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«Dein Zuhause gehört mir» - Die spanische Trantüte von Netflix

Im neuen Netflix-Film «Dein Zuhause gehört mir» entwickelt ein einst einflussreicher Geschäftsmann über seine Arbeitslosigkeit ein bemerkenswertes Stalking-Talent.

«Dein Zuhause gehört mir»

  • VÖ: Netflix
  • Genre: Drama/Thriller
  • Laufzeit: 103 Min.
  • Kamera: Pau Castejón
  • Musik: Lucas Vidal
  • Buch & Regie: David Pastor, Àlex Pastor
  • Darsteller: Javier Gutiérrez, Mario Casas, Bruna Cusí, Ruth Díaz, Iris Vallés Torres, Cristian Muñoz
  • OT: Hogar (ESP 2020)
Interessierte des Genrekinos blicken schon seit einiger Zeit immer wieder mal nach Spanien. Dort haben sich einige Einheimische einen feinen kleinen Markt erschlossen; von Filmen wie «Rec.» über «Das Waisenhaus» bis hin zu den im Netflix-Zeitalter regelrecht aufgeblühten Thrillern eines Oriol Paulo («Der unsichtbare Gast») erweisen sich all diese Filme einer wachsenden Beliebtheit, die im Serienbereich ihre Fortführung findet. Dort haben sich mit «Haus des Geldes» und «Élite» ebenfalls spanische Formate hervorgetan, die sich eben nicht bloß in nationalen, sondern vor allem internationalen Gefilden einer großen Beliebtheit erfreuen. Deutschland macht da keine Ausnahme. Der hierzulande den etwas sperrigen Titel «Dein Zuhause gehört mir» tragende Thriller «Hogar» respektive «The Occupant», wie er in englischsprachigen Gefilden heißt, gehört einerseits dazu, andererseits aber auch nicht. Mit überdeutlichen Anleihen an Alfred Hitchcock erzählen die Autorfilmer David und Àlex Pastor («Carriers») von einem stalkenden Geschäftsmann, der alles unternimmt, um sein zurückgelassenes Heim gegen die neuen Bewohner zu verteidigen.

Suspense ob des unheimlichen Zeitgenossen und Tragik aufgrund der durchaus traurigen Prämisse bleiben dabei allerdings immer in den Anfängen stecken, sodass man im Laufe der 103 Minuten nie so recht dahinter steigt, ob man es hier eher mit einem Charakterdrama oder einem Thriller zu tun hat. Denn für beides fehlt es dem Film an Eindringlichkeit. Da kann Hauptfigur Javier noch so finster dreinblicken.



Im Leben gescheitert


Als der erfolgreiche Manager und Familienvater Javier (Javier Gutiérrez) seinen Job verliert, ist er gezwungen, seine geliebte Wohnung zu verkaufen. Auch für seine Frau und seinen Sohn ist die Situation nur schwer erträglich. Ihre Ehe steht kurz vor dem vollständigen Ruin. Auch seine vielen Vorsprechen bei Werbefirmen verheißen nichts Gutes. Erst, als Javier entdeckt, dass er noch einen Schlüssel zu seiner ehemaligen Wohnung hat, beginnt, das Leben für ihn wieder einen Sinn zu machen. Er entwickelt eine Obsession für Tomás (Mario Casas), der nun anstelle seiner in dem chicen Appartement wohnt. Und er nimmt sich vor, ihn von dort zu vertreiben und seinen Stellenwert einzunehmen…

Von Anfang an machen die in «Dein Zuhause gehört mir» in Personalunion als Regisseure und Drehbuchautoren auftretenden David und Àlex Pastor deutlich, dass sie von ihrem Zuschauer vor allem eines erwarten: Mitleid. Mitleid für Javier und seine Situation. Ausgerechnet ein fehlgeschlagenes Bewerbungsgespräch ist nämlich die aller erste Szene, in der wir die Hauptfigur kennenlernen. Infolgedessen wird Javier nicht etwa abgesagt, weil er den Anforderungen für den ausgeschriebenen Posten nicht erfüllt, sondern weil er, ganz im Gegenteil, überqualifiziert ist. In einem weiteren Job-Interview erfährt er im Nachhinein, dass er sich in Wirklichkeit nicht auf einen Managerposten, sondern auf die Position eines unbezahlten Praktikanten beworben hat. Und sein Sohn nimmt seinen Vater genauso wenig ernst wie seine sich von ihm entfernte Ehefrau. Kurzum: Die Karten für Javier lagen schon mal besser. Und so ist der Auszug aus seiner geliebten Wohnung nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen beziehungsweise Javier zum Durchdrehen bringt.

