Apple ist wahrscheinlich die am besten geführte Marke der Welt – sein Streaming-Arm AppleTV+ aber bisher ein ziemlich laues Lüftchen. Eine Bilanz nach einem knappen halben Jahr.
Von der ersten Sendeminute an war «House of Cards» ein Statement: Nachdem es auf der Straße vor seinem Haus gekracht hat, kommt ein stattlicher Mann aus seinem Wohnhaus in einer elitären Gegend von Washington, D.C. Als erste Amtshandlung tötet er den angefahrenen Hund, um ihm unnötiges Leid zu ersparen, wie er uns mit eklatanter Kaltschnäuzigkeit in die Kamera sagt. Rasch folgt der Szenenwechsel zu einem Neujahrsempfang, wo er uns die erste Riege des Politbetriebs in dieser Fiktion vorstellt. Der Grundstein ist gelegt, die Intrige ist gesetzt, der Mann bekommt ein Ziel, sein Mittel ist die Rücksichtslosigkeit, sein Weg sein grenzenloser Charme, dem auch wir Zuschauer erliegen und ganze Staffeln lang nicht mehr wegschauen konnten.
Als erste Eigenproduktion von Netflix hat «House of Cards» nicht nur den Reigen für Dutzende weitere Serien des SVOD-Dienstes eröffnet: Sie war der Funke, der der gesamten amerikanischen Fiction-Landschaft eine neue Richtung gab, der am Anfang des immensen Eigenproduktionsdrangs aller Streaming-Anbieter stand und der Welt vorführte, was alles möglich ist, wenn man kreative Köpfe ihre Arbeit machen lässt.
Dabei war die Entwicklung eigener Serien für Netflix kein zwingender Schritt. Angefangen hatte das Unternehmen eineinhalb Jahrzehnte zuvor als DVD-Versand. Bald erweiterte es sein Geschäftsmodell um seine Streaming-Funktion, mit der es zum weltweiten Vorreiter in seinem Marktsegment wurde, um über eine undurchdachte Änderung seines Bezahlmodels 2011 fast in die Insolvenz zu rutschen, bevor es spätestens seit der Premiere von «House of Cards» zwei Jahre später nicht mehr aus der Entertainment-Welt wegzudenken ist.
Mit rabiaten Kurskorrekturen, Beinahe-Pleiten und den darauf folgenden kometenhaften Aufstiegen kennt sich auch der Apple-Konzern bestens aus. Den Trend zu eigenproduziertem Content schien der Konzern jahrelang verschlafen zu haben, nachdem selbst Unternehmen wie die Deutsche Telekom längst (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) auf den Zug aufgesprungen waren. Und für einen Giganten wie Apple mit der wohl am besten geführten Marke der Welt und mehr als dem Zehnfachen des Jahresumsatzes von Netflix muss ein klarer Anspruch gelten: Will Apple ins Fiction-Geschäft einsteigen, müssen seine ersten Serien genauso ein Statement setzen wie damals «House of Cards» mit seiner unsympathischen, aber einnehmenden Hauptfigur und einer erzählerischen Kompromisslosigkeit jenseits allen
Likeability-Gedöns‘. Alles andere wäre eine Blamage.
Und Apple blamierte sich.
Denn wo «House of Cards» auf die Innovationen des kunstvollen amerikanischen Kabelfernsehens noch eine Schippe drauflegte, hätten alle AppleTV+-Premieren-Serien auch vor fünfzehn Jahren in der zweiten Reihe von HBO oder Showtime laufen können. Die viel gehypte «Morning Show» war ein müdes Vehikel, das sich zu sehr auf aktuelle Buzzwords und einen prominenten Hauptcast verließ, dabei aber nichts Wesentliches zu erzählen hatte und nur einen Mischmasch aus #metoo-Versatzstücken und dem digitalen Umbruch im Fernsehgeschäft wiederkaute. «See» wollte mit enormem Budget und einem extrem hohen
Production Value punkten, erschuf aber weder eine faszinierende Serienwelt noch sonderlich spannende Figuren oder Konflikte. «For all Mankind» hatte derweil eine sehr interessante Grundidee mit enormem inhaltlichen Potential, verlor sich aber rasch im
Space-Race-Kleinklein und vermochte es nicht, uns an seine alternative historische Welt zu fesseln. Die einzige Comedy, «Dickinson», war sich mit ihrer etwas schrägen Geschichts-Mashup-Idee ebenso genug und brachte keine einnehmende, spannende, kluge oder einsichtsreiche Geschichte zustande. Und auch «Servant» oder «Home Before Dark» übten keinen besonderen Reiz aus.
"Ganz nett", wäre stets ein Urteil gewesen, das die Führungsspitze von Apple als herbe Beleidigung aufgefasst hätte. Doch genau dieses Fazit muss sich AppleTV+ nach einem knappen halben Jahr gefallen lassen: Trotz enormer Budgets und bekannter Namen hat der Streaming-Anbieter keinen einzigen nennenswerten, neuen Impuls gesetzt und seine Zuschauer nicht einmal mit einer wirklich kühnen Idee oder fesselnden Geschichte überraschen können. Für ein Unternehmen, das sich mit Blick auf seinen umfassenden Innovationsdrang stolzgeschwellt
The Crazy Ones nennt, ist das ein echtes Armutszeugnis.
Es gibt 1 Kommentar zum Artikel
18.04.2020 13:10 Uhr 1
Und Apple TV+ braucht jetzt auch nicht unbedingt so die große gehypte Mainstreamserie.