Martin Wuttke wäre gern so gruselig wie Anthony Hopkins; doch sein lauer Psychopathen-Verschnitt ist eher zum Lachen als zum Fürchten.
Cast & Crew
Vor der Kamera:
Karoline Schuch als Ria Larsen
Charlotte Schwab als Elisabeth Haller
Christoph Letkowski als Michael Brandt
Ronald Kukulies als Mattern
Max Herbrechter als Bergmann
André Szymanski als Jan Grabow
Martin Wuttke als Wernicke
Hinter der Kamera:
Produktion: MOOVIE GmbH
Drehbuchautorin und Produzentin: Heike Voßler
nach einer Idee von Holger Joos
Regie: Johannes Grieser
Kamera: Wolf SiegelmannHannibal Lecter funktioniert nicht ohne eine starke Gegnerin: Die bekannteste (und dramaturgisch effektivste) war Clarice Starling, eine hochintelligente, extrem kompetente und trotz ihres jungen Alters bemerkenswert weitsichtige FBI-Profilerin, die das Zeug dazu hatte, es mit diesem ihr intellektuell ebenbürtigen Soziopathen aufzunehmen, auch wenn er sie mit einer gekonnten Dechiffrierung ihrer offensichtlicheren Schwächen (ihre ländliche Herkunft, die sie auch sprachlich nicht kaschieren konnte) zu manipulieren versuchte.
So viel hat «Die Toten am Meer» verstanden. Doch der ARD-Film macht den gegenläufigen Fehler, und schwächt für seine junge, kluge, empathische Kommissarin den Antagonisten sowohl im Hinblick auf sein manipulatives Charisma als auch seine intellektuellen Möglichkeiten ab.
Ria Larsen (Karoline Schuch) wird auf den Plan gerufen, als in den Sanddünen eine erdrosselte Frau auf einer Parkbank aufgefunden wird. So, wie die Leiche zugerichtet wurde, erinnert das an die Taten eines Herrn Wernicke (Martin Wuttke), der vor zehn Jahren fünf Menschen auf diese Weise ermordet hatte und seitdem in der geschlossenen Psychiatrie untergebracht ist. Irgendjemand imitiert nun seine Taten, und Larsen soll die Ermittlung leiten, weil sie ihren Chef an die Kommissarin von damals (Charlotte Schwab als Elisabeth Haller) erinnert, die ob eines vergeigten Zugriffs kaltgestellt wurde und seitdem zurückgezogen ihrer Alkoholsucht und Hesse-Leidenschaft frönt.
Obwohl der Film – auch explizit – ein bisschen mit dem Hannibal-Lecter-Modell kokettieren will, treffen Ermittlerin und Psychopath nur in sehr wenigen Szenen aufeinander. In diesen offenbart sich aber schnell, dass die Macher von «Die Toten am Meer» entweder nicht vollends verstanden haben, woher der große amerikanische Thriller seine Wirkmächtigkeit bezog, oder (das wahrscheinlichere Szenario) dass sie seinen Zuschauern nur ein Abnicken der abgestandenen Motive zutrauen wollen.
Denn dieser Wernicke ist kein übermächtiger, manipulativer, mit allen Wassern gewaschener Tausendsassa, der die nächsten Dutzend Züge des Gegners schon vorausgedacht hat, bevor er auch nur die unbedeutendste Bemerkung fallen lässt, sondern ein tatteriger Wicht und eine erzählerische Nullnummer. Von Anthony Hopkins ging schon ein kaum auszuhaltendes Grausen aus, als er noch zehn Meter hinter der Glasscheibe stand; Martin Wuttkes Waschlappen-Wernicke wirkt dagegen eher wie ein etwas kauziger Rentner.
So tritt das Gegenteil der Zielsetzung ein, die wohl beabsichtigt war: Denn Wuttke kann diese Szenen nicht dominieren, und so werden sie zum Showroom für Charlotte Schwab und insbesondere Karoline Schuch, deren schauspielerisches Können auch in diesem Film weit über die Anforderungen eines weitgehend unspektakulären Krimis hinausgeht. Psychopath Wernicke darf da ein bisschen pöbeln („Habt ihr schon miteinander gefickt?“ ist die härteste Äußerung, weil der punktuelle, vordergründige Schockmoment natürlich Vorrang vor einer hintergründigen, planmäßigen Befremdlichkeit hat), aber ein ernst zu nehmender Gegenspieler ist er mit seinen sofort durchschaubaren Psychospielchen nie.
Das Hauptaugenmerk des Films liegt ohnehin im Konventionellen: In gewohnter Ästhetik hangelt er sich von Leichenfunden über dutzendfach gesehene Revierkämpfe im LKA hin zum psychiatrischen Technobabble, bei dem in filmisch wenig ausgereifter Manier eine Sackladung Diagnostikfakten über multiple Persönlichkeitsstörung abgeladen wird.
Denn «Die Toten am Meer» denkt nicht nur bei seinem Antagonisten viel zu kurz, sondern auch beim großen Ganzen: Mit Ria Larsen und Elisabeth Haller hätte man sich auf ein starkes Duo stützen können, das psychologisch weit jenseits seiner oberflächlichen Spannungen interessant gewesen wäre. Potential, das dieser Film ungenutzt links liegen lässt, um allerhand alberne alte Männer jede Menge albernen alten Stuss reden zu lassen. Hannibal Lecter hätte da kurzen Prozess gemacht.
Das Erste zeigt «Die Toten am Meer» am Samstag, den 25. April um 20.15 Uhr.
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