Mit «Pocher - gefährlich ehrlich!» haben Oliver und Amira Pocher nun ihre erste gemeinsame Late-Night-Show bei RTL. Zum Auftakt positionierten sie sich klar gegen Verschwörungstheorien von Attila Hildmann und Co. und bewiesen auch sonst ein hohes Maß an Aktualität. Unsere TV-Kritik zu einem insgesamt gelungenen Neustart, dem noch der Feinschliff fehlt…
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Es wird dringend Zeit für eine gefährlich ehrliche Sendung bei RTL. Und es wird Zeit für eine Sendung, die sich alles traut, kein Blatt vor den Mund nimmt und genau hinschaut, was so alles auf den Kanälen passiert. Bei Instagram, TikTok, Facebook. Achtung, Achtung, ich habe Zeit und ich gucke sogar noch das gute alte Fernsehen.
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Oliver Pocher über seine neue Late-Night-Sendung bei RTL
Oliver Pocher teilt gerne aus und nimmt dabei bekanntlich kein Blatt vor den Mund. Nachdem er im vergangenen Sommer
mit klaren Statements gegen Äußerungen der AfD für Aufsehen sorgte, beschäftigte er sich zu Beginn des Jahres ausführlich mit Schlagersänger Michael Wendler. Der Beef zwischen den beiden führte nicht nur zu einem massiven Follower-Zustrom für den Comedian, sondern sogar zu einer einmaligen RTL-Eventshow im März. Während seiner Corona-Quarantäne begann Pocher schließlich damit, Influencer und deren fragwürdigen Produkte genauer unter die Lupe zu nehmen. Und auch wenn das Pocher längst nicht nur neue Freunde einbrachte, stieg seine Popularität im Internet weiter an. Seit Freitagabend folgen Pocher bei Instagram mehr als zwei Millionen Menschen.
Seinem Haussender RTL ist das alles selbstverständlich nicht verborgen geblieben. Relativ spontan gaben die Kölner vor einigen Tagen bekannt, Pocher eine eigene Late-Night-Sendung anzuvertrauen. Nach «Schmidt & Pocher» im Ersten und der «Oliver Pocher Show» in Sat.1 ist
«Pocher - gefährlich ehrlich!» bereits die dritte spätabendliche Comedy in der Karriere des 42-Jährigen, von der RTL zunächst vier Folgen präsentieren möchte. Schwerpunktmäßig soll es in der Show um Oliver Pochers Inhalte bei Instagram gehen, wobei ihm seine Frau Amira als Co-Moderatorin und Sidekick assistiert.
Besonders löblich ist, dass sich die Premiere der neuen Pocher-Show als ausgesprochen aktuell erweist und relevanter daherkommt als gedacht. Denn statt Influencer wie Johannes Haller oder Jörn Schlönvoigt ein weiteres Mal vorzuführen, knöpfte sich Pocher Verschwörungstheoretiker wie Attila Hildmann vor. Pocher zeigt in seiner RTL-Show Ausschnitte aus der jüngsten «Spiegel TV»-Folge und macht sich dabei über jene kruden Theorien lustig, die dieser Tage erschreckend viele Menschen als realistisch betrachten. Auch die Beleidigungen, die er von Hildmann erhalten hat, liest er noch einmal öffentlich vor.
Es hätte viele Wege gegeben, um die 35-minütige Sendung bei RTL mit seichteren Inhalten zu füllen, mit denen sich Sender und Pochers weniger angreifbar gemacht hätten. Insofern ist es ohne Frage mutig, dass sich Pocher mit Verschwörungstheoretikern im Fernsehen anlegt. Das dürfte längst nicht jedem gefallen, weswegen sehr geteilte Kritiken zur Auftaktfolge von «Pocher - gefährlich ehrlich!» vorprogrammiert sein werden. Pocher polarisierte damals und tut es auch weiterhin -
«Darf er das?» mit Chris Tall, das bei RTL ebenfalls am späten Freitag beheimatet ist, kommt im Vergleich zu seiner neuen Show jedenfalls deutlich zahmer daher.
Auch die Stärken, die eine Live-Sendung naturgemäß mit sich bringt, wissen die Pochers durchaus auszuspielen. So schafft es unter anderem das jüngst von
Bild.de verbreitete Video in die Premiere der Pocher-Sendung, das eine Auseinandersetzung zwischen einem Kamerateam des Boulevardblatts und dem Rapper Sido dokumentiert. Gesorgt ist unterdessen auch für eine kleine Portion Retro-Feeling: Die Anfang der 2000er-Jahre produzierte Sendung «Rent a Pocher» ist als Rubrik in Pochers neuer RTL-Show zurück. Während sich der erste Teil des Einspielers, der Pocher beim Roten Kreuz begleitet, als mäßig unterhaltsam erweist, lädt das Gespräch mit den über 90-jährigen Damen am Ende durchaus zum Schmunzeln ein. Diese sagen, sie hätten Krieg und Vertreibung überstanden, "aber der Virus ist das Schlimmste". Wirklich das Schlimmste? Oliver Pocher kann sich an dieser Stelle einen Verweis auf den Wendler nicht verkneifen.