Das ist die eine, plausible Erklärung. Andernfalls würden die Macher kaum so viel Zeit dafür aufwenden, Javiers Pechsträhne abzubilden. Gleichwohl lässt der Film offen, ob in Javier nicht schon lange vorher das Potenzial eines Verbrechers (in diesem Fall das eine Stalkers) geschlummert hat. Es ist schade, dass man ihn nie, nicht einmal für wenigen Szenen, in einem halbwegs normalen Umfeld zu sehen bekommt.

Gepflegte Langeweile anstatt spannender Thriller


So sehen wir also einem von Anfang an ohnehin nicht ganz geheurem Zeitgenossen dabei zu, wie er Tag für Tag weiter in einen gefährlichen Strudel aus Kontrollzwang, Selbstmitleid und Wahn hinabgleitet. Mit Sicherheit keine uninteressante Prämisse, auch wenn dieser charakterliche Wandel viel eindrucksvoller wäre, hätte man zumindest zu Beginn die Gelegenheit gehabt, Javier im Normalzustand zu erleben. So ist «Dein Zuhause gehört mir» in erster Linie eine Irrenstudie; allerdings eine, der es ohne die entsprechende Prise Wahnsinn gehörig an Durchschlagskraft mangelt. Das fängt schon bei Hauptdarsteller Javier Gutiérrez («Wir sind Champions») an. Dieser legt zwar von Anfang ein einen unheilvoll-stechenden Blick an den Tag. Selbst wenn er Tomás, dem neuen Mieter seiner ehemaligen Wohnung, eines Tages zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker folgt und dort seine vermeintlich ach so traurige (ausgedachte) Geschichte erzählt, um sich bei Tomás einzuschleimen, käme man nie auf die Idee, ihm seine Schilderungen wirklich zu glauben.

Guttiérez trägt in seiner Performance von Anfang an so dick auf, dass sein Anfreunden mit Tomás und jedweder andere Umgang mit Menschen eigentlich automatisch in eine Katastrophe münden muss. Es ist schon fraglich, dass sich in der Realität überhaupt jemand mit jemandem wie Javier anfreunden würde…

Doch anstatt diese große Schwäche des Films mit deutlich subtilerem Schauspiel auszugleichen, versuchen David und Àlex Pastor, diesen Umstand über ihr Skript zu lösen. In «Dein Zuhause gehört mir» geht eben alles eine Spur langsamer vonstatten. Und so bewegt sich Javier auf seiner Stalker-Tour in einem solchen Schneckentempo von A nach B, dass man irgendwann die Lust daran verliert, ihm bei seinem teuflischen Plan zuzusehen. Und auch dieser Plan ist – zumindest gemessen an inhaltlich vergleichbaren Filmen – gar nicht mal so teuflisch, wie es der stets so diabolisch dreinblickende Javier es verheißt. Auch der Weg zum Ziel verläuft so schnörkellos, wie man es sich nur vorstellen kann; und profitiert obendrein davon, dass Javier nicht bloß mehrmals der Zufall zur Hilfe eilt, sondern sich sämtliche in die Geschichte involvierten Figuren auch noch bemerkenswert naiv verhalten. Das macht es der Hauptfigur natürlich besonders leicht, mit seinen Plänen durchzukommen. Doch die emotionale Fallhöhe ist in «Dein Zuhause gehört mir» entsprechend niedrig.

Inszenatorisch unterstreicht der eigentlich auf Musikvideos spezialisierte Kameramann Pau Castejón die inhaltliche Trostlosigkeit. Das triste Grau-in-Grau vermag zwar die emotionale Leere der Hauptfigur widerzuspiegeln, doch über eindreiviertel Stunden ist das schlussendlich auch eher ermüdend. Es bräuchte einfach irgendetwas, um den Zuschauer bei der Stange zu halten. Doch mit «Dein Zuhause gehört mir» verbreitet Netflix erneut eher im B-Heimkino anzusiedelnde Ware, anstatt an Qualität festzuhalten. Irgendwie wollen die unendlichen Server des Streamingdienstes ja gefüllt werden.

Fazit


Laut Streamingdienst ist «Dein Zuhause gehört mir» ein Thrillerdrama. Für einen Thriller ist die spanische Produktion allerdings viel zu langweilig, für ein Drama dagegen bleibt das in der Charakterentwicklung verhaftete Drama zu oberflächlich. Nach so einigen äußerst gelungenen Netflix-Originalen ist dieses hier wieder mal eine echte Enttäuschung.

«Dein Zuhause gehört mir» ist ab sofort bei Netflix streambar.
01.04.2020 10:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/117194
Antje Wessels

super
schade

35 %
65 %

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Tags

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