Die Geschichten am Fürstenhof werden Ende September 15 Jahre alt. Eine Serie zwischen der Variation des Immergleichen, neuen Versuchen und fehlendem Gift. Wo steht die Serie dieser Tage?
Ende September wird die werktägliche Serie «Sturm der Liebe» 15 Jahre alt. Dass es mal so weit kommt, hätte im Hochsommer 2005, als die ersten 100 Episoden mit Henriette Richter-Röhl am „Fürstenhof“, dem zentralen Hotel in der Handlung, bestellt wurden, wohl niemand gedacht. Inzwischen läuft die 16. Staffel der Serie, eine 17. ist in Vorbereitung. Auch wenn die Quoten inzwischen nicht mehr an der 30-Prozent-Marke kratzen wie früher, die Werte sind weiterhin gut. Auch die Tatsache, dass die Geschichten in der ARD-Mediathek zu den meist aufgerufenen zählen, spricht dafür, dass in der Nähe von München noch eine ganze Zeit lang produziert wird.
«Sturm der Liebe», das in zig europäische Länder verkauft wird, gilt als romantischste der Daily im deutschen Fernsehen – und enthält so gut immer eine Happy-End-Garantie. Wegen des großen Erfolges hat sich die Serie längst von allzu starren Telenovela-Regeln gelöst und ist quasi eine tägliche Familienserie geworden. Doch gerade in Sachen Feinjustierung ist es immer wieder eine Gratwanderung, wie weit sich die Autoren wirklich von den nach strikten Prinzipien aufgebauten, oft lateinamerikanischen Serien entfernen können. Die aktuelle Staffel zeigt recht gut, dass Grundlegendes sehr wichtig ist. Momentan trägt nämlich mehr der Gesamtcast die Serie. Figuren wie Christoph Saalfeld (seit 2017 gespielt von Dieter Bach), der schon seit 13 Jahren am Set drehende Joachim Lätsch (spielt Koch André) oder natürlich die Familie Sonnbichler sind quasi das Grundsetting. Die sind alle zusammen ein echtes Pfund und ermöglichen es der Serie, auch mal ein schwaches Haupt-Paar zu haben – so, wie es gerade in Staffel 16 der Fall ist. Gefühlt wird die Liebesgeschichte zwischen Obstbäuerin Franzi und dem lange verschollenen Saalfeld-Sohn Tim deutlich weniger prominent erzählt als manche Vorgängerstorys.
Das mag daran liegen, dass die Geschichte schon strukturell falsch geplant ist. Zur Erklärung: Das Problem mag weniger an Franzi liegen, die als Mädchen vom Land beschrieben wird, als naturverbunden und bodenständig. Vielmehr haben die Autoren einst bei der Kreation von Tim eine Rolle zu viel geschlagen. Tim ist Findelkind, wuchs in Thailand auf. Lange wusste er nicht, dass er in Bayern einen Zwillingsbruder hat. Jener Zwillingsbruder ist Boris Saalfeld. Sowohl Tim als auch Boris werden in der Serie von Fanliebling Florian Frowein gespielt. Frowein ist seit 2017 Teil der Serie, verließ Bichlheim aber 2019, um seine neue Rolle anzunehmen. Frowein hat diesen Wechsel hervorragend getragen. Es sind ganz feine Nuancen, die in seinem Spiel die Unterschiede der beiden Zwillinge herausstellen. Boris ist weicher, herzlicher, Tim aufgrund seiner Vergangenheit vorsichtiger, einfacher, aber auch härter. In dieser Geschichte liegen zwei Probleme: Zum einen gibt es kein wirkliches Hindernis für die Liebe zwischen Franzi und Tim. Tim hat zwar noch seine ehemalige Liebschaft (mehr dazu später), aber im Grunde genommen stellt diese keine Hürde dar. Zum anderen haben sich die Autoren vollkommen vergaloppiert, als man entschloss, dass die beiden Zwillinge innerhalb dieser Staffel ihre Rolle tauschen sollen. Das muss man sich mal vorstellen: Ex-Boris-Darsteller Florian Frowein spielt nun also Tim. Und jener Tim musste sich in dieser Staffel über Wochen als Boris ausgeben. Der Schauspieler mimte also als neue Figur seine alte Figur. Das ist für eine tägliche Nachmittagsserie schon reichlich kompliziert und unnötig verkopft geschrieben. Vor allem bringt es die entscheidende Handlung, die Liebesgeschichte, nicht wirklich weiter.
Die strukturellen Probleme der Serie gehen aber noch weiter. Gemäß des Staffelplans für Runde 16 sollte mit Nadja Holler (gespielt von Anna Lena Claas, einst «Unter uns») ein neues Biest eingeführt werden. Die Figur ist weniger geleitet von Emotionen, sondern mehr von der Gier, Teil der reichen Fürstenhof-Dynastie zu sein. Doch die Figur passte von vorne bis hinten nicht. Es wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben, ob es in der Tat von Beginn an geplant war, Nadja bereits nach knapp 90 Folgen den Serientod sterben zu lassen. «Sturm der Liebe» fehlt somit ganz enorm ein neues Serienbiest. Es sind kommende im Anmarsch, auch Natalie Alison wird fünf Jahre nach ihrem Ausstieg ihre „böse“ Figur Rosalie wieder aufnehmen. An die ganz großen Biester der Serie kam aber schon lange niemand heran. Auf einem sehr guten Weg war die von Jenny Löffler herausragend gespielte Annabelle Sullivan, die von den Autoren dann eine gute Ecke zu früh aus der Serie geschrieben wurde. Barbara von Heidenberg, die im Laufe der Serie sogar zwei Alias-Namen bekam, trieb – mit Pausen – insgesamt sieben Jahre in Unwesen in Bichlheim. Sie gilt nun offiziell als tot. Keine andere Figur reichte ihr in diesem Punkt das Wasser: Nicht die von Ex-«ViB»-Antagonistin Gabrielle Scharnitzky dargestellte Cosima Saalfeld und letztlich auch nicht die ähnlich durchtriebene Beatrice Stahl. Barbara bleibt den Anhängern der Serie nicht zuletzt so prägnant im Sinn, weil sie eben in derart vielen Folgen mitwirkte. Laut Wikipedia-Rechnung waren es mehr als 820 Stück. Inzwischen tun sich Soap-Autoren generell schwer damit, Figuren zu entwerfen, die in sich das personifizierte Böse tragen. En Vogue sind eher die Charaktere, die zumindest auch einige Grautöne beinhalten. Unbestritten dürfte aber sein, dass die wirklich fiesen Fieslinge – wir alle denken an J.R. – immer noch am stärksten im Gedächtnis bleiben. Wo ist also die neue Barbara von Heidenberg am Fürstenhof?
