Zwei Männer haben einige der unvergesslichsten Melodien der Disney-Geschichte geschaffen. 2009 widmete der Konzern den Sherman-Brüdern eine Dokumentation – dank Disney+ ist sie endlich auch in Deutschland verfügbar.
Disney+ hat so seine Makel – von
völlig chaotischen Episodenreihenfolgen bei einigen Serien über fehlende Synchronspuren bis hin zu Bildzensur bei manchen Filmen. Aber der Disney-Streamingdienst bietet auch Möglichkeiten. Auf Disney+ veröffentlicht der Unterhaltungskonzern neue Produktionen, die zuvor schwer vorstellbar waren. Wo sonst würde man eine rund sechsstündige Dokumentation über die Disney-Themenparks veröffentlichen oder eine Dokuserie über Filmrequisiten? Selbst auf dem Disney Channel würden sich diese Formate angesichts der seit Jahren bestehenden Ausrichtung des Kanals deplatziert anfühlen.
Darüber hinaus haben hiesige Filmfans es Disney+ zu verdanken, das bislang hierzulande unveröffentlichte Disney-Projekte endlich offiziell verfügbar gemacht werden. Wie
die Dokumentation «Waking Sleeping Beauty», in der Produzent Don Hahn nacherzählt, wie sich die Disney-Trickstudios aus einem Tief manövriert haben – und dabei vor lauter Hybris ihr nächstes Tief vorbereiteten. Mit einer zwischenmenschlichen, dramatischen Schärfe versehen, aber genauso informativ und rührend gehalten, ist auch eine andere Disney-über-Disney-Dokumentation, die erst durch Disney+ nach Deutschland gelangt ist: «The Boys: The Sherman Brothers' Story».
Die im Titel besagten "Jungs" sind Richard M. Sherman und Robert B. Sherman, die Songschreiber hinter «Mary Poppins», «Das Dschungelbuch», «Tschitti Tschitti Bäng Bäng», «Die vielen Abenteuer von Winnie Puuh», «Aristocats» und «Snoopy kommt nach Hause».
Filmfacts «The Boys: The Sherman Brothers' Story»
- Regie: Gregory V. Sherman, Jeffrey C. Sherman
- Produktion: Gregory V. Sherman, Jeffrey C. Sherman, Stuart Cornfeld, Ben Stiller
- Kamera: Richard Numeroff
- Schnitt: Rich Evirs
- Laufzeit: 101 Minuten
In «The Boys: The Sherman Brothers' Story» wird die Karriere der Gebrüder zusammengefasst – und zwar mittels viel Archivmaterial, neuen Interviews mit Bewunderern und Wegbegleitern der Brüder, wie etwa Julie Andrews, Dick Van Dyke, John Williams, Ben Stiller und John Landis, sowie natürlich durch Interviews mit Richard und Robert. Diese Interviews werden allesamt getrennt durchgeführt – was uns zum zentralen Element der Doku führt: Obwohl Richard und Robert Sherman eine jahrzehntelange, eng verknüpfte Karriere auf die Beine gestellt haben, kam es schon sehr früh zum privaten Bruch zwischen ihnen.
So kam es auch, dass sich die Regisseure des Films, die Cousins Gregory V. Sherman und Jeffrey C. Sherman, nach Jahrzehnten der Funkstille erst als Erwachsene auf einem Event zu Ehren ihrer Väter begegnet sind. Das war die Initialzündung zu diesem Film: Die Cousins wollten diesem Bruch nachgehen. Auch wenn «The Boys» keine klare Antwort parat hält, sondern eher das bittersüße Porträt zweier Männer zeichnet, die sich abseits der Arbeit einfach nichts zu sagen hatten und so auseinander gedriftet sind: Der Eine verschwenderisch, der Andere geizig. Der Eine exzentrisch, fröhlich und voller Energie, aber auch sehr laut und hysterisch, sobald er wütend wird, der Andere finster, ernst, ruhig – und einer der ersten Amerikaner, die gesehen haben, was die Nazis in Konzentrationslagern angestellt haben.
«The Boys: The Sherman Brothers' Story» skizziert, wie die Brüder nach anfänglichen Karriereschwierigkeiten zusammenfanden und zu Walt Disneys Lieblingskomponisten wurden – was ihnen den Gig für den Filmklassiker «Mary Poppins» verschaffte, aber nach Walt Disneys Tod auch Neid und Animositäten im Disney-Studio einbrachte. Und der Film zeigt vorsichtige (und vergebliche) Versöhnungsversuche, angetrieben von den filmemachenden Cousins.
Fazit: Eine berührende Dokumentation über zwei Brüder, die jahrzehntelang zusammen gearbeitet haben, sich aber privat kaum leiden konnten.
«The Boys: The Sherman Brothers' Story» ist auf Disney+ abrufbar.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel