Ein Studio, das im Krieg seinen Filmen eine neue Ausrichtung geben will. Ein sturer Regisseur, der sich nicht beirren lässt.
Filmfacts «Curtiz»
- Regie: Tamas Yvan Topolanszky
- Drehbuch: Tamas Yvan Topolanszky, Zsuzsanna Bak, Ward Parry
- Produktion: Barnabás Hutlassa, Claudia Sumeghy, Tamas Yvan Topolanszky
- Cast: Ferenc Lengyel, Evelin Dobos, Declan Hannigan, Scott Alexander Young, Jozsef Gyabronka, Nickolett Barabas, Yan Feldman, Rafael Feldman, Andrew Hefler
- Musik: Gábor Subicz
- Kamera: Zoltán Dévényi
- Schnitt: Eszter Bodoky
- Laufzeit: 98 Minuten
Mit «Ed Wood» hat bereits einer der legendär-schlechtesten Regisseure aller Zeiten ein filmisches Denkmal in Form eines schwarz-weißen Biopics spendiert bekommen. Tim Burtons tragikomische Regiearbeit mit Johnny Depp in der titelgebenden Rolle des Regisseurs voller Passion und wenig technischem Verstand, zeigt den Weg, den Ed Wood hinlegte, um sein berühmtestes Machwerk abzuliefern: «Plan 9 aus dem Weltall». Jahrzehnte später sorgt der Filmschaffende Tamás Yvan Topolánszky für so etwas wie filmische, ausgleichende Gerechtigkeit: Sein (vornehmlich) in Schwarz und Weiß gehaltenes Drama dient als Denkmal für Regisseur Michael Curtiz und die tückischen Dreharbeiten eines Filmes, der einen riesigen Eindruck in der cineastischen Geschichte hinterlassen sollte: «Casablanca».
Die von wahren, belegten Ereignissen inspirierte, wenngleich zudem dramatisierte Geschichte von «Curtiz» beginnt mit einer eifrigen Debatte im Büro von Filmmogul Jack Warner (Andrew Hefler): Er findet, dass Filme ihren Beitrag zum Zweiten Weltkrieg leisten müssen und voller Patriotismus zu stecken hätten. Er fordert eine simple, klare, deutliche Moral und eine aufmunternde Grundstimmung.
Doch beim ungarischen Filmregisseur Michael Curtiz (Ferenc Lengyel) stößt die Warner-Chefetage mit ihren politischen Interventionen auf Gegenwehr. Er will die eh schon unruhige Produktion (deren Drehbuch noch immer nicht vollendet ist) nicht auch noch durch den Anspruch mindernde Einmischungen entgleisen lassen. Zumal er selbst gerade große Probleme hat – er versucht nämlich, sein gestörtes Verhältnis zu seiner entfremdeten Tochter Kitty (Evelin Dobos) zu kitten und seine Schwester aus Ungarn zu holen, wo sie als Jüdin in großer Angst lebt …
Tamás Yvan Topolánszky verneigt sich in «Curtiz» (bei aller Fiktionalisierung) akribisch und passioniert vor «Casablanca». Dabei vermeidet er es aber, aus seinem Film eine Art nachgespieltes Making-of zu machen, das den ganz ikonischen Szenen hinterherhechelt und sich um die Leinwandlegenden Humphrey Bogart sowie Ingrid Bergman dreht. Stattdessen bindet er immer wieder (manchmal etwas ungelenk, manchmal dagegen nahtlos) in seinen zentralen Plot rund um Michael Curtiz' Bemühungen, sich selbst zu beweisen, sowohl Künstler als auch liebender Familienmensch zu sein, einige denkwürdige Anekdoten aus der steinigen «Casablanca»-Entstehungsgeschichte ein:
So gab es ein langes, moralisiertes Tauziehen um das Liebesdreieck zwischen den zentralen Figuren. Es wurde viel über die Darstellung der Nazis in «Casablanca» debattiert, es gab Differenzen am Set aufgrund des Umgangs (unter anderem Curtiz') mit den Nazi-Darstellern, das Schicksal der Figur Victor Laszlo war lange unklar, und das Ende von «Casablanca» sowieso. Daher wurde ja auch entgegen des Filmalltags chronologisch gedreht. Topolánszky entwirft somit eine Gegenthese zu einer Behauptung, der sich viele Filmhistoriker und -kritiker (darunter auch Kritikerpapst Roger Ebert) lange Zeit verschrieben haben: Curtiz wurde lange als Filmhandwerker erachtet, der wenig zur inhaltlichen Entwicklung des Films beigetragen hat und bloß seine Materialien umsetzte, statt als Regisseur herauszustechen.