In den kommenden Monaten, wenn die Grundzüge für Staffel 17 festgelegt werden, sind außerdem weitere wesentliche Weichen zu stellen. Wie soll die Struktur des Casts künftig aussehen? Natürlich sind Figuren wie die der Sonnbichlers nicht aus der Serie wegzudenkenden und auch Robert Saalfeld dürfte gesetzt sein. Welche Bereiche aber gehören noch gestärkt? Muss sich «Sturm der Liebe» bei den etwas älteren Figuren stärker aufstellen? Was passiert zum Beispiel mit Dirk Galuba, der seit Folge eins den Hotelbesitzer Werner Saalfeld spielt? Der Darsteller wird in wenigen Wochen 80 Jahre alt, ist jetzt schon deutlich weniger als früher in der Serie präsent. Ein Stück weit ist der von Dieter Bach gespielte Christoph an Werners Stelle getreten. Ein Umbruch, der übrigens hervorragend funktionierte. Noch vor fünf Jahren wohl hätte man gedacht, die Serie würde ohne Werner und seine mittlerweile schon länger ausgestiegene Serien-Gattin Charlotte gar nicht funktionieren.
Dass sich am Fürstenhof auch in der Tat etwas Gewichtiges ändern wird, hatten die Macher schon im Januar angedeutet. Damals wurde ein vielbeachteter Jahres-Trailer veröffentlicht – dieser hatte unter anderem auch den Identitätstausch zwischen Boris und Tim weit im Vorfeld angekündigt. Für die meisten Debatten aber sorgten Bilder eines abbrennenden Fürstenhofs und einem in „seinem Weinkeller“ offenbar Abschied nehmenden Werner Saalfeld. Möglich, dass das Feuer metaphorisch für das Ende des jetzigen Fürstenhofs und für den Anbruch einer neuen Ära steht. Möglich aber auch, dass die Macher der Serie dem Format 15 Jahre nach dem Start ein echtes Facelift verpassen wollen, das Hotel also einmal abbrennen und wieder aufbauen lassen. Ein solches Feuer zumindest wäre eine würdige Story zur Geburtstagsfolge – es wäre aber auch eines mit Signalwirkung. Wohin steuert die Serie dann im Herbst?
Wie schaffen die Macher den Spagat zwischen fortlaufender Modernisierung und der weiterhin nötigen Variation des Immergleichen? Schließlich muss es auch künftig Zank um Hotelanteile geben, es muss geliebt, gestritten, gelacht und intrigiert werden. Ein spannendes Szenario, das «Rote Rosen» regelmäßiger nutzt als «Sturm der Liebe», liegt im Zurückholen vergangener Figuren. Der Sturm probierte das zuletzt mit seinem Hauptpaar der sechsten Staffel (2010/2011) – Eva und Robert. Doch in Staffel 16 scheiterte die Ehe der beiden letztlich an einem Seitensprung, Eva verließ die Serie samt Kind in diesem Frühjahr, Robert ist also erneut alleinstehend. Dass man die Geschichte einstiger Figuren durchaus noch weitererzählen kann, zeigen derzeit Pauline und Leonard, das Hauptpaar der neunten Staffel, das in den Wochen nach der Coronapause für einen längeren Gastauftritt zurückkehrte. Theoretisch wäre das auch mit den Stahls, also Niklas und Julia (aus Staffel zehn) denkbar.
Womit man schon beim letzten Punkt wäre, den es bei der Konzeption der Serie zu beachten gilt. In der Regel sind die wichtigsten Geschichten der Serie zumeist an zwei Familien geknüpft. Natürlich die Saalfelds (hier gibt es quasi die Ur-Saalfelds und die „neuen Saalfelds“ rund um Christoph) und um die Sonnbichlers. Zwar wurden in den vergangenen Jahren immer wieder neue Familien-Dynastien erzählt (Zastrow oder Stahl), jedoch starben diese innerhalb der Serie immer nach ein paar Jahren aus. Eine dritte große Familie zu etablieren, würde auch für etwas Abwechslung sorgen und den Saalfeld-Stammbaum beim Finden von immer neuen Figuren nicht allzu sehr überstrapazieren. Unter dem Strich aber sind es zur Zeit nicht die Schwächen, die ins Gewicht fallen. Abseits der paar Nuancen, die nicht stimmen, überwiegt das starke Gesamtbild der Serie – und genau das macht die 15.10-Uhr-Produktion des Ersten in diesen Tagen vielleicht sogar zur besten deutschen Daily. Wer hätte gedacht, dass die Produktion aus der Nähe von München dem Urgestein «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» diesen Rang mal würde streitig machen können.
20.07.2020 13:27 Uhr
Kurz-URL: qmde.de/119612
Manuel Weis
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel