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«Star Trek: Picard» – das große Staffelfazit

Die erste Staffel von «Star Trek: Picard» ist abgeschlossen. Kann die Serie nach dem starken Ersteindruck weiterhin überzeugen, oder geht der La Sirena kurz vor dem Ziel die Antimaterie aus?

Einleitender Hinweis
Dieser Artikel enthält Spoiler. Zudem empfehlen wir als Gedächtnisstütze auch unseren First Look zur Serie vom 24. Januar 2020.


Die Quest beginnt – endlich


Nachdem sich «Star Trek: Picard» mit dem dreiteiligen Pilotfilm sowohl technisch, als auch narrativ auf höchstem Niveau präsentiert hatte, lag die Messlatte für die restlichen sieben Folgen fast unerreichbar hoch. Dass es der Staffel nicht durchgehend gelingen würde, alle aufgebauten Erwartungen zu erfüllen, war klar. Doch es darf an dieser Stelle vorweggenommen werden, dass Kirsten Beyer, Michael Chabon, Akiva Goldsman und Alex Kurtzman die erste Etappe der neuen Star-Trek-Serie insgesamt mit Bravour gemeistert haben.

Picards eigentliche Quest startet mit der vierten Folge, „Unbedingte Offenheit“ („Absolute Candor“) richtig durch. Die Episode ist nicht nur als Reise in Admiral Picards Vergangenheit gedacht, sondern führt auch die klasse von Evan Evagora gespielte Figur des Elnor ein. Der junge romulanische Kriegermönch bringt nicht nur einige erstaunliche Kampffähigkeiten mit, sondern auch ein gesundes Maß an Naivität. Diese kommt allerdings erst in der sicherlich kontroversesten Folge der Season richtig zum Tragen. „Keine Gnade“ („Stardust City Rag“) verwunderte die Fans mit einer ungewöhnlichen Überraschung. Um den fünften Teil genießen zu können, musste man den Kindersicherungs-Code bei Amazon Prime eingeben, da eine FSK-18-Freigabe den Zugang erschwerte. Sozusagen gab es als Belohnung dafür das im Vorfeld stark beworbene und lang ersehnte Wiedersehen mit Jeri Ryan alias Seven of Nine aus «Star Trek: Voyager». Doch das verlief anders, als von vielen Fans erhofft. „Keine Gnade“ beginnt mit der vielleicht brutalsten Szenen, die es jemals in eine Star-Trek-Serie geschafft hat. In einer Rückblende erlebt der verstörte Zuschauer, wie dem, ebenfalls aus «Star Trek: Voyager» bekannten, Ex-Borg Icheb auf äußerst unsanfte und visuell eindringliche Weise ein Auge herausoperiert wird. Seven kommt zu spät, um das Schlimmste zu verhindern und so bleibt ihr nur, ihren Ziehsohn mit Tränen in den Augen eigenhändig zu töten. Vierzehn Jahre später rettet sie Picard und seiner Crew das Leben, die unterwegs zum Planeten Freecloud sind, um Bruce Maddox zu finden. Hier kommt es zu einem Showdown, der Seven of Nine, zum Schrecken vieler Fans, als kaltblütige Mörderin in Szene setzt.

Dramaturgischer Kniff, oder Affront gegen das Franchise?


Vor allem für die älteren Fans war dieser dramaturgische Kniff, der später noch an Bedeutung gewinnen sollte, fast schon Affront. Die Episode führte zu heftigen Beschwerden in den sozialen Netzwerken. Natürlich dient Ichebs Tod letztlich nur als McGuffin und ist eine schwache Rechtfertigung dafür, eine Figur mit einst moralisch hohen Ansprüchen zu einem Killer mutieren zu lassen. Und wozu es in einer Staffel, die ansonsten eine FSK-12-Freigabe hat unbedingt einen solchen Ausreißer braucht, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick entpuppt sich die Folge aber als klug ausgedachter Trick mit Hintergrund. Natürlich sollte die harte Eingangssequenz und die damit verbundene Altersfreigabe für heiße Diskussionen sorgen. Die Botschaft war klar: „Verlasst eure Komfortzone, der Cut zu alten Sehgewohnheiten ist jederzeit möglich.“ Die Entscheidung war mutig, ist aber zum Glück toll umgesetzt und sorgt für einige unterhaltsame Action-Momente abseits des starken Erzählstrangs.

