Das zum Springer-Konzern gehörende Blatt treibt seine TV-Offensive weiter voran. Neu ist ein Frauentalk in farbenfrohem Studio. Geplaudert wird über Alltägliches. Ruft Belangloses einen Einschaltimpuls hervor?
Die Bild-Zeitung hat ein neues und sehr ehrgeiziges Ziel – man möchte nicht nur als die Zeitung mit den vier großen Buchstaben wahrgenommen werden, sondern allgemein als Content-Lieferant. Die Umwandlung ist Teil einer großen und komplexen Strategie, die auch vor dem Hintergrund sinkender Auflagenzahlen im Print-Bereich steht und die streng genommen schon vor geraumer Zeit mit politischen Talkformaten wie «Die richtigen Fragen» begonnen hatte. Längst ist die Redaktion auch in andere Bereiche eingestiegen, produziert zum Beispiel den durchaus angenehm zu hörenden Fußball-Podcast «Phrasendrescher» oder hat für ein neues Video-Format den bekannten Sport-Kommentator Marcel Reif (ehemals Sky) für sich gewonnen. In der Tat, die Videosparte wurde zuletzt massiv ausgebaut. Großflächig am Vormittag, bei besonderen Nachrichtenlagen auch nachmittags und abends, öffnet sich Besuchern von Bild.de ganz oben auf der Suche die Welt von Bild Live. Immer donnerstags ist nun ein Frauen-Talk hinzugekommen.
Ein Blick auf «The View»
Elf Jahre nach dem VOX-Versuch «Frauenzimmer» trifft sich also wieder eine muntere Mädels-Runde zum Alltagstalk. «Frauenzimmer», damals eine VOX-Talkshow mit für Verhältnisse von 2009 schrecklichen Quoten (um die 300.000 Gesamtzuschauer, regelmäßig um die drei Prozent Marktanteil bei den Umworbenen), hat BILD also dieses Format heraus gekramt und setzt vier Frauen in ein buntes Studio. Das Logo erinnert ein bisschen an amerikanische Formate, «The View» lässt grüßen. Solche Daytime-Shows aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten haben vorgemacht, wie man Content multimedial verwerten und etwa für soziale Medien zerschnipseln und einzeln verwerten kann. Zurück aber ins Berliner Studio der Bild-Frauenrunde: Die knalligen Farben – gelbe Stühle, blau/roter Hintergrund, sind vielleicht schon das spannendste an der Debüt-Folge, die per se nicht ganz genau weiß, wohin sie will. Natürlich geht es in der von Charlotte Würdig moderierten Runde um das derzeit die öffentliche Debatte beherrschende Thema Corona, genauer gesagt darum, dass die Deutschen möglicherweise keinen klassischen Sommerurlaub haben werden.
Doch schon nach weniger als fünf Minuten entsteht die Frage, wieso ernsthaft aktuell über Sommerurlaube gesprochen wird, wo es doch (zum Aufzeichnungszeitpunkt) noch untersagt war, mit seinem vierjährigen Sohn auf den Spielplatz zu gehen. Ja, warum muss darüber eigentlich gesprochen werden. Warum sitzt da Schauspielerin Uschi Glas und sagt, dass man innerdeutsch sicherlich wird verreisen können? Warum sitzt da eine Bild-News-Frau, die schon mal den kompletten Party-Urlaub abschreibt? Die Antworten sind einfach zu finden – BILD zeigt die öffentlichen Debatten, die vor zehn Jahren mit fetten Lettern in ihrer Print-Ausgabe vorangetrieben hat, nun auch in bewegten Bildern auf.
Damit klargestellt ist: «Jetzt reden vier» bietet, ganz wie die typische Mädels-Plauderrunde am Küchentisch, keinerlei neue Erkenntnisse. Stattdessen wird bekanntes gewertet, wiedergekäut und eingeordnet. Da kommen dann auch mal Ergebnisse zu Tage wie: Die Politiker würden sicherlich versuchen alles immer richtig zu machen, doch sie sollten dafür die Maßnahmen regelmäßig überprüfen. Das ist genau das, was die Regierung derzeit eigentlich auf jeder Pressekonferenz mindestens einmal erzählt. BILD hat dies in diesem Talk nun noch einmal wiedergegeben. Auch die Frage, welche Langzeitschäden und Krankheiten – gemeint ist hier vor allem psychischer Natur – der Shut-Down wegen Corona hervorruft, wurde mehr oder weniger ausführlich debattiert. Nicht auf Grundlage von wissenschaftlichen Fakten (die es aktuell ohnehin noch nicht geben kann), nicht mit Fachleuten, sondern eben innerhalb der Frauenrunde.
Genau das bereitet auch Bauchschmerzen: Eine weltweite Pandemie verursacht eben eine hoch-komplexe Problemstellung, nicht einmal die führenden Wissenschaftler kommen immer zu einheitlichen Erkenntnissen und Lösungsansätzen. Starke Vereinfachung hilft da nicht. Der neue Talk aber bietet: Plaudern aufgrund von Hörensagen, Vermutungen und Annahmen. Das tut, anders als manche Schlagzeile in der Boulevard-Zeitung, immerhin nicht weh. Es bildet aber halt auch nicht weiter. Immerhin bleibt aber die Erkenntnis, dass Charlotte Würdig zuletzt heulend neben der Waschmaschine saß. Schuld sei der Ausnahmezustand gewesen. Somit bleibt Bild in diesem Format seinem Credo treu: Dem einfachen Bürger eine Stimme geben, egal wie falsch diese auch sein mag. Jetzt reden wir, auch wenn wir keine einfachen Bürger sind, sondern Prominente.
Übrigens: Weil sich offenbar abzeichnete, dass man mit der Urlaubsfrage in Coronazeiten keine halbe Stunde füllen kann, wurden die letzten zehn Minuten mit einem anderen Thema gefüllt. Kleine Freuden oder Ablenkungen in Zeiten von Corona. Besondere Essen, Charlotte Würdig, die einen Halbmarathon lief, oder allgemeine Bewegung gegen Unausgeglichenheit.
Welche Auswirkungen Corona auf den Körper und die seelische Gesundheit hat, dominierte das Gespräch am Ende der Sendung. Kann leckeres Essen also eine Ersatzbefriedigung sein? Sollte man in diesen Zeiten vermehrt auf Kohlehydrate setzen, mehr Bücher lesen, andere Dinge tun? Auch das kann man im Webfernsehen besprechen. Auch rund zwölf Minuten lang. Klar ist wohl aber auch: Wenn man es nicht tun würde, man würde es vermutlich nicht vermissen.
Die Strategie-Frage von Bild Live
Wird man sich einpendeln, zwischen großen Schlagzeilen und Alltags-Gesprächen, die man so in dieser Zeit schon aus Service-Rubriken im Format-Radio oder aus dem RTL-Nachmittagsprogramm bei «Marco Schreyl» kennt? Am Ende bleibt der Frauen-Talk eine das komplexe Thema stark vereinfachende Plauderrunde, die vermutlich nicht im Gedächtnis bleibt, dem klassischen Privatfernsehen aufgrund ihrer bloßen Existenz aber durchaus etwas Konkurrenz macht.
Nur: Für den ganz großen Aufschlag von Bild Live werden sich Formate dieser Coleur nicht eignen. Da bräuchte es vermutlich schon ein kleines bisschen mehr Action, Spannung und Gehalt. Die knallige Studiodeko reicht da nicht ganz aus.
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