Und dennoch: Trotz vieler löblicher Aspekte fehlt «Pocher - gefährlich ehrlich!» insgesamt noch der Feinschliff. Die Dialoge zwischen Amira und Oliver Pocher wirken in der Auftaktfolge stellenweise zu gekünstelt, worunter einige Witze zu leiden haben. Das ist besonders schade, weil Oliver Pochers Stärke ja gerade im Spontanen liegt. Keine Frage: Als TV-Anfängerin, die rund zwei Jahrzehnte weniger TV-Erfahrung als ihr Mann aufweist, hat sich Amira Pocher neben Oliver ziemlich gut geschlagen. Und dennoch würde es der Sendung perspektivisch helfen, wenn die Redaktion demnächst Gäste einlädt und somit noch mehr Interaktion zwischen den Akteuren im Studio ermöglicht.
Zu klamaukig sind zudem die ersten Minuten der Sendung geraten, in denen Günther Jauch die Zuschauer zu einer fiktiven Ausgabe seines RTL-Jahresrückblicks willkommen heißt. In diesem kündigt er Oliver Pocher als den „mit Abstand attraktivste(n) und erfolgreichste(n) RTL-Künstler aller Zeiten“ an - unterm Strich ein bisschen zu viel der Beweihräucherung. Zu konstruiert und unlustig wirkt zudem die wage angekündigte Verlosung von Pochers Blut (auch eine Anspielung auf die Verschwörungstheorien) in Bezug auf seine zwei Millionen Instagram-Abonnenten - darauf hätte man wohl relativ schmerzfrei verzichten können.
Die erste Folge von «Pocher - gefährlich ehrlich»...
Was der Sendung ebenfalls fehlt, ist Publikum vor Ort. Unter normalen Umständen würde dies Gastgeber und Sidekick motivieren und anfeuern und zudem für Lacher und Applause sorgen, die nun komplett fehlen. Die Pochers werden vor dem Hintergrund der andauernden Corona-Pandemie auch in den kommenden Wochen auf Publikum verzichten müssen, was es definitiv nicht leichter machen wird. Umso lobenswerter ist aber, dass sie sich gemeinsam mit RTL auf das Experiment eingelassen haben und dieses sogar live umsetzen.
Ob «Pocher - gefährlich ehrlich» der inhaltliche Feinschliff gelingt, werden erst die kommenden Wochen zeigen. So gut wie gesetzt dürfte für den Auftakt der neuen Show hingegen eine gute Quote sein - «Let’s Dance» im Vorprogramm sei Dank. Schon fraglicher ist, wie viel Oliver Pocher danach reißen kann. Ab nächster Woche nämlich werden die ausstehenden drei Folgen seiner Show am Donnerstagabend gegen 23 Uhr laufen - in einem Programmumfeld bei RTL, in dem Serien-Wiederholungen zuletzt allenfalls mäßige Quoten holten. Nächste Woche bekommt man es zudem mit dem Finale von «Germany's Next Topmodel» bei ProSieben in direkter Konkurrenz zu tun. Immerhin: Oliver Pocher ist das bewusst und er hat offensichtlich auch schon eine Idee, wie man dem entgegnen könnte. Zu wenige Abonnenten bei Instagram, die als potenzieller Zuschauer seiner TV-Show wohl besonders infrage kommen, hat Pocher jedenfalls nicht.
Es gibt 3 Kommentare zum Artikel
16.05.2020 13:37 Uhr 1
Und insgesamt kommt mir das alles zu gut weg. Ich finde es weder mutig sich gegen die AfD zu stellen, noch gegen die Verschwörungsgläubiger. Hat ja jetzt eigentlich auch schon jeder gemacht - was natürlich nicht heißen soll, dass man dazu keine Haltung haben und die Klappe halten sollte, es ist aber eben nichts krass außergewöhnlich mutiges, sondern einfach nur gesunder Menschenverstand.
Und was ich mir auch gewünscht hätte, wäre eine kritischere Sicht bzgl. des Insta-Hypes. Gerade nachdem in dieser Woche Joko und Klaas ihre guten 15 Minuten hatten und Pocher ziemlich schwach performt, aber dennoch dafür abgefeiert wird Frauen zu diffamieren und bloßzustellen. Oder halt auch allgemein billo nach unten zu treten. Walulis und Antilopengang lassen grüßen.
16.05.2020 17:03 Uhr 2
Zur neuen Show. Also ich war enttäuscht. ich fand die erste Ausgabe schwach. Vorallem inhaltlich, humoristisch und strukturell offenbarte die Ausgabe sehr viele Schwächen. Und das man da kleine kritische Anmerkungen bzgl. der Verschwörungstheoretiker, die angebracht sind zugleich aber aufgrund der aktuellen Entwicklung, sich förmlich aufdrängen, zu einer besonders kreativen, tiefgründigen sowie künstlerischen Meisterleistung hochjubelt, kann ich nicht nachvollziehen.
Pocher selbst wirkte auch angespannt und nervös. Was doch für ihn etwas ungewöhnlich scheint.
Ich fand die erste Ausgabe von Pocher Gefährlich ehrlich sehr schwach.
17.05.2020 08:22 Uhr 3
Pocher mag auf manche Weise lustig sein, aber seine Insta-Stories über andere teils scheinheiligen Influencer sind auch nur eher Kalkofen light. Pocher ist quasi der Klassenclown der RTL-Shows, wird aber eigentlich von der Moderations-Konkurrenz nicht wirklich ernst genommen.
Jetzt holt RTL quotentechnisch noch schnell alles aus Pocher und seiner Frau raus, bevor sie dann vermutlich nach kurzer Zeit wieder in der Ecke landen.
Primitives Privatfernsehen at its best und so schön vorhersehbar.