Schwacher Fanservice im Mittelfeld


In Nummer 6 der Sendereihenfolge, „Die geheimnisvolle Box“ („Impossible Box“), wird der Story Arc zwar eindeutig weiter vorangebracht, leider ziehen sich die 51 Minuten in der ersten Hälfte aber ein wenig dahin. Außerdem erleben wir zum Ende hin einen weiteren, unnötigen Serientod. Nachdem bereits Icheb das Zeitliche gesegnet hatte, verliert nun der sympathische Ex-Borg Hugh durch die Hand von Nareks Schwester Narissa das Leben. Auch diese Szene verbreitet letztlich nichts weiter als heiße Luft, auch wenn die vier Drehbuchautoren Hughs Tod zwei Folgen später in „Bruchstücke“ („Broken Pieces) mehr schlecht als recht einen Sinn zu geben versuchen. Auch der erhoffte emotionale Aspekt der offensichtlich für die Fans geschriebenen Szene bleibt leider aufgrund des eher losen Bezugs zur Figur aus.

Doch zuvor gibt es noch einen weiteren, ebenfalls schon im Vorfeld gefeierten und lang herbeigesehnten Fan-Service. Endlich tauchen in Episode 7 Picards ehemalige Crew-Kameraden und Freunde Deanna Troi und William Riker auf, allergings in der schwächsten Folge der gesamten Staffel. Natürlich erfreut das Widersehen mit zwei alten und liebgewonnen Fernseh-Weggefährten das Herz des gestandenen Star-Trek-Fans. Doch stellt man sich offen und ehrlich die Frage, welchen höheren Nutzen „Nepenthe“ („Nepenthe“) für das Voranschreiten der Geschichte hat, stellt man ernüchtert fest, dass der Besuch bei Familie Riker nichts weiter als eine Hommage ohne tiefere Bedeutung für den Inhalt ist. Über 59 Minuten lang beschwören drei Freunde alte Bande, während Rikers Tochter der Androidin Soji Nachhilfe in Sachen Menschlichkeit erteilt. Bei aller Freude über Jonathan Frakes‘ und Marina Sirtis‘ Cameo-Auftritt verblasst die Folge aber doch vor dem Hintergrund des starken Beginns und noch stärkeren Endes der Season. Gut, die Produzenten und Autoren haben Frakes‘ Paraderolle nicht ganz ohne Grund aus der Versenkung auftauchen lassen. Riker spielt in der letzten Folge noch eine höchst emotionale und schön geschriebene Rolle. Doch 15 bis 20 Minuten Screentime hätten hier genügt, um das eigentliche Ziel zu erreichen und die oben angedeutete Szene im Vorhinein einzuleiten.

Eine starke Einleitung zum Finale


Im Hinblick auf das überaus starke Ende, das bereits mit Teil 8, „Bruchstücke“ („Broken Pieces“) seinen Anfang nimmt, ist dieser, immerhin doch sympathische, Ausrutscher aber ohne Weiteres verzeihlich. Endlich steuert der Plot auf seinen ersten richtigen Höhepunkt zu. Picard gelingt es, die wahren Hintergründe des vierzehn Jahre zurückliegenden Anschlages auf den Mars zu enthüllen und Dr. Jurati als Mörderin von Bruce Maddox zu entlarven. Sie nimmt die ihr zugedachte Strafe an, womit der Fall Jurati im Grunde genommen erledigt ist.

Also doch. Picards Crew ist auf Spur gebracht und tut nun doch das, was von ihr erwartet wird: das moralisch Richtige nämlich. Schade eigentlich, denn auch, wenn die übertriebene Dysfunktionalität vieler Hauptfiguren die heutige Serienlandschaft sicherlich überstrapaziert, wäre ein Twist in dieser Richtung hier durchaus erfrischend gewesen. Doch dies ist nun meckern auf hohem Niveau, denn die Handlung verdichtet sich, die Technik zeigt sich in bester Kinoqualität und die Schauspieler haben zusammengefunden und bilden ein starkes Team. Zudem kehrt Seven of Nine zur Mannschaft der La Sirena zurück – und sogar Hughs Tod ergibt einen, wenn auch nur vorgeschobenen, Sinn.