Topolánszky verneint dies in seinem Biopic und zeichnet den Regisseur als eine wichtige kreative Kraft in der Verwirklichung von «Casablanca». Er stellt Curtiz dennoch auf kein Podest, um ihn als Genie zu zeichnen, das sich gegen alles und jeden durchsetzen musste. Er skizziert ihn in manchen Szenen auch als Ursprung eines Problems, etwa, wenn er Statisten unnötig lange ausschimpft, statt sich respektvoll, aber direkt und klar auszudrücken. Darüber hinaus macht Topolánszky unmissverständlich und verurteilend klar, dass Curtiz seine Machtposition vor allem im Umgang mit jungen, unerfahrenen Schauspielerinnen widerlich ausnutze. Und die Film-Version des Regisseurs trägt selber und ganz allein die Schuld am eiskalten Verhältnis zu seiner Tochter.
Topolánszky formt Curtiz somit zu einer sehr komplexen Hauptfigur voller schwer zu lösender Widersprüche. Ferenc Lengyel spielt das Regie-Schwergewicht mit einer stoischen Grundausstrahlung, gleichwohl lässt Lengyel mit Blicken und kleinsten Bewegungen der Mundwinkel immer wieder deutlich werden, wenn Curtiz
wirklich wütend ist, statt nur überheblich zu schimpfen, oder wenn sein Erwecken des Anscheins, ein Herz zu haben, in wirkliches Berührtsein gleitet. Evelin Dobos überzeugt ebenso sehr als Curtiz' eingeschüchterte, gekränkte Tochter, in der lange ein Funken Hoffnung glüht, dass ihr Vater sich mehr um sie sorgen wird. Yan Feldman und Rafael Feldman sind wiederum punktgenaues Comic Relief als schnippische Autoren-Zwillinge.
Doch die wahre, tragende Säule von «Curtiz» ist eh nicht das Schauspiel, und auch nicht das zwischendurch doch etwas zu aufgesetzt mit Pathos versehene Storytelling, sondern unmissverständlich die Ästhetik.
Denn selbst wenn der das Geschehen untermalende, atmosphärische Barjazz gelegentlich zu penetrant wird, ist die Bildästhetik eine wahre Wucht: Topolánszky verneigt sich zusammen mit Kameramann Zoltán Dévényi mit wahrem Herzblut vor der Ästhetik der Goldenen Ära des Hollywood-Studiosystems und erschaffen imposante, teils expressionistische Schwar-Weiß-Bildwelten, und fügen Referenzen an «Casablanca»-Kamerafahrten nahtlos in eine eigene, nostalgische Bildsprache.
Fazit: «Curtiz» hinterfragt die Praktiken des alten Hollywoods, verneigt sich aber glühend vor seiner Ästhetik – und setzt den Köpfen hinter einem unvergleichlichen Meisterwerk ein filmisches Denkmal.
«Curtiz» ist auf Netflix abrufbar.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
22.05.2020 17:58 Uhr 1
Was hat der Knabe nicht für Unmengen an guten bis tollen Filmen gedreht: "Wir sind keine Engel", "Die Abenter des Robin Hood", "Kid Galahad", "Angels with Dirty Faces", "Captain Blood", "Solange ein Herz schlägt", "Yankee Doodle Dandy", "Der Herr der sieben Meere", "White Christmas", "Der Seewolf", "Mord im Nachtclub", "Der Verrat des Surat Khan", "Vater dirigiert", "20.000 Jahre in Sing Sing", "Der wandelnde Leichnam" ... Curtiz müßte eigentlich noch heute viel bekannter sein!