Film ursprünglich im Herbst in die Kinos kommen, hat Paramount auf eine Verschiebung des Dramas verzichtet und sich stattdessen mit Netflix über eine Auswertung des Werkes im Stream geeinigt. Trotz einiger Schwächen in seiner Inszenierung kann man davon ausgehen, dass er im Kino sein Publikum gefunden hätte. Er ist mit Eddie Redmayne, Sacha Baron Cohen, Joseph Gordon-Levitt ordentlich besetzt, Regisseur Aaron Sorkin verfügt seit seiner Zeit als Showrunner von «The West Wing» über eine stabile Fanbase, aber auch der Faktor Zeit hätte im doppelten Sinne für Aufmerksamkeit sorgen können. Zum einen hat es einfach schon seit längerer Zeit kein großes Gerichtsdrama mehr auf der großen Leinwand zu sehen gegeben, dadurch hätte der Film alleine schon Aufmerksamkeit erlangt. Zum anderen ist «The Trial of the Chicago Seven» natürlich auch ein (linker) Kommentar über die gesellschaftliche Spaltung der amerikanischen Gesellschaft der Gegenwart – auch wenn er eine historische Geschichte erzählen mag. Immerhin hat sich Paramount Oscar-Chancen gewahrt. Da die Statuten der vergebenden Academy einen Kinostart zwingend vorschreiben – hat der Film am 25. September 2020 in den USA einen ganz kleinen Kinostart erlebt.
«The Trial of the Chicago Seven» beginnt mit einer Montage, die die Hauptfiguren des Dramas einführt. Wobei der Fokus auf vier der späteren Angeklagten gelegt wird. Da ist zunächst Tom Hayden (Eddie Redmayne), ein junger Mann aus einem offensichtlich universitären, liberalen Milieu, der in einem Vortrag über den Vietnamkrieg – vor einem ebenso liberalen Publikum – zur Demonstration vor dem Parteitag der Demokraten in Chicago aufruft. Es ist 1968. Der Vietnamkrieg, der nie als Krieg erklärt worden ist, hat eine unvorhergesehene Dynamik angenommen. Immer mehr junge Männer werden zum Wehrdienst eingezogen, immer heftiger werden die Kämpfe, immer mehr junge Männer werden in einem Sarg nach Hause geschickt. Es regt sich Widerstand. Und das nicht nur dort, wo die weiße Vorstadt, die die Politik des Landes bestimmt, diesen Widerstand verorten will – unter den Hippies und innerhalb der Bürgerrechtsbewegung. Hayden, ein junger Mann aus der Vorstadt, der stets adrett gekleidet ist und höflich auftritt, ist der Beweis dafür, dass der Widerstand längst Bevölkerungsschichten erreicht hat, die normalerweise in Krisenzeiten geschlossen hinter dem Staat stehen.
Hinter der Verfassung steht auch David Dellinger (John Caroll-Lynch), ein in die Jahre gekommen Radikal-Pazifist, der schon während des Zweiten Weltkrieges von seinem Recht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch gemacht hat. Wo Abbie Hoffman (Sacha Baron Cohen) steht, ist nicht genau ersichtlich. Er ist ein Hippie und jemand, der durchaus zu scharfen Reden in der Lage ist. Er mag sich gegen Gewalt aussprechen, wenn diese Gewalt von den Demonstranten ausgeht. Geht sie von der Polizei aus, ist seine Position nicht so leicht zu durchschauen. Im Gegensatz zu Dellinger, der selbst im Fall polizeilicher Gewalt niemals die Hand erheben würde, schließt er einen aktiven Widerstand nicht aus. Widerstand ist für Bobby Seale (Yahya Abdul Meteen II) derweil selbstverständlich. Als ein Anführer der Black Panther lehnt er den gegenwärtigen Staat (des Jahres 1968) ab und ist dem bewaffneten Widerstand nicht gänzlich abgeneigt.
Zeigt der Prolog den Aufbruch der Männer zum Parteitag, um dort gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren – keiner von ihnen kennt den anderen zuvor – setzt die Haupthandlung nun damit ein, dass der erfahrene Generalstaatsanwalt Thomas Foran (J. C. MacKenzie) und der noch junge Karrierestaatsanwalt Richard Schultz (Joseph Gordon-Levitt) vom Justizminister persönlich angewiesen werden, gegen sieben bei Ausschreitungen vor dem Parteitag der Demokraten verhafteten Rädelsführer Anklage wegen Verschwörung gegen den Staat zu erheben. Eine Anweisung, die Schultz nur mit Widerwillen annimmt. Zwar wird er im Verlauf der Handlung rigoros die Anklage durchziehen, aber er ist von ihr nicht überzeugt. Im Gegenteil: Er ist der festen Überzeugung vor Gericht zu scheitern, denn keiner der Angeklagten hat vor den Protesten zu Taten aufgerufen, die den Staat schädigen sollten. Doch die Order aus dem Justizministerium ist klar. Und Schultz ist ein Staatsdiener, der gehorcht.
Ein Ausflug in die reale Geschichte
Hintergründe: Im August 1968 kam es vor dem Parteitag der Demokratischen Partei in Chicago zu einem Gewaltausbruch, der die USA verändern sollte. Aus vielen Teilen des Landes reisten Demonstranten zum Parteitag an, um gegen den Vietnamkrieg zu demonstrieren. Es waren die Demokraten, die zu dieser Zeit mit Johnson als Präsidenten die Macht im Weißen Haus inne hatten – sprich: Es war ein demokratischer Präsident, der Krieg führte. Es war also einerseits richtig, vor diesem Parteitag zu demonstrieren, denn hier tagte die Partei, die den Präsidenten stellte. Zum anderen gab es innerhalb der demokratischen Partei Widerstand gegen den Krieg, in den man „irgendwie hineingeschliddert“. Die Demonstration sollte diese Stimmen stärken. Das Symbol für diesen Widerstand war Robert F. Kennedy, den viele bereits als kommenden Präsidenten sahen. Doch Kennedy wurde im Juni 1968 Opfer eines Attentates und so nominierte die Partei Vizepräsident Hubert H. Humphrey als Kandidat fürs höchste Staatsamt – einen Mann, der keine Sympathien für die Demonstranten empfand. So kam es in Hinterzimmern zu Übereinkünften, die Demonstranten zu verjagen. Was jedoch vor dem Tagungsgebäude geschah, darf als ein regelrechtes Prügelfest der Polizei bezeichnet werden, bei dem die vollkommen von der Kette gelassene Polizei Chicagos auf alles eindrosch, was sich in Reichweite ihrer Knüppel befand. Dass kurze Zeit später der Republikaner Richard Nixon zum Präsidenten gewählt wurde, hat im Nachhinein betrachtet auch mit diesem Ausbruch zu tun, denn der allseits unbeliebte Nixon gewann im Grunde die Wahl nur, weil den Demokraten durch das Prügelfest von Chicago viele potenzielle Wähler abhandengekommen waren: Junge Liberale, Afro-Amerikaner. Statt es bei dem Gewalthappening zu belassen, trat die Regierung allerdings noch nach und stellte acht Organisatoren der verschiedenen Demonstrationen, die erst vor Ort räumlich zusammentrafen, vor Gericht um an ihnen ein Exempel zu statuieren – auch und gerade um andere Demonstranten einzuschüchtern. Tatsächlich waren es anfangs acht Personen, aus verschiedenen Gründen wurden es später sieben.
Zurück zum Film
Glauben die Angeklagten zu Beginn der Verhandlung, der Prozess würde sich bald in Wohlgefallen auflösen, denn die Anklage ist im Grunde absurd, da sie durch einen Taschenspielertrick versucht, die verfassungsmäßigen Rechte der Demonstranten zu unterlaufen, stellen sie bald fest, dass die Staatsanwaltschaft sehr wohl fundiert ihre Anklage zu begründen versteht. Selbst ihre vor Gericht nicht unbedingt zaghaft agierenden Anwälte geraten immer wieder ins Schwimmen. Sorkin inszeniert im Grunde ein Bühnenstück in der Tradition von «Die 12 Geschworenen». Vom Prolog und einigen wenigen Szenen abgesehen, die rückblickend die Geschehnisse am Rande des Parteitages erzählen, spielen sich rund Zweidrittel der Handlung innerhalb des Gerichtsgebäudes ab. Im Gerichtssaal, in den Hinterzimmern. Die Dialoge sind scharf geschliffen, wie man sie vom Autor Sorkin aus Serien wie «The West Wing» und zuletzt «The Newsroom» gewohnt ist. Sorkin, der seinen Durchbruch als Autor 1992 mit «Eine Frage der Ehre – A Few Good Man» feiern durfte, gelingt es, komplexeste Rechts- und Verfahrensfragen so zusammenzufassen, dass sie weithin leicht verständlich, nicht aber unzulässig vereinfacht werden. Dies ist eine Kunst, die in dieser Art nur wenige Autoren in dieser Perfektion beherrschen.
Der Regisseur Sorkin neigt jedoch dazu, seine Bilder bedeutungsschwanger aufzuladen. Wo die Dialoge des Autors Sorkin an Präzision nichts zu wünschen übriglassen, bleibt der Fokus des Regisseurs Sorkin leider sehr oft einen Moment zu lange auf einer Szenerie gerichtet. Da darf sich Sacha Baron Cohen während eines Verhörs gerne noch einmal nachdenklich an sein Stirnband greifen, das seine langen Hippie-Haare zusammenhält, um einen Moment des Nachdenken darzustellen, da darf Eddie Redmayne noch einmal ernst in die Kamera blicken, um seinen Worten durch einen Gefühlsausdruck seines Gesichtes Nachdruck zu verleihen. Sorkin neigt immer und immer wieder dazu, seine Bilder prätentiös aufzuladen: ganz so als würde er seinen Dialogen alleine nicht zutrauen, den gewünschten Effekt beim Zuschauer zu erlangen. Und auf welcher Seite Sorkin in diesem Film steht, darüber muss man gar nicht diskutieren. Aber nicht selten erinnert sein Vorgehen an jemanden, der über einen weißen Elefanten spricht, um dann einen weißen Elefanten in einem Raum zu platzieren, damit auch wirklich jeder versteht, dass er gerade über einen weißen und keinen grauen Elefanten gesprochen hat. Das ist ein Problem. Von Sirkin stammen auch die Drehbücher zu den wahrlich dialoglastigen Filmen «The Social Network» (über die Entstehungsgeschichte von Facebook) und «Steve Jobs». Beides Filme, die von extrem visuell denkenden Regisseuren inszeniert wurden. David Fincher nahm sich des sozialen Networks an und Danny Boyle der Geschichte von Jobs. Beide haben je eine sehr eigene Bildsprache gefunden, um die von Sorkin verfassten Dialoge in ein visuell eigenes Konzept einzubinden. Im Vergleich dazu bietet «The Trial if the Chicago Seven» doch eine sehr biedere (konservative) Bildgestaltung.
Der überragende Frank Langella
Dass «The Trial of the Chicago Seven» diese biedere Bildgestaltung nicht auf die Füße fällt, darf Regisseur Sorkin am Ende dem wahren Antagonisten der Angeklagten verdanken. Das sind nicht die Staatsanwälte. Das ist der Richter Julius Hoffman, den Frank Langella ohne jeden Anflug von bedeutungsschweren Momenten darstellt. Langella spielt keinen Richter: Er ist dieser Richter - weil er ihm Grautöne zugesteht, die der Inszenierung ansonsten fehlen.
Langellas lange Filmkarriere begann vergleichsweise spät. Er war bereits Ende 20 als er 1965 in einer Episode der TV-Serie «The Trials of O'Brien», in der der spätere «Colombo» Peter Falk eine Shakespeare affinen Anwalt darstellte, sein Kamera-Debüt gab. Bis dahin hatte er ausschließlich als Theaterschauspieler gearbeitet. Erstmals wirklich aufmerksam wurde man in Hollywood auf den groß gewachsenen Schauspieler aus New Jersey 1970, als er für eine Hauptrolle in dem Film «Tagebuch eines Ehebruchs» eine Golden Globe-Nominierung erhielt. 1976 stellte er den Titelhelden in «The Mark of Zorro» dar, unter der Regie von John Badham spielte er die Hauptrolle in «Dracula '79». Der verschwenderisch ausgestattete Blutsaugerfilm erwies sich an den Kinokassen als Enttäuschung, er öffnete Langella jedoch die Tore zu einer ansehnlichen Karriere als einer der meistgebuchten Nebendarsteller Hollywoods - wobei der deutsche Begriff Nebendarsteller seinem Spiel nicht gerecht wird. Die englische Sprache spricht vom Supporting Actor, dem unterstützenden Darsteller, der durch sein Spiel die Geschichte antreibt und gleichzeitig die Hauptfiguren (Hauptdarsteller) gut aussehen lässt. Ob in der Komödie «Dave» als Widerpart von Kevin Kline, als Finsterling in «Die Piratenbraut» oder als Perry White, dem Chefredakteur des Daily Planet in «Superman Returns»: Langella war stets einer der großen Charakterköpfe aus der zweiten Reihe – bis er Richard Nixon 2008 in «Frost/Nixon» darstellte, wofür er eine Oscar- und eine Golden Globe-Nominierung erhielt und sich im stolzen Alter von 70 Jahren in der ersten Reihe von Hollywoods Charakterdarstellern etablieren konnte.
In «The Trial of the Chicago Seven» ist er nun also Richter Julius Hoffman. Und es ist unmöglich, diesen Richter nicht abgrundtief zu verabscheuen. Ein Richter ist in einem Verfahren vor einem amerikanischen Geschworenengericht im Grunde eine Art Schiedsmann. Er achtet darauf, dass der Prozess korrekt abläuft, er erklärt den Geschworenen ihre Aufgaben, nach einem etwaigen Schuldspruch ist es an ihm, das Strafmaß zu verkünden. Im Gegensatz zum deutschen Richter an einem deutschen Gericht, der einen Großteil der Befragungen in einem Verfahren selbst durchführt, ist amerikanischen Richtern (im Rahmen von Geschworenenverhandlungen) eine gewisse Zurückhaltung auferlegt.
Von Zurückhaltung ist Langellas Julius Hoffman soweit entfernt wie die Erde vom Mond. Gleich im Rahmen des ersten Verhörs gelingt einem Anwalt der Angeklagten, die Aussage eines städtischen Beamten in der Luft zu zerreißen. Auf keine Frage des Anwalts kann der Zeuge eine überzeugende Antwort liefern, nach dieser Frage-Runde ist die Anklage im Grunde bereits sturmreif geschossen und ein Fall für den Müllkorb. Doch Hoffman lässt die Fragen und Antworten aus dem Protokoll streichen und ordnet an, dass die Geschworenen diese Fragen und Antworten nicht in ihrem Urteil berücksichtigen dürfen. Und so geht es weiter. Hoffman torpediert die Verteidigung, wo er dies nur kann. Seine Abscheu gegenüber den Angeklagten, egal ob Hippies oder Vorstadtvater, ist in jeder einzelnen Szene zu spüren. In Lagellas unfassbaren Spiel ist dieser Richter Hoffman nicht nur ein unsagbarer, liederlicher Drecksack, der auf Gesetze einen fetten Haufen setzt, wenn sie ihm nicht in den Kram passen. Oh, das alles ist er. Aber eben nicht nur: Es gelingt Langella durch sein kraftvolles, die Szenerie fast sprengendes Spiel einen Charakter zu kreieren, der nicht das Klischee darstellt, wie es ein linksliberales Publikum möglicherweise gerne sehen würde. Nein, dieser Mann ist, bei all der Verachtung, die man ihm entgegenbringen darf, auch ein Kind seiner Zeit. Ein Mann, der tatsächlich glaubt, durch seine Arbeit Amerika vor seinen Zersetzern schützen müssen. Ob vor dem Black Panther-Kämpfer, vor Kriegsgegnern aus weißen Mittelstandsfamilien oder vor Hippies. Natürlich ist dieser Mann ein Reaktionär. Aber darauf angesprochen würde er vermutlich viele Gründe nennen, warum er so handelt wie er handelt. Langella verkörpert keinen sinistren Schurken, der Gesetze aus Spaß und persönlicher Erheiterung missachtet. Dieser Mann, so selbstherrlich er agieren mag: In Langellas Darstellung ist er dennoch ein Überzeugungstäter, der wirklich glaubt, er würde durch seine Arbeit der Gesellschaft einen Dienst leisten.
Fazit: Unterm Strich ist «The Trial of the Chicago Seven» dank seiner Dialoge und eines unfassbaren Frank Langella ein gelungenes Werk über ein dunkles Kapitel der amerikanischen Rechtsgeschichte der jüngeren Vergangenheit, dem etwas weniger Selbstgefälligkeit gutgetan hätte.
«The Trial of Chicago Seven» kann bei Netflix gestreamt werden.
20.01.2021 11:00 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/123283
Christian Lukas
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