Ich war noch niemals in Arkadien


Der Zweiteiler „Et in Arcardia Ego“ (zu Deutsch etwa: „Auch ich war in Arkadien“) bezieht sich mit seinem ungewöhnlichen Titel auf den mythischen Arkadierkönig Lukaon, der dem Gott Zeus ein Kind opferte und den Altar des Königs der Götter mit Kinderblut besudelte. Daraufhin verwandelte er Lukaon in einen Wolf. So seltsam die Titelwahl auch erscheinen mag, sie passt wie die Faust aufs Auge zu diesem grandiosen Finale. In den insgesamt 102 Minuten der Doppelfolge dreht sich alles um das Opfer-Thema, sowohl im Sinne der Aufopferung durch Admiral Picard, als auch im Sinne eines zwar schmerzlichen, aber aus einem gewissen Blickwinkel notwendigen Menschenopfers. Bereits der erste Part ist durch und durch spannend und macht Lust auf mehr. Endlich findet die La Sirena, mit dem von Seven of Nine gesteuerten Borg-Kubus im Rücken, Sojis Heimatplaneten. Die Androiden aktivieren verängstigt ihre planetaren Verteidigungsanlagen und sowohl die La Sirena, als auch der Borg-Kubus stürzen ab. Von nun an entwickelt sich der Plot vollends in eine Richtung, wie man sie von einer Star-Trek-Serie erwartet. Doch zunächst gibt es ein erneutes Wiedersehen mit einem alten Bekannten.

Brent Spiner gibt sich noch einmal die Ehre, doch dieses Mal nicht als eine geträumte Inkarnation von Data, sondern als Dr. Altan Ingio Soong. Kenner des Franchise haben es an dieser Stelle längst bemerkt. Dies ist der dritte Auftritt Spiners in der Rolle eines Mitgliedes der egozentrischen Wissenschaftlerfamilie. In «Star Trek: The Next Generation» gab er den Erfinder Datas, Noonian Soong. In «Star Trek: Enterprise» spielte er als Soongs Vorfahre Arik Soong eine tragende Rolle im Dreiteiler „Borderland“, „Cold Station“ und „Die Augments“. «Star Trek: Picard» durchbricht diese Kontinuität klugerweise nicht, sondern schafft hier einen der gelungensten Fan-Services der gesamten Staffel. Spiner findet sich sofort wieder in seine Rolle ein und präsentiert viele Charaktereigenschaften, die wir von den Soongs gewohnt sind. Zusätzlich verleiht er Dr. Altan Soong aber eine weitere Facette. Abgesehen von dem kaltblütigen Egoismus und der irrationalen Liebe, mit der seine Familie ihre Forschungen zur künstlichen Intelligenz vorantreibt, zeigt sich dieser Soong einmal von seiner menschlichen und emotionalen Seite.

Vom Opfern und Aufopfern


Isa Briones brilliert in der Doppelrolle als Soji und goldhäutige Sutra, die ihre künstlichen Brüder und Schwestern schützen will, indem sie alles organische Leben auszulöschen trachtet. Dafür schreckt sie auch vor dem Mord an ihrer Schwester Saga (sympathisch gespielt von Nikita Ramsey) nicht zurück und opfert sie gnadenlos. Soji neigt dazu, Sutra in ihrem Feldzug gegen die Föderation und Romulaner zu unterstützen. Andererseits hat sie aber durch ihre Erlebnisse mit Picard erfahren, dass Menschen nicht nur brutale, egomanische Schlächter sind, die ihr Wohl über das aller anderen Spezies stellen. Vielmehr erfuhr sie Nähe, Sympathie, Freundschaft und Ehrlichkeit. Dieses Statement für die besten Eigenschaften der Menschheit zieht sich über beide Folgen hinweg und mündet im größten Opfer, dass ein Mensch für seine Überzeugung oder eine geliebte Person bringen kann. Picard gibt im Kampf um Frieden und Versöhnung sein Leben, nicht aber, ohne dass es zuvor eine rührende Szene mit William Riker gibt, der sich temporär wieder als Captain der Sternenflotte einsetzen ließ. Das Ziel, eine große romulanische Flotte, die Sojis Heimatwelt zerstören will, aufzuhalten, gelingt und so agieren die beiden alten Freunde in einem letzten Kampf um Gerechtigkeit und Frieden in der Galaxis noch einmal vereint. Die Sequenzen sind visuell angemessen arrangiert und beweisen darüber hinaus Akiva Goldmans (die übrigens auch Regie führte) hervorragendes Gespür für das richtige Timing.

