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Die Kritiker: «Wiener Blut»

Auf der einen Seite: Ein radikaler Prediger, der den Westen verabscheut. Auf der anderen Seite: Ein Bankier, der von einem reinen Österreich und einer Säuberung träumt. Aber nein, sie gehen einander keineswegs gegenseitig an die Gurgeln. Freundlich sitzen sie zusammen. Trinken zusammen einen Tee. Und tauschen ihre Pläne aus. Zivilisiert plant man die gegenseitige Ausrottung.

Stab

DARSTELLER: Melika Foroutan, Noelia Chirazi, Martin Niedermaier, Charlotte Schwab, Harald Windisch, Stipe Erceg, Florian Teichtmeister, Maria Hofstätter
REGIE: Barbara Eder
DREHBUCH: Martin Ambrosch
PRODUKTION: Heinrich Ambrosch, Bettina Kuhn
MUSIK: Johannes Vogel
KAMERA: Martin Gschlacht
SCHNITT: Karin Hammer
«Wiener Blut» wurde bereits im Herbst 2019 im ORF ausgestrahlt. Warum es ein Jahr gedauert hat, bis er endlich auch im ZDF zu sehen sein wird? Man weiß es nicht. «Wiener Blut» beginnt mit einem Mord. Ein Mann wird im Kofferraum eines Wagens auf eine abgelegene Brücke transportiert. Dort angekommen, legt ihm der Fahrer einen Strick um den Hals und erwürgt ihn. Am anderen Morgen wird der Tote baumelnd über der Donau hängend gefunden. Major Markus Glösl glaubt nicht an einem Selbstmord. Warum soll sich der Mann an der Brücke erhängt haben, wenn ihn auch ein Sprung von selbiger umgebracht hätte? Glösl fordert die ägyptisch-wienerische Staatsanwältin Fida Emam an. Die ist zwar eigentlich nicht für Fälle dieser Art zuständig, aber Glösl hat eine einleuchtende Erklärung, warum er sie angerufen hat: Fida hat den Ruf eine Frau zu sein, die gewinnt. Gnadenlos, allein dem Recht verpflichtet. Glösl ist sich sicher, dass etwas an dem Fall faul ist – und braucht daher eine gerichtsmedizinische Untersuchung, die ihm die meisten Staatsanwälte aber kaum genehmigen werden, da die äußeren Umstände eindeutig wirken und sein Gefühl für die zu wenig ist. Was aber, wenn er nicht irrt?

Die Staatsanwältin lässt sich auf seine Bitte ein und die Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache. Der Mann ist ermordet worden (was die Zuschauer ja bereits wissen). Vor allem aber ist er nicht irgend jemand. Sein Name war Karl Burger und als Mitarbeiter der Finanzmarktbehörde spürt er Geldschiebereien auf. Hat er möglicherweise etwas entdeckt, was er nicht hätte entdecken dürfen?



So kommt Fida an einen Fall, der an sich eine Nummer zu groß für ihre Gehaltsklasse ist. Einen Fall, für den sich übergeordnete Behörden allerdings offenbar nicht interessieren. Es bedarf daher eines höchst inoffiziellen Gesprächs mit einem Kollegen Burgers, um zu erfahren, dass Burger eine seltsame Transaktion entdeckt hatte. Diese Transaktion stank aufgrund ihrer Höhe von drei Millionen Euro für eine Immobilie, die kaum mehr als eine Millionen wert sein dürfte, nach Geldwäsche, nachweisen ließ sich diese allerdings nicht. Das Geschäft war sauber. Allein die, die hier ins Geschäft kamen, irritierten Burger: Es war die Privatbank Meer, ein erzkonservatives, den Freiheitlichen nahestehendes Geldinstitut, und der Moscheeverein Milla, der islamistischen Kreisen zugerechnet wird. Was keinen Sinn ergibt.

Für Fida wird diese Angelegenheit somit persönlich. Ihre Tochter Aline (das Kind aus einer außerehelichen Affäre zwischen Fida und einem österreichischen Richter) befindet sich auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Seit einiger Zeit trägt sie in der Schule Kopftuch, wendet sich von ihren früheren Freundinnen ab und hört nur noch auf einen Jungen namens Djamal, der genau diesem Verein nahesteht.

