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Die Kritiker: «Breaking Even»

Ein tödlicher Unfall mit einem selbstfahrenden Auto ist der Ausgangspunkt der neuen ZDFneo-Serie mit einem sehr diversen Cast. Aber erzählt sie auch so modern wie sie sich gibt?

Cast & Crew

Vor der Kamera:
Lorna Ishema als Nora Shaheen
Sinje Irslinger als Jenny Rösner
Justus von Dohnányi als Benedikt Lindemann
Laura Berlin als Charlotte Lindemann
Rafael Gareisen als Konstantin Lindemann
Nicole Heesters als Leonore Lindemann
David Rott als Maximilian Lindemann

Hinter der Kamera:
Produktion: Neuesuper GmbH
Headautoren: Boris Kunz (auch Regie) und Rafael Parente
Drehbuchautoren: Romina Ecker, Benjamin Seiler und Jana Burbach
Kamera: Tim Kuhn
Produzenten: Simon Amberger, Korbinian Dufter und Rafael Parente
Es passiert, was eigentlich nicht passieren darf: Ein selbstfahrendes Auto fährt einen Menschen tot. Am Steuer saß Charlotte Lindemann (Laura Berlin), noch keine dreißig Jahre alt und schon Vorstand für Technologie im Familienimperium ihrer Eltern und Großeltern. Aus dem Meilenstein – dem zehntausendsten Kilometer, den das Fahrzeug zurückgelegt hat – wird ein Desaster für die Zukunft der deutschen Automobilbranche.

Vor allem aber wird daraus der Auftakt zu einer sechs Folgen umspannenden Familiensoap – und das ist vielleicht nicht der schlechteste Ansatz. Denn mit diesem Genre wird dem Zuschauer nicht nur ein allzu zukunftspessimistischer Erzählansatz erspart, der rasch Vorwürfe der vielbeschworenen deutschen Technopanik hervorrufen könnte. Vielmehr schärft diese Perspektive auch den Blick auf die Figuren, anstatt sie zu Sprachrohren im deutschen Technikdiskurs zu degradieren.

Dabei erkennt «Breaking Even» von Anfang an, dass eine altehrwürdige, großbürgerliche, weiße (wenn auch jüdische) Unternehmerfamilie in einer modernen deutschen Serie nicht mehr als alleiniger Mittelpunkt fungieren kann: So wird als eigentliche Hauptfigur die afrodeutsche Justiziarin Nora Shaheen (beeindruckend stark gespielt von Lorna Ishema) etabliert, die aus Pflichterfüllung in die Mühlen der wechselseitigen Familienintrigen gerät: Im Gegensatz zu ihrem eiskalten Vorgesetzten, dessen verachtenswerte Äußerungen durch seinen österreichischen Einschlag nur noch entsetzlicher klingen, hat sie sich Menschlichkeit bewahrt, fühlt ernsthaft mit den Hinterbliebenen der Unfalltoten mit, und ist doch Profi genug, um auch als Einzige am Konferenztisch den strategisch richtigen Vorschlag zu machen: Für die Firma wäre es besser, wenn ein Mensch den Unfall verursacht hätte, und nicht die eigentlich unfehlbare Maschine. Weil die junge Fahrerin zum Unfallzeitpunkt vollgepumpt mit Sedativa war, springt ihr Vater Benedikt (Justus von Dohnányi) als Konzernchef in die Bresche – der wiederum unter der Fuchtel seiner altertümlichen Mutter steht, die sich auch als graue Eminenz nicht den Kaviar vom Brot nehmen lässt.

Da fehlt noch der Revoluzzer im Bilde: Der tritt in Form von Benedikts missratenem Sohn auf und hat sich einer militanten Ökoaktivisten-Gruppe angeschlossen, die hin und wieder in Polizeigewahrsam landet, nachdem sie ihre Slogans auf die Kühltürme des örtlichen Kohlekraftwerks projiziert hat. Dass der Rädelsführer in ihrer Mitte dem Clan entstammt, der für die Truppe schlimmer als die Pest ist, weiß natürlich keiner von ihnen – erst recht nicht Neuzugang Jenny (Sinje Irslinger), die mit den Lindemanns sowieso noch eine Rechnung offen hat.

Von nun an dreht sich das Intrigenkarussell Folge um Folge, zumeist entlang von inhaltlich wenig überraschenden Entwicklungen. Die vorhersehbaren Handlungskonstruktionen mögen besonders im Angesicht der modernen Ausgangssituation (selbstfahrendes Auto baut Unfall) antiquiert wirken: Doch das gestelzte Getue dieser Automobil-Ewings, ihr liebloses Familienleben und ihre emotionale Leere – all das wirkt trotz der ständigen Überzeichnungen irgendwie vorstellbar und damit realistisch.

Viel deutlicher fällt auf, wo «Breaking Even» gerade im Vergleich mit anderen deutschen Serienproduktionen punkten kann: nämlich mit einer alltagsnahen, unaufgeregten Abbildung afrodeutscher Normalität und einer völligen Selbstverständlichkeit nicht-weißer Figuren. Dass dieser Umstand als besonders erwähnenswert gelten soll, wirft in diesem Punkt leider kein sonderlich gutes Bild auf die deutsche Fiction im Allgemeinen: Doch diese Serie könnte vielleicht auch deutschen Fernsehproduzenten einmal plastisch verdeutlichen, wie wichtig Diversität gerade auch in „alltäglichen“ Stoffen ist, wenn man ein modernes Format produzieren will.

ZDFneo zeigt sechs Folgen von «Breaking Even» mittwochs ab dem 14. Oktober um 20.15 Uhr, jeweils in Doppelfolgen.
13.10.2020 06:43 Uhr Kurz-URL: qmde.de/121909
Julian Miller

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Breaking Even

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