Sterben oder nicht sterben, das ist hier die Frage


Als wäre dies nicht schon ein krönender Abschluss, setzt Goldsman mit Picards Tod noch einen drauf. Picards, natürlich nicht endgültiges, Ableben ist so gefühlvoll in Szene gesetzt, dass nicht nur der Alt-Fan unweigerlich das ein oder andere Tränchen verdrücken dürfte. Ob Picard nun unbedingt in einem neuen, künstlichen Körper wiederbelebt werden musste, nur um eine zweite Staffel zu ermöglichen, sei dahingestellt. Denn perfekter hätte das Ende Jean-Luc Picards eigentlich nicht sein können. Es bleibt zu hoffen, dass die Serie nicht den richtigen Zeitpunkt versäumt, die Figur endgültig zu Grabe zu tragen. Denn es darf als wahrscheinlich gelten, dass Sir Patrick Stewart seine Paraderolle nicht ins Unendliche dehnen kann. Auch wenn sich der Brite bester Gesundheit erfreut, ist er inzwischen immerhin fast 80 Jahre alt. Irgendwann verliert die Figur aufgrund des hohen Alters seines Hauptdarstellers jegliche Glaubwürdigkeit. Bevor das geschieht, müssen sich die Produzenten und der Writers Room einen epischen Abschluss einfallen lassen. Genau jener war hier gegeben. Und auch wenn es ein schönes Gefühl der Vorfreude auf Season 2 ist, Picard am Ende auf der Brücke der La Sirena wieder „Energie“ sagen hören, ist es schwer zu glauben, dass dem Produktionsteam noch einmal so ein Coup gelingt. Doch abwarten und Earl Grey trinken, aber bitte keinen replizierten!

Die ganze erste Staffel steht bei Amazon Prime zum Abruf bereit.
31.03.2020 11:00 Uhr Kurz-URL: qmde.de/117145
Reinhard Prahl

super
schade

77 %
23 %

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Tags

Star Trek: Picard Star Trek: Voyager Star Trek: The Next Generation Star Trek: Enterprise

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Es gibt 6 Kommentare zum Artikel
Kingsdale
31.03.2020 12:45 Uhr 4
@ Wolfsgesicht: Ich finde vieles gut, nur das wird oft Überlesen. In letzter Zeit eben auch Chilling Adventures of Sabrina, The Mandalorian, The Blacklist usw. Aber das bezieht sich meistens auf Serie die auf Streamin-Sender laufen, da dort gute Unterhaltung geboten wird und das Free-TV einfach nur Schrecklich ist. Außer dümmliche Promishows, Casting Allerlei und Musikshows bietet das normale Fernsehn einfach keine gute und abwechslungsreiche Unterhaltung mehr. Und das muss man den Programmplaner und -chefs klipp und klar sagen. Ich glaube schon, bzw. hoffe es, da diese hier auch mal ab und zu Reinschauen und lesen, was wir von ihren Programm halten. Leider scheint das aber nicht in die Köpfe dieser hirnlosen Planer anzukommen.
LittleQ
31.03.2020 15:52 Uhr 5
Die Staffel war unterhaltsam, aber ein highlight war es leider nicht. Storytechnisch war Picard absolut kein hit.

Picard lebt einfach sehr von....Picard. Ich hab den Eindruck, wäre Picard einfach nur irgendein Typ, den man extra erfunden hätte, würden die Serie viele Leute kaputt schreiben. Nostalgie ist im Prinzip das, was Picard stützt, aber wenn Season 2 ein ähnlicher Mass Effect, Battlestar Galactica, Star Trek 6, etc. Abklatsch wird, dann hoffe ich, dass Nostalgie noch weiterhin bestehen bleibt. Sonst wird man dem alten Mann wohl nicht mehr so wohlgesonnen sein.



Fairerweise muss ich sagen: Wenn ich so an die ersten Staffeln der "alten Star Trek" Serien denke, dann ist Picard doch deutlich besser xD
dirkberlin
31.03.2020 21:30 Uhr 6
Ich fand die Staffel okay. Eine weitere bräuchte ich aber auch nicht. Es hatte wenig Sternenflotte, viel Mystik und nen paar Logiklöcher: wo kamen am Ende all die Raumschiffe her? Romulaner waren doch am Ende? Und die Sternenflotte hatte eher gerade Flottenparade? Die Crew belebte irgendwie das Schiff nicht und blieben an sich eher blass. War halt viel Patrick Stewart. Der aber wirklich toll.
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