Gelungener Thriller
«Wiener Blut» ist ein gelungener Thriller, der mit der Staatsanwältin Fida Emam eine starkte Figur in den Figurenkosmos des Montagskinos einführt, auch wenn offenbar bislang keine weiteren Filme geplant sind. Nach dem starken Prolog richtet die Handlung ihren Fokus auf eine an sich nicht sonderlich wichtige Nebenhandlung, die aber Platz und Raum gibt, Fidas Charakter aufzubauen. Da sitzt sie in einer Vorverhandlung als Staatsanwältin einem Mann gegenüber, der seine Frau verprügelt hat. Die Ehefrau jedoch sagt aus, sie sei gestürzt, obschon der Blick in ihr Gesicht Bände spricht. Fida verschafft der Frau Platz zum Atmen, indem sie die angeordnete Haft des Ehemannes, gegen alle Erwartungen, trotz der Aussage der Ehefrau verlängert. Wissend, dass ihre Entscheidung in Kürze einkassiert werden wird. Fida wird als resolut eingeführt – als der Gerechtigkeit verpflichtet, was nicht unbedingt immer mit geltendem Recht einhergeht. Dieser Charakter bekommt durch das stets auf Tempo bedachte Spiel von Hauptdarstellerin Melika Foroutan Glaubwürdigkeit verliehen. Auch die Zeichnung ihrer äußeren Lebensumstände lassen sie als eine komplexe Persönlichkeit erscheinen. So lebt sie in einer Dreier-WG mit ihrer Mutter Afifa, die als Musikerin nach Österreich kam. Und ihrer Tochter Aline. Während Afifa nach dem Motto Laissez-faire lebt, ist Fida beruflich strebsam, privat aber unsicher in Bezug auf die Erziehung ihrer Tochter Aline, die ohne einen Vater aufwächst, weil Fida sich vor vielen Jahren in eine Affäre gestürzt hat, ohne deren Folgen zu überdenken. Kein Wunder, dass Aline sich selbst sucht und auf dieser Suche an Djamal gerät, von dem man als Zuschauer nie weiß, ob er ein Täter ist, der Aline keinesfalls zufällig angesprochen hat und in Wahrheit ganz andere Ziele als eine Beziehung verfolgt? Oder ein Opfer, weil er auch nicht wirklich weiß, wo er in der Gesellschaft steht und somit leichte Beute für den Verein ist, den sich Fida nun genauer anschauen will.

Durch die Verbindungen der Tochter zum Verein Milla lässt sich Fida zu einem Fehler hinreißen. Statt Glösl in Ruhe ermitteln zu lassen, sucht sie das persönliche Gespräch mit dem Vorsitzenden. Was der Zuschauer direkt als Fehler erkennt, da die Inszenierung diesen einen Wissensvorsprung gewährt – in Form des in der Einleitung dieser Filmbesprechung geschilderten Szene, in der sich zwei von Hass und gegenseitiger Abscheu getriebene Männer gegenübersitzen und doch eine gewisse Achtung dem anderen gegenüber nicht verhehlen können. Eine Achtung, die darauf beruht, dass beide bereit sind, für ihren Glauben über Berge von Leichen zu schreiten. Radikal und Radikal gesellt sich halt gern. Der eine Mann ist der Vorsitzende des Vereins, den Fida nun aufsucht. Der andere eben jener Bankier Meer, gegen den das Mordopfer den Verdacht von Geldwäsche hegte.

Die Geschichte wirkt in einigen Momenten, als würde der Faktor Zufall etwas arg strapaziert. Doch zwischen Zufall und Manipulation verläuft oft nur ein schmaler Grat. So gibt es mehrfach Momente, die unbedeutend erscheinen, die aber nach und nach an Bedeutung gewinnen. Dass die Story den Zuschauern nicht nur einmal einen Wissensvorsprung gönnt, ist gleichfalls manipulativ, denn nicht immer bedeutet ein Wissensvorsprung auch tatsächlich ein Mehr an Wissen – wenn dieser Wissensvorsprung dazu dient, von anderen Entwicklungen elegant abzulenken.

Bemängeln lässt sich, dass die Story etwas Anlaufprobleme hat. Nach dem Mord wird lange Zeit sehr oft sehr viel geredet. Das erste Drittel des Filmes zieht sich doch ein wenig dahin und bietet vergleichsweise wenig Handlung für eine Story, die am Ende vergleichsweise komplex ausfällt. Dies aber ist der einzige Kritikpunkt. Herauszustellen ist der Showdown der Story. Der bietet nicht nur Tempo und Schauwerte, ganz nebenbei erlaubt er sich noch einen recht überraschenden Twist, der die gesamte Handlung beziehungsweise das Handeln einiger Figuren in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt.

Noelia Chirazi, Darstellerin der Aline, wurde 2020 für ihre Darbietung für einen Romy in der Kategorie „Bester Nachwuchs weiblich“ nominiert.
02.11.2020 08:24 Uhr Kurz-URL: qmde.de/122399
Christian Lukas

super
schade


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Wiener Blut

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