►   zur Desktop-Version   ►

BILD-Chef Julian Reichelt: 'Ein klassisches Interview mit der AfD wird es bei uns nicht geben'

Wirbel um ein rbb-Sommerinterview mit AfD-Politiker Kalbitz. Julian Reichelt, Chefredakteur der meistverkauften Tageszeitung in Deutschland, BILD, sprach mit uns über den Umgang mit extremen Parteien. Was er von der ARD fordert, wie er mit der AfD umgeht und was das für die Bundestagswahl 2021 bedeutet...

Zur Person: Julian Reichelt

Der Hamburger Julian Reichelt, geboren 1980, ist seit 2017 BILD-Chef. Zuvor leitete er drei Jahre lang Bild.de. Dem Blatt ist er seit 18 Jahren treu, volontierte dort und war unter anderem Kriegsberichterstatter.
Paul Ronzheimer twitterte kürzlich eine Kritik am rbb, wo AfD-Politiker Kalbitz zum Thema Corona befragt wurde. „Bei @rbb24 darf der rechtsextreme Andreas Kalbitz entspannt über Corona-Maßnahmen schwadronieren“ heißt es darin. Warum ist es Ihrer Ansicht nach falsch, Herrn Kalbitz zu befragen?
Ich erkläre Ihnen, wie wir bei BILD vorgehen. Ich habe mich entschieden, dass wir über alle nachrichtlichen Vorgänge bei der AfD berichten. Wir berichten auch, wenn sich aus unseren Anfragen nachrichtlich Relevantes ergibt. Aber wir werden der AfD und anderen Parteien, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden, keine Fläche und keine Reichweite bieten. Wir werden ihnen nicht ermöglichen, sich zu inszenieren. Ein klassisches Interview mit der AfD wird bei uns also nicht stattfinden.

Am Beispiel dieses rbb-Sommerinterviews, geführt vor malerischer Kulisse, sieht man sehr gut, warum es eine gute Entscheidung von BILD ist. In diesem rbb-Interview wird die Normalität inszeniert. Es ist aber der Charakter der Partei, der dem einfach nicht gerecht wird. Die AfD ist keine normale Partei, die am nicht-radikalen politischen Konsens beteiligt ist. Die Realität ist: Die AfD ist eine Partei, die den Holocaust, also das schlimmste Verbrechen, das je von deutschem Boden ausging, in vielen Teilen relativiert, ja mit Aussagen wie Hitler sei nur ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte, fast schon leugnet.

Es werden hier aber die Möglichkeiten, Vertreter von ganz rechts und ganz links nur so wenig wie möglich vorkommen zu lassen, nicht ausgeschöpft.
Julian Reichelt über Politiker-Auftritte in der ARD
Der rbb hat inzwischen ja auch Fehler eingeräumt, nicht aber die grundsätzliche Einladung bedauert. Damit dürften Sie also ebenfalls nicht d‘accord sein…
Es war ein malerisch inszeniertes Interview mit einem Vertreter einer Partei, die man besonders kritisch im Auge behalten muss. Wir haben es hier mit einem Radikalen zu tun, der den Anschein erweckt, am normalen politischen Diskurs teilnehmen zu wollen. Aber Rechtsradikale und Linksradikale sind kein Teil des normalen politischen Diskurses. Jetzt unterliegen öffentlich-rechtliche Medien immer einem speziellen Proporz, sie sind gesetzlich verpflichtet, offen für alle Meinungsrichtungen zu sein. Das ist somit sicher eine schwere Situation für Journalisten der ARD. Es werden hier aber die Möglichkeiten, Vertreter von ganz rechts und ganz links nur so wenig wie möglich vorkommen zu lassen, nicht ausgeschöpft.

Ein Beispiel sind doch die Talkshows. Ich habe das Gefühl, dass es da schon auch ein quotenorientiertes Denken gibt, um Krawallbrüder dieser Parteien einzuladen. Ich sehe oft auch AfD-Politiker zu Themen debattieren, zu denen sie nichts wirklich beizutragen haben. Sie sind für die Sendungsmacher aber das Salz in der Suppe.

Im Falle des rbb-Interviews sprechen wir vom AfD-Landeschef. Wo ziehen wir letztlich die Grenze? Was ist auch mit anderen Parteien, in denen es unter Umständen Politiker gibt, die ebenfalls auch zur AfD passen könnten…
Wir sprechen bei diesem Interview von einem Mann, der nachweislich Kontakt zu Neonazis hat. Wenn das der Fall ist, sollte er von Medien in besonderer Weise nicht berücksichtigt werden. Ansonsten gibt es da wohl keine klare Grenze. Aber es gibt einen amerikanischen Satz, der den Umgang mit Obszönem beschreibt: ‚You know it, when you see it‘. Das gilt auch in diesem Fall. Ich sehe es als wichtige Aufgabe von Journalisten an, dass sie hinsehen und diese Grenzen erkennen.

Wissen Sie, einer der größten Verdienste des früheren CSU-Chefs Franz Josef Strauß war die ganz klare Abgrenzung. Ich bin seiner Meinung: Es sollte in Deutschland keine Partei rechts der CSU oder CDU geben. Er sagte diesen Satz damals im Zusammenhang mit den Republikanern. Er hat es geschafft, dass es damals zwischen der CSU und den Republikanern keinen Kontakt, sondern eine Ächtung gab. Ich weiß auch, dass es Debatten darüber gibt, ob es solche Parteien nicht eher stärker macht, wenn sie geächtet werden. Mir ist aber immer die Option lieber, dass eine solche Ächtung auch etwas bringt.

Die Menschen in Deutschland haben die AfD zu großen Teilen aus (politischem) Frust gewählt und nicht aus einer echten politischen Überzeugung heraus. Die Gewählten werden nun aber freundlich in deutschen Talkshows beherbergt, während der wählende Bürger quasi verunglimpft wird. Diese Bürger werden alle als Neonazis abgestempelt.
Julian Reichelt
Wie hat sich Ihrem Empfinden nach das mediale Verhalten gegenüber der AfD in den vergangenen drei, vier Jahren verändert? Ist eine AfD in den Landtagen und im Bundestag in den Köpfen der Redakteure ein Stück weit „Alltag“ geworden?
Viel zu sehr. Dazu muss ich ja nur dieses rbb-Interview mit diesem freundlichen Herren anschauen. Was aber fast noch schlimmer ist: Die Menschen in Deutschland haben die AfD zu großen Teilen aus (politischem) Frust gewählt und nicht aus einer echten politischen Überzeugung heraus. Die Gewählten werden nun aber freundlich in deutschen Talkshows beherbergt, während der wählende Bürger quasi verunglimpft wird. Diese Bürger werden alle als Neonazis abgestempelt. Es ist aber genau anders herum. Auch der Begriff des „besorgten Bürgers“, der so gerne verwendet wird, ist nichts anderes als eine Überlegenheitsattitüde der vermeintlichen Elite dieses Landes. Ein Recht auf eine Sorge hat hier in Deutschland jeder. Und es ist eine Errungenschaft unserer Demokratie, dass wir alle Bürger sind.

Manche sorgen sich ein bisschen zu sehr.
Das mag sein. Die Aufgabe ist es nun aber, die Sorgen der Menschen, und die waren nicht nur während der Flüchtlingswelle 2015 berechtigt, zu benennen.

Wie werden Sie, Herr Reichelt, mit ihren Formaten bei BILD Live im Rahmen des Wahlkampfs 2021 mit der AfD umgehen? Sprechen Sie Einladungen an die Spitzenkandidaten aus?
Die AfD wird hier außen vor bleiben.

Wie fiel die Reaktion der AfD auf diese Entscheidung aus?
Es gab darauf keine Resonanz. Aber wenn es sie gegeben hätte, dann hätte ich mich auch nicht bewegt.

Abschließende kurze Frage, Herr Reichelt: Wen werden wir in gut einem Jahr im großen Kanzlerkandidaten-TV-Duell sehen?
Ich hoffe, dass wir zumindest eines dieser Duelle dann bei BILD Live übertragen werden. Mein Tipp ist das Duell Söder gegen Scholz oder gegen Hubertus Heil.

Danke für das Gespräch.
13.07.2020 09:37 Uhr Kurz-URL: qmde.de/119781
Manuel Weis

super
schade

11 %
89 %

Artikel teilen

◄   zurück zur Startseite   ◄
Es gibt 14 Kommentare zum Artikel
kauai
15.07.2020 14:45 Uhr 12
Ein Großteil der Wähler wählt die AFD doch aus Protest, da Sie sich einfach nicht mehr mit den etablierten Parteien identifizieren können oder diese durch die Protestwahl zum Umdenken bewegen wollen. Man muss sich doch nur die Wählerwanderungs-Zahlen anschauen, um zu sehen, dass viele vorher anders gewählt haben und nicht alle aus dem Lager der Nichtwähler oder Rechtsaußen kommen.



Ansonsten wird es von der AFD kein Konzept zum Thema Klima geben, da die dort keinen Handlungsbedarf sehen. Das Thema Rente sollte man aber wohl generell bei keiner Partei ansprechen denn da hat keine ein vernünftiges (langfristiges) Konzept. Zumindest kann ich es mir nur so erklären, dass man seit 25 Jahren nix anderes gemacht hat als das bisherige System mit mehr Geld zu versorgen (Erhöhung des Eintrittsalters, Ökosteuer als Einnahme für die Rentenkasse usw.) anstatt das Ganze Mal komplett auf den Prüfstand zu stellen.



Generell ist das Programm der AFD extrem neoliberal geprägt. Das weiß der geneigte AFD-Wähler nur leider nicht denn für viele von denen wäre es sicher kein Zuckerschlecken wenn die soziale Hängematte abgebaut werden würde.
Fabian
15.07.2020 15:26 Uhr 13

Ist das so? Oder sind das zum Teil auch viele Menschen, die lediglich keine Lust haben, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Wenn ich in Brandenburg in der Braunkohlemine arbeite und einen Diesel fahre, bin ich mit Sicherheit nicht für einen ÖPNV zu Ortschaften, die in zwei Wochen womöglich gar nicht mehr stehen. Ich AfD hat doch gerade Themen von Menschen, die lieber die Ewiggestrigen sind. Die meisten Wähler machen ihr Kreuz nicht bei der AfD, weil die ausländerfeindlich ist, sondern weil sie eine rechts-konservative Meinung vertritt, die von keiner Partei mehr abgedeckt wird. Ein Beispiel ist der Atomstrom: Inzwischen ist es relativ einfach möglich, Atommüll aufzubereiten und noch Jahrzehnte als Brennmaterial zu benutzen. Atomstrom ist nachweislich inzwischen der sauberste Strom. Statt dass die regierenden Parteien ständig mit diesem Thema auseinander setzen und Dinge hinterfragen, gibt es Denkverbote. Der gesamte Irrweg nach der Schröder-Regierung und der Fukushima-Katastrophe mit Laufzeitverlängerung und abrupten Stopp hat einfach unfassbar viel Geld gekostet. Die einzige Partei, die Atomstrom möchte, ist die AfD. Klar: Langfristig ist erneuerbare Energie günstiger, aber gleichzeitig Atomstrom aus dem Ausland einzukaufen, Braunkohle abzuschaffen (aber erstmal hochzufahren!) und Öl- und Gasstrom abzuschaffen, ist doch auch nicht das, was glaubwürdig ist.



Bei allem hin und her: Die AfD ist dennoch rechts und deshalb nicht wählbar.
kauai
16.07.2020 14:25 Uhr 14

Natürlich ist die AFD der erste "Anlaufpartner " für die Ewiggestrigen, da sie die Gloabliserung anprangert und suggeriert, dass es ein zurück gäbe. Dumm nur, dass bei einer neoliberalen Wirtschaftspolitik eher mehr Flexibilität des Einzelnen notwendig ist statt weniger.



Der Kohleausstieg liest sich auf den ersten Blick nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass alle die davon leben nun bis zu 18 Jahre Zeit haben, sich auf das Ende vorzubereiten. Schaut man hinter die Kulissen gibt es schon berechtigte Kritikpunkte: was bringt das Ganze umweltpolitisch wenn Polen und Tschechien die Kohleverstromung bis 2040 noch steigern? Und was bringen die zugesagten Geldmittel für die Kohleregionen wenn da Jobs geschaffen werden, für die sich die, deren Jobs nun bedroht sind, selbst mit gutem Willen und viel Flexibilität nicht qualifizieren können.



Da rennst Du bei mir offene Türen ein! Letztlich hat die Union eine gehörige Portion Mit-Schuld, dass es die AFD in der Form gibt. Viele Erzkonservative fühlen sich von der Union nicht mehr vertreten, da sie in einigen Themen in die Mitte gedriftet ist.

Insgesamt wurden in den letzten Jahren in einigen Themenbereichen eklatante Fehler durch die Regierung begangen und das war der Nährboden für den Aufstieg der AFD. Die ganze Energiewende ist z.B. in der Umsetzung eine einzige Katastrophe! Warum Deutschland z.b. ausschließlich auf den E-Motor setzt anstatt parallel auch Waserstoff in Betracht zu ziehen, ist mir völlig schleierhaft. Von den geplanten Stromtrassen will ich gar nicht erst anfangen. Das Thema Atomstrom wurde ja von dir angesprochen. Die sauberste Energie wenn man eine Lösung für den Atommüll findet. Also weshalb nicht nach einer Lösung dafür suchen statt den ganzen Zweig zu verteufeln zumal das Ganze auch wieder kaum Sinn ergibt so lange Frankreich, Belgien oder Tschechien neue AKW im Grenzgebiet errichten.
Alle 14 Kommentare im Forum lesen
Werbung

Qtalk-Forum » zur Desktop-Version

Impressum  |  Datenschutz und Nutzungshinweis  |  Cookie-Einstellungen  |  